„Früher haben wir immer gestaunt, wenn unsere Alten von früher erzählt haben, jetzt sind wir die alten Knochen.“ Karl-Peter Fuchs (Mainberg) lacht. Gemeinsam mit anderen „alten Knochen“ sitzt er im Pfarrheim von Üchtelhausen und schaut rund 50 Jahre zurück. Die ehemaligen Jugendleiter des Dekanats Schweinfurt Nord trafen sich nach 33 Jahren wieder, um in Erinnerungen zu schwelgen.
„Uns verbindet die Erinnerung an die Zeit unserer Jugendgruppen in den 1950er- und 1960er-Jahren. Gute Jugendarbeit und viel Engagement gab es“, sagt der Initiator des Treffens, Helmut Brand (Hambach). Der Nachmittag sollte zum Hermann-Hertlein-Gedächtnistreffen werden. Der ehemalige Dekanatsjugendseelsorger „Hochwürdigster Herr Hermann Hertlein“, kurz „HHHH“ oder auch der „Boss“ genannt, blitzte in allen Erzählungen auf. „Der war unkompliziert bis dort hinaus“, erzählt Alfred Kopp (Bergrheinfeld).
Pfarrer Hermann Hertlein stärkte die Gemeinschaft
Und Fuchs bestätigt das. Als er ihn einmal mit dem Auto nach Würzburg fuhr, habe ihn der Boss gefragt: „Du hast wohl schon lange nicht mehr gebeichtet.“ Nachdem er dies bejaht hatte, nahm HHHH seine Stola aus der Tasche, legte sie um und „dann habe ich halt während der Autofahrt gebeichtet“. Die Geschichten, die sich um den Boss ranken, zeigen, er war ein Original, aber „auch eine Führungs- und Respektsperson“, so Heidi Roßkopf (Schonungen). Er und sein Nachfolger Wendelin Lieb waren „glaubwürdige und dynamische Priester, die es geschafft haben, die Gemeinschaft untereinander zu stärken“, sagt Brand.
Wochenenden auf dem Volkersberg und auf der Thüringer Hütte, Urlaubsfahrten und die legendären Treffen im Metropol in der Langen Zehntstraße – HHHH war immer dabei. Geselliges war dabei ebenso wichtig wie Geistliches. Robert Gießübel (Grafenrheinfeld) ist sich sicher, als Pfarrjugendleiter hat er viel gelernt, was er später im Leben gut brauchen konnte: Organisationstalent, öffentliches Auftreten und Leitungsverantwortung. Alfred Kopp erinnert an die Zeltlager. Aus Planen habe man damals die Zelte „zusammengestüpfelt“, so einen Luxus wie Luftmatratzen habe es nicht gegeben, aber „schö war's“.
Der Pfarrer wurde als „Onkel Hermann“ ausgegeben
Und schon verbinden sich die Erinnerungen der Teilnehmer mit deutsch-deutscher Geschichte. 1958 waren sie in die DDR gefahren und hatten dort einen Gemeinschaftsnachmittag mit Jugendlichen aus Ostberlin verbracht. „Das war sehr zäh, man hat ja nicht gewusst, wer ein Spitzel ist“, meint Roßkopf. Aus dem Boss wurde bei diesen Treffen der „Onkel Hermann“, denn ein Pfarrer durfte eigentlich nicht dabei sein. „Wir waren im Zeltlager in Aidhausen, als die Mauer gebaut wurde, das war ganz schön aufregend“, erinnert sich Fuchs. Roßkopf denkt zurück an eine Berlinfahrt: Der Boss habe Beziehungen zum Schwiegervater von Romy Schneider gehabt, und so durften die Jugendleiter ins Europa-Center. Damals begannen die Unruhen in Berlin, die zur 68-Bewegung werden sollten.
Markenzeichen von HHHH war sein Motorrad. Fuchs beschreibt: „Oben schwarz, die Hosen hoch bis zu den Waden, dann Bein, bis die weißen Socken kamen.“
Hertlein war ein Genießer, erinnert sich Otto Friedrich (Werneck). „Er ist oft als erstes in die Küche gegangen und hat dort die Resteverwertung übernommen.“ Wenn die jungen Männer einen Kurzen tranken, habe der Boss immer erst mal seinen Finger ins Schnapsglas gesteckt und probiert. „Es waren schöne Zeiten“, stellt Marita Roth (Schonungen) fest.
1983 verstarb Hertlein mit nur 54 Jahren, und sogar seine Beerdigung wurde für die Jugend von damals noch zu einem besonderen Erlebnis. „Ich war nie wieder auf einer Beerdigung mit so vielen Menschen, und als wir durch Dippach gezogen sind, war es im ganzen Dorf totenstill, die Stille wurde nur von Gebeten unterbrochen“, erinnert sich Fuchs.
Aus der Jugendleiterbewegung enstanden auch Hochzeiten
Die Gemeinschaft, die Hertlein damals schmiedete, hat bis heute Bestand. Auch so manche Hochzeit entstand aus der Jugendleiterbewegung, beispielsweise die von Robert und Rita Gießübel. „Wir sind damals zur Jugend gegangen, weil's ja nichts anderes gab“, meint Gertrud Niklaus (Üchtelhausen). Heute werde die Jugend mit Angeboten überflutet. Und noch einen Unterschied stellt sie fest: „Wir sind abends um sechs fort und um zwölf heim, heute gehen die erst um zehn weg.“
Nach dem Austausch wurden Fotos von früher angeschaut, die Gerd Druckenbrod in einer Beamerschau aufbereitet hatte. Jetzt begann ein lebhaftes Personenraten und es gab so manchen Aha-Effekt: „Damals ist in Poppenhausen noch eine Dampflok gefahren!“ Beim lautstarken Singen der alten Wander- und Fahrtenlieder versetzten sich die Teilnehmer ein weiteres Mal zurück in die lebendigen Zeiten ihrer Jugend. Zum Abschied bekam jeder noch eine Plakette vom Üchtelhäuser Bildhauer Peter Vollert mit. Sie zeigt eine augenzwinkernde Eule und trägt den Titel „Hey du“.