Es war der Donnerstag, 26. Mai 1955. Am Morgen ahnte noch niemand in Gerolzhofen, dass dieser Tag in die Stadtgeschichte eingehen sollte. Völlig überraschend besuchte der Bundespräsident Theodor Heuß die Steigerwaldstadt.
Für die lokale Reporterlegende Walter Merklein muss es in der Redaktionsstube des Steigerwaldbote im Fachwerkhaus Teutsch ein stressiger Tag gewesen sein. Mitten in die hektische Zeit des Redaktionsschlusses platzte gegen 17 Uhr ein Telefonat aus Volkach, wonach der Besuch des obersten Repräsentanten der noch jungen Bundesrepublik unmittelbar bevorstünde.
Heuß befand sich seit dem 9. Mai auf Kur in Bad Kissingen und nutzte seinen Aufenthalt in Franken für kunsthistorische Ausflüge in die nähere Umgebung.
Merklein war zunächst misstrauisch und fragte deshalb sicherheitshalber telefonisch bei der Stadtverwaltung vorne am Marktplatz nach, ob das Gerücht um Heuß denn stimme. Es schien zu stimmen. Denn im Rathaus hatte bereits das nackte Entsetzen um sich gegriffen. Bürgermeister Franz Kreppel weilte auswärts, der Amtsbote versuchte krampfhaft, ihn zu erreichen. Und der 2. Bürgermeister Andreas Wächter war mit Feldarbeiten an der Frankenwinheimer Straße beschäftigt. Er fiel aus allen Wolken und glaubte zunächst an einen verspäteten Aprilscherz, als man ihm auf dem Acker die brandeilige Nachricht überbrachte.
„Im Verlauf der nächsten halben Stunde gab es einige Anzeigen, die darauf schließen ließen, dass doch etwas Wahres an der Nachricht sein müsse“, beschrieb Walter Merklein damals die Situation. Am Marktplatz postierten sich einige Beamte der Landpolizei-Hauptstation Gerolzhofen, am Rathaus wurden hektisch die Stadtfarben gehisst, Landrat Josef Eugen Held erschien am Marktplatz. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht im Städtchen und von Minute zu Minute füllte sich der Marktplatz mit Neugierigen. Schließlich schaffte es auch der abgehetzte Bürgermeister Kreppel gerade noch rechtzeitig, das städtische Empfangskomitee zu vervollständigen, als tatsächlich der Bundespräsident in Gerolzhofen eintraf.
„Wer erwartet hatte, dass Prof. Dr. Theodor Heuß mit einem riesigen Geleitschutz inmitten einer Wagenkolonne blankpolierter Limousinen ankommen würde, der hatte danebengetippt“, steht in der Heimatzeitung zu lesen. Nur von einem Fahrzeug der Landpolizei begleitet, strebte der schwarze Mercedes 300 mit dem Kennzeichen 0-001 recht unauffällig der Stadtmitte zu. Kurz nach 17.45 Uhr stoppte der Wagen vor dem Hauptportal der Stadtpfarrkirche.
Keine Zeit fürOvationen
„Die herandrängenden Zaungäste, die sich noch überlegten, wie man das Staatsoberhaupt am besten begrüßen könnte, hatten keine Gelegenheit zu irgendwelchen Ovationen.“ Heuß begab sich lächelnd direkt in die Kirche, während von den beiden Türmen die Glocken den hohen Gast willkommen hießen.
Im Steigerwalddom wurde Heuß von Bürgermeister, Landrat und Kaplan Müßig begrüßt. „Bei dem Rundgang durch das Gotteshaus, dem zahlreiche stille Beobachter beiwohnen konnten, hatten wir Gelegenheit, Prof. Heuss als feinsinnigen Kunstsachverständigen kennenzulernen, der nicht müde wurde, sich über die Kunstschätze des Steigerwalddomes, ihre Schöpfer und über geschichtliche Zusammenhänge eingehend zu informieren“, berichtete Walter Merklein. „Sichtlich beeindruckt verließ der Bundespräsident die Stadtpfarrkirche durch den Nordausgang, wo die Jugend in Scharen zusammengeströmt war, das Staatsoberhaupt aus nächster Nähe zu sehen. Der Einundsiebzigjährige machte einen sehr frischen Eindruck und die Umstehenden hörten gar manches Scherzwort aus seinem Munde.“
Ausführlich ließ sich Heuß dann über die Geschichte der 1497 erbauten Johanniskapelle berichten. „Vor allem fesselte hier die Krypta seine Aufmerksamkeit.“ Hinter den Kulissen versuchten unterdessen die Gerolzhöfer in hektischer Betriebsamkeit, den Blitzbesuch des Bundespräsidenten einigermaßen in geordnete Bahnen zu bringen. Was nicht immer sofort gelang. Denn der Lokalreporter berichtet weiter: „Dass der Schlüssel zur Eingangstür der Krypta nicht gleich zur Stelle war, störte Heuß keineswegs.“
Bürgermeister Franz Kreppel nutzte spontan die Gelegenheit, den Bundespräsidenten zur bevorstehenden 600-Jahrfeier (die 1957 gefeiert wurde) einzuladen. Lachend erklärte ihm Heuß, dass er solchen Jubiläen nichts abgewinnen könne, weil ihre historische Glaubwürdigkeit nicht selten in Zweifel zu ziehen sei. „Ihr könnt mich gerne einladen“, wird er zitiert, „aber ich werde nicht kommen.“
Überraschung im Bürgerspital
Vor dem Rathaus – dort wo heute der Marktplatzbrunnen steht – wartete inzwischen eine große Menge Buben und Mädchen, die in aller Eile mit bunten Fähnchen ausgestattet worden waren. Kaplan Müßig habe eine Lanze für die Gerolzhöfer Jugend gebrochen, steht im Steigerwaldboten zu lesen, so dass der hohe Gast sich entgegen seiner sonstigen Angewohnheit doch erweichen ließ, Autogramme zu geben.
Durch die Weiße-Turm-Straße, gefolgt von der neugierigen Menschenmenge, ging es weiter zu den prächtigen Fachwerkhäusern und zum Echter'schen Oberamtshaus, das damals als Landratsamt genutzt war. „Gänzlich überrascht waren die in der Spitalkirche versammelten Insassen des Bürgerspitals und die Schwestern, die solch hohen Besuch nicht erwartet hatten.“
Neben den Kunstschätzen in der Spitalkirche ließ sich Heuß auch die Madonna aus Unterzell zeigen, die damals in einem Raum des Spitals stand (und heute ihren Platz im Gotikmuseum gefunden hat).
Nächste Station war der Gang durch die Spitalstraße hoch zum Rathaus, wo sich der Bundespräsident in der Rüstkammer im Rahmen eines improvisierten Empfangs in das Goldene Buch der Stadt eintrug, das Stadtoberinspektor i.R. Andreas Schieber in aller Eile noch beigeschafft hatte. „Beifallfreudiges Händeklatschen grüßte das so volkstümliche und sympathische Staatsoberhaupt beim Verlassen des Rathauses.“
Blumen für den Heuß
Durch ein dichtes Spalier schritt Heuß zu seinem Mercedes, es folgten Dankes- und Abschiedsworte, ein Blumengruß von einem kleinen Mädchen – und die Fahrt ging um 18.30 Uhr zurück nach Bad Kissingen. Walter Merklein fasste den aufregenden Blitzbesuch, sicherlich einen der Höhepunkte seiner journalistischen Laufbahn, so zusammen: „Der Bundespräsident war die Ruhe selbst. Wir erlebten ihn so, wie man ihn von vielen Bildern und Schilderungen kennt: als einen Mann, der sich trotz der drückenden Bürde großer Verantwortung Herz und Sinn für die kleinen und schönen Dinge des Lebens bewahrt hat.“
In loser Folge greift die Main-Post eines der in der Facebook-Gruppe „Du bist ein echter Gerolzhöfer, wenn...“ diskutierten Themen auf. Weitergehende Informationen per Mail an den Administrator der Gruppe Klaus.Vogt@mainpost.de oder telefonisch in der Lokalredaktion Gerolzhofen unter Tel. (0 93 82) 97 20 53.