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SCHWEINFURT: „Da wusste ich, das wird schlimm“

SCHWEINFURT

„Da wusste ich, das wird schlimm“

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    Hugo Höllenreiner ist ein Sinto und gemeinsam mit seinen Eltern und vier Geschwistern in Konzentrationslager deportiert worden. Im Bayernkolleg schilderte der 76-Jährige seine schrecklichen Erlebnisse, stand Rede und Antwort. Im Bild spricht Höllenreiner mit Schulleiterin Johanna Bonengel (links) und Schülerin Christiane Krimm.
    Hugo Höllenreiner ist ein Sinto und gemeinsam mit seinen Eltern und vier Geschwistern in Konzentrationslager deportiert worden. Im Bayernkolleg schilderte der 76-Jährige seine schrecklichen Erlebnisse, stand Rede und Antwort. Im Bild spricht Höllenreiner mit Schulleiterin Johanna Bonengel (links) und Schülerin Christiane Krimm. Foto: FOTO Hannes Helferich

    Ein Interview in der Süddeutschen Zeitung hat Schulleiterin Johanna Bonengel derart gebannt, dass sie Kontakt zu Höllenreiner aufnimmt. Er sagt spontan zu, sein Honorar ist bescheiden, wie der Mann selbst. Er spricht leise, in sich gekehrt, muss, obwohl er sein Schicksal schon so viele Male vorgetragen hat, zweimal zu einem Taschentuch greifen, weil Tränen hochschießen. Bis 1993 habe er nicht reden können, obwohl er jede Nacht Angstträume hatte, sagt er.

    1933: Adolf Hitler wird zum Reichskanzler ernannt und Hugo geboren. Die Mutter gibt ihm Adolf als zweiten Vornamen. „Dass uns vielleicht nichts passieren kann, wenn ich den Namen habe wie Hitler“, erklärt er „Mamas Gedanken“.

    Hugo Adolf Höllenreiner wächst in München-Giesing auf, sein Vater Josef betreibt ein kleines Fuhrunternehmen. Am 16. Dezember 1942 legt Reichsführer SS Heinrich Himmler den so genannten Auschwitz-Erlass vor. Darin wird auch die Einweisung der „fremdrassigen Zigeuner“ in Konzentrationslager festgelegt. Im März 1943 werden die Höllenreiners deportiert. Vergessen ist, dass der Vater beim Frankreichfeldzug dabei war, Orden erhielt.

    Mit Lastwagen werden sie zum Güterbahnhof gekarrt, Umsiedlung nach Polen, heißt es harmlos. Als Hugo die Viehwaggons sieht, denkt sich der Neunjährige: „Das ist doch gar kein richtiger Zug.“ Alle müssen in einen Waggon klettern, „schnell, schnell“, die SS-Männer drücken die Leute mit Gewalt hinein, Hundegebell, die Tür wird zugeschoben. „Das Quietschen höre ich heute noch“, sagt er und erzählt, wie er im Dunkeln steht, 40 Erwachsene, 20 Kinder, aneinandergepresst.

    Zweieinhalb Tage Fahrt, kein Essen, kein Trinken, die Notdurft in die Hosen, „das könnt ihr Euch nicht vorstellen“, sagt er zu den 150 Bayernkollegiaten. „Ich war damals neun Jahre alt, schnell denkt man wie ein Erwachsener mit 30, 40 Jahren, eine Kindheit hatte ich nicht, da ist einem die Würde genommen worden.“ Im Saal des Bayernkollegs ist es mucksmäuschenstill. Die Schüler hören erschüttert zu.

    Ankunft in Auschwitz-Birkenau. Was Hugo erlebt hat, kennen wir aus so vielen Quellen. „Raus, raus“, brüllen die bewaffneten SS-Männer, scharfe Schäferhunde bellen, „schneller“, „Aufstellen in Fünferreihen“, alle müssen sich ausziehen, vor allem die jungen Mädchen werden vor dem Duschen gedemütigt. „Da wusste ich, das wird schlimm, man steht kurz vor der Hölle.“

    Hugo heißt ab jetzt nicht mehr Hugo, Hugo ist die Nummer 3529, die ihm eintätowiert wird. Davor ein „Z“, für Zigeuner. Höllenreiner schildert den täglichen Durst, den Hunger: „Nichts zu essen, da kriegt man unerträgliche Schmerzen, da wird man wahnsinnig.“ Hugo war an der Bahn-Rampe zum „Aufladen von Sachen“ eingeteilt, sah die Selektionen, sah die „am Gas erstickten Menschen, die ineinander verkeilt waren“.

    Eine junge, ungarische Mutter kommt mit ihrem Sohn Maimo in den Zigeunerblock. Bei einem Appell am nächsten Morgen müssen sich 700 Menschen in Fünferreihen aufstellen. Maimo reißt sich los, rennt nach vorn zur Lagerstraße. Seine Muter will hinterher, die anderen Frauen halten sie fest, „dann ein Krachen“. Maimos Mutter schreit, „ein Schrei, der das ganze Lager durchhallte“. Ein SS-Mann hat Maimo am Bein genommen und gegen eine Mauer geschleudert.

    Mengele: Hugo und sein Bruder Manfred werden zum KZ-Arzt befohlen. „Da dachte ich, das ist das Ende.“ Mengele habe ihm einen Haken zwischen die Beine gestoßen, „so hoch, so weit, dass ich bald nichts mehr gesehen habe“. Er habe geglaubt zu sterben, wollte aber nicht schreien, weil der Bruder danach dran war. Immer wieder sagte er sich den Satz vor: „Der tut Dir nichts.“

    In Ravensbrück, Mauthausen, Bergen-Belsen, wohin die Zigeunerfamilie verlegt wird, die gleiche Prozedur: schreien, ausziehen, Fünferreihen. Im April 1945 befreien Hugo Adolf Höllenreiner englische Soldaten aus dem KZ Bergen-Belsen. „You are free“, haben sie gerufen und der Zwölfjährige wusste nicht, was das bedeutet.

    Die Schriftstellerin Anja Tuckermann hat Höllenreiners Lebensgeschichte aufgeschrieben. „Denk nicht, wir bleiben hier“ heißt das authentische, tief berührende Zeitzeugnis. Es ist ein Satz der Mama, den sie zur Beruhigung der Kinder gesagt hat. Das Buch erhielt den Deutschen Jugendliteraturpreis 2006. Verlag Hanser, 16,90 Euro.

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