(ert) Eine ansehnliche Gruppe von Frauen und Männern – ein junges Paar hat sogar seine kleine Tochter mitgebracht – wartet vor dem Seiteneingang des Historischen Rathauses auf den Architekt Bernd Ehrlitzer. Der „Freundeskreis Altes Rathaus“ hatte eingeladen, Interessierten den Baufortschritt zu zeigen.
Von 1561 bis 1996 diente der prachtvolle Bau mit der Hausnummer „Am Plan 2“ den Gochsheimern als Rathaus. Dann erfolgte der Umzug der Verwaltung gleich nebenan in das jetzige Domizil. Das Rathaus bekam den Beinamen „Historisch“. Es klingt, als wollten sich die Gochsheimer damit bei den geschichtsträchtigen Mauern dafür entschuldigen, dass sie sie ihrer Aufgabe als Sitz der Gemeindeverwaltung entledigten und somit ihrer Seele beraubten. Lediglich das Erdgeschoss hatte noch eine Aufgabe: Das Gemeindearchiv und der Historische Förderkreis waren dort untergebracht.
Nach Jahren voller Sehnsucht nach einem neuen Verwendungszweck – kaum erfüllbar angesichts leerer Kassen – erwacht das Fachwerkhaus jetzt zu neuem Leben. Im Jahr 2008 wurde der Dachstuhl saniert, heuer folgt der Umbau im Obergeschoss. Geht es nach den Wünschen von Bürgermeister Wolfgang Widmaier, empfängt er bereits zur diesjährigen Kirchweih die Ehrengäste im neuen Bürgersaal. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Denn noch schaut es im Historischen Rathaus eher aus wie in einem Rohbau.
Bei der Besichtigung führt Architekt Ehrlitzer die Interessierten zuerst in den Zwischenbau zwischen Rathaus und Gaden, wo die Toiletten untergebracht sind. Ein extra Eingang von der Grettstadter Straße soll Behinderten den Zugang ermöglichen. Noch ist davon nichts zu sehen. Nur der Aufzug in den ersten Stock hat schon ein fertiges Korsett. Mit der Treppenausgestaltung – eine Abtrennung vom Eingangsbereich durch eine Glaswand auf einem 90 Zentimeter hohen Sockel – zeigt sich letztendlich auch Ehrlitzer zufrieden, auch wenn er zunächst Vollglas bevorzugt hätte. Das Treppenhaus lässt Altbürgermeister Walter Korn ein bisschen sentimental werden. „Hier war mein altes Büro. Das sind meine Fenster!“, erinnert er sich.
Die Decke, die Korns Regierungssitz einst trug, ist verschwunden; breite Betonstufen führen die Besucher jetzt in das Obergeschoss. Endlich ist der große Saal, der künftig Gochsheims gute Stube und damit der Wohlfühlraum für die Gemeinde und viele Vereine sein wird, erreicht. Praktisch veranlagte Vorfahren hatten den großen Raum einst in vier Büros geteilt. Das Türschild „Zugang zu den Zimmern 10-14“ zeugt noch davon. Jetzt sind die Zwischenwände entfernt und die ganze Pracht des Raums wird sichtbar.
Ein 40 Zentimeter dicker, reich verzierter Pfosten trägt die Holzdecke. Die Decke mit Massivholzbalken und eingehängten Bohlen ist vollständig freigelegt. An vielen Stellen war das Holz nicht mehr zu retten, und wurde bereits durch neue Bauteile ersetzt. Aber der Blick in den Dachboden ist an mehreren Stellen leider noch möglich. „Das ist der Grund, warum wir heute nicht unters Dach können“, erklärt der Architekt.
Eine scheinbar verloren dastehende Wand trennt einen Teil des großen Raums ab. Als Ehrlitzer die Schutzfolie lüftet, werden Teile bauzeitlicher Malerei aus der Entstehungszeit sichtbar. Ein Besucher entdeckt die Jahreszahl 1561 und löst damit viel Freude und Erstaunen bei den anderen Führungsgästen aus. Der Gemeinderat habe schon die Mittel für die Teilrestaurierung dieser Wand bewilligt, informiert Ehrlitzer. Teilrestaurierung deshalb, weil die noch erhaltenen Malereien aufgefrischt werden, die fehlenden Teile aber nicht wieder hergestellt werden sollen. Einzelne kleine Glaseinbauten sollen später den Blick auf den historischen Wandschmuck ermöglichen.
Die Zuhörer sind mit seinen Ausführungen zufrieden. Viele genießen die Erinnerung an die Zeit, als die Verwaltung noch hier im Rathaus war. Auch wenn viele vor allzu großer Eile warnen und für Sorgfalt vor Geschwindigkeit plädieren, ist einer über den Baufortschritt sehr erfreut: „Das könnte klappen mit der Fertigstellung bis zur Kirchweih“, stellt Hans-Jürgen Schwartling anerkennend fest.