Nach 45 Minuten hat Judith Gerlach rote Wangen vom Reden in der leicht überhitzten Halle. Sie hebt ihr Bierglas und setzt noch einen launigen Trinkspruch obendrauf. Davor war es meist mucksmäuschenstill gewesen wie selten bei einem Redner beim politischen Aschermittwoch "am Tag danach" der Oberwerrner CSU. Die Anhänger und Funktionäre waren sichtlich neugierig, wie sich das jüngsten Kabinettsmitglied an der Basis schlägt. Und die Digitalministerin: erfrischend, natürlich, mit schelmischem Humor.
Authentisch und offen
Diese Mischung ist es, die die Mitglieder der zuletzt gebeutelten CSU offenbar erwarten. Keine Alpha-Männer, wie sie häufig am Mikrofon bei der Traditionsveranstaltung in der SVO-Halle zu erleben sind. Sondern eine selbstbewusste junge Frau, die am Pult so spricht, wie sie es auch in einer kleinen Runde tun würde. Neudeutsch würde es heißen: Sie wirkt authentisch. Mit 33 Jahren hat sie bereits die Finessen intus, wie man Menschen für sich gewinnen kann. Alleine ihre Einleitung im breiten Untermain-Dialekt sichert ihr schon das Wohlwollen der Zuhörer: "Isch fühl' misch scho' jetzt pudelwohl hier."
Und sie orientiert sich an der Marschrichtung, die die Partei ausgegeben hat, um ihr ramponiertes Renommee bei den Menschen aufzupolieren. Eine Art geistiger Erneuerung und Rückbesinnung auf alte Werte aus der Zeit, als die CSU ein unerschütterlicher Machtfaktor in Bayern war: christlich-sozial, demokratisch, konservativ, liberal und bayerisch-europäisch. Tags zuvor hat bereits Ludwig Spaenle diesen Wertekanon vor der Schweinfurter CSU beschworen.
Als Putzkraft im Krankenhaus
Judith Gerlach ergänzt diesen Anspruch mit anschaulichen Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben und packt so sichtlich das Publikum. Mit 17 Jahren, so erzählt sie, habe sie im Klinikum Aschaffenburger geputzt, um sich das Geld für den Führerschein zu verdienen. Das Erlebnis, "fremdes Blut von den Kacheln zu wischen" oder mit krebskranken Kindern zu sprechen, habe ihr Bild von der christlichen Soziallehre mitgeprägt: "Das sortiert einen jungen Menschen." Sie sagt das ohne Effekthascherei, sondern nüchtern und klar. Im Saal hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

Konservativ zu sein, so sagt sie, sei, "an der Spitze des Fortschritts zu marschieren". Der Name Franz-Josef Strauß fällt bei ihr oft. Er habe das Agrarland Bayern zu einem Industriestandort geformt, die Generation Stoiber und Seehofer haben "Laptop und Lederhose" hinzugefügt und jetzt kommen "Dirndl und Digitales" hinzu, sagt sie und macht einen Knicks.
Ministerium als Baustelle
Offenherzig spricht sie über ihre bislang kurze Karriere als Ministerin in einem Haus, das es bis dahin noch gar nicht gegeben hat. Im Gebäude war noch kein Teppich verlegt, drei Beamte warteten auf sie und auf Anweisungen. Handwerker beauftragen, Computer kaufen, Personal einstellen. So beschreibt sie ihre Startphase. Inzwischen, so hat sie es an anderer Stelle gesagt, habe sie 60 Personen um sich geschart. "Eine Denkfabrik" soll ihr Ressort werden, erklärt sie am Rednerpult in Oberwerrn: "Dafür brauchen wir einen Turbo."
Wir wollen Bayern zu einem digitalen Premiumland entwickeln.
Judith Gerlach (CSU), Ministerin für Digitales
Ihre Jobbeschreibung ist es, auf allen Ebenen und in allen Ministerien "Dampf zu machen", weil die Digitalisierung eben fast alle Lebensbereiche berühre. Auch ihrem Kabinettskollegen Hubert Aiwanger, wenn es um "Glosfoserkobel" geht, wie Gerlach das breite Niederbayerisch des Wirtschaftsminister imitiert. Letztlich sei es auch ihr Ziel, aus Bayern ein "digitales Premiumland" zu machen.
"Doppelmoral" der Grünen
Und das in einer demokratischen Bürgergesellschaft. Womit sie bei den politischen Gegnern ist. Die AfD kanzelt sie schnell ab: Wer sich mit Hetzern und Holocaust-Relativierern umgibt, sei nicht Teil dieser demokratischen Gesellschaft. Gerlachs Siegel: nicht wählbar. Für die SPD bleibt nur Mitleid und Spott. Und da sind noch die Grünen, die zeitgleich zu Gerlachs Besuch ein paar hundert Meter weiter eine Art "Gegenveranstaltung" mit Cem Özdemir abhalten. Der posiere in den Anden vor der Kamera. Die Fraktionschefin Katharina Schulze urlaubt in Kalifornien. Gegen die neue Startbahn in München sein, aber gleichzeitig die meisten Fliegermeilen haben, ätzt Gerlach über eine "Doppelmoral": "Wasser predigen, aber Wein saufen."

CSU als revitalisierte Volkspartei
"Wir brauchen eine Revitalisierung der Volkspartei CSU", formuliert sie das Credo der Partei. Und auch das darf nicht fehlen: Bayern geht es auch so gut, weil nicht nur die politischen Rahmenbedingungen so gut, sondern die Menschen so fleißig sind. Am Ende langer und stehender Applaus.
Judith Gerlach hat aber noch lange nicht Feierabend. Lang ist die Schlange der Autogrammjäger. Frauen- und Junge Union wollen noch Fotos, die man auf Wahlkampf-Werbematerial wiederfinden wird. Judith Gerlach macht das alles lachend mit. Sie fühlt sich wirklich pudelwohl.