Wer das Anwesen von Edgar Nüßlein, dem Totengräber von Mönchstockheim, betritt, wird erst einmal von fünf oder sechs pechschwarzen Katzen empfangen. Schwarze Katzen und ein Totengräber – das lässt ein mulmiges Gefühl aufsteigen. Doch dann öffnet Edgar Nüßlein die Tür und lächelt den Besucher freundlich an. Vom ersten Moment an strahlt der 80-Jährige Verbindlichkeit aus – keine Spur von irgendwelchem düsteren Okkultismus.
In der behaglichen Wärme der von einem Holzofen beheizten Küche beginnt Edgar Nüßlein zu erzählen von seinem Handwerk. Viele Fragen braucht er nicht. 1967 hatte sein Vorgänger Michael Schell gekündigt. Im Dorf suchte man einen Nachfolger. "Du könntest das doch machen, du wohnst doch gleich neben dem Friedhof", hieß es. Edgar Nüßlein ließ sich breitschlagen, er nahm sich vor, es wenigstens einmal zu versuchen. Daraus sind 52 Jahre Totengräberdienst in seinem Heimatdorf geworden.
Das erste Grab war für einen Verwandten
Gleich sein erstes Grab hatte eine bittere Geschichte. Er musste es für einen Verwandten ausheben – den Bruder seiner Schwiegermutter. Nach und nach lernte Edgar Nüßlein die geologische Beschaffenheit des Mönchstockheimer Friedhofs genau kennen. Er wusste bald, wo Fels oder harter Lehm unter der Humusschicht liegen oder wo in einer gewissen Tiefe mit Wasser zu rechnen ist, kurz, ob ein einfaches oder eher schwieriges Grab auszuheben war. Seine Werkzeuge, Pickel, Spaten und Schaufel, nennt er bis heut seine "Waffen". Nüßlein bewahrt sie gut auf, obwohl er sie nicht mehr braucht.
Manche Grabbesitzer wünschten sich eine Übertiefe. Dann musste Edgar Nüßlein bis zu 2,30 Meter hinunter in den Friedhofsgrund. Die Übertiefe hat den Vorteil, dass man in einem Grab drei Särge übereinander ins Grab lassen kann. Einmal bestellte eine Familie ein solches Grab. Einer der Familienangehörigen sagte dabei: "Hoffentlich sterbe ich nicht zuerst und komme nicht ganz unten rein, sonst komme ich an Jüngsten Tag nicht mehr raus." Leicht makaber zwar, aber Edgar Nüßlein muss herzhaft lachen wie so oft in diesem Gespräch.
Ununterbrochen graben
Nicht nur in Mönchstockheim hat Nüßlein Gräber mit der Hand ausgehoben, sondern auch in den benachbarten Dörfern Michelau, Alitzheim und Sulzheim. Nüßlein hat sie nicht gezählt, aber mehrere hundert werden es wohl gewesen sein. "Manchmal bin ich gar nicht mehr heimgekommen, ich musste ununterbrochen graben. Kaum war ein Grab fertig, hat es schon wieder Schiedung geläutet." Und das, obwohl Edgar Nüßlein hauptberuflich bei der Baywa in Gerolzhofen und später bei der Baufirma Geo-Massiv arbeitete.
Die Maße des Grabes waren immer die gleichen, außer bei Kindergräbern: 80 Zentimeter breit, zwei Meter lang, und 1,80 bis 2,30 Meter tief. Edgar Nüßlein gesteht, dass ihn diese Arbeit auch später nicht unberührt gelassen hat. "In zwei Metern Tiefe zu stehen, umgeben von lauter Toten, das lässt einen nicht kalt." Auch so mancher Todesfall ist ihm an die Nieren gegangen, besonders dann, wenn jüngere Leute betroffen waren. Er selbst trat dann nicht selten auch als Trostspender in den Familien auf. Es gab aber auch andere Fälle: Da brauchten die Hinterbliebenen keinen Trost, sondern fingen schon am Leichenbett an, über das Erbe zu streiten.
Aufbahrung zuhause
In der ersten Zeit bis 1974 gab es in Mönchstockheim kein Leichenhaus. Wenn jemand starb, wurde die Leiche drei Tage lang zuhause aufgebahrt. Zu Beerdigung brachte ein mit schwarzen Tüchern behängter Leichenwagen den Verstorbenen vom Wohnhaus zum Friedhof. Aufgabe des Totengräbers war es neben dem Ausheben des Grabs auch, den Kreuzträger, die Sargträger und die Nachbarn zur Bestattung zu laden. Bei Beerdigungen dirigierte er die Träger beim Hinablassen des Sargs. Für seine Tätigkeit stellte er seine Rechnung direkt an die Hinterbliebenen.
Mit der Friedhofsbereinigung und dem Bau des Leichenhauses ging die uralte Tradition der Hausaufbahrung zu Ende. Für Edgar Nüßlein wurde die Arbeit aber eher unangenehmer. Die Gräber wurden nämlich völlig neu zugeschnitten und wenn Edgar Nüßlein wieder einmal ein neues Grab aushob, stieß er dabei nicht selten auf die noch nicht allzu alten Überreste früher Gestorbener. Da ragte zum Beispiel ein neues Grab zu einem Viertel in ein altes hinein und der Totengräber hatte plötzlich die Beine oder einen Oberkörper unter sich. "Der Verwesungsgeruch war manchmal unerträglich. Da brauchte meine Frau an manchen Tagen nichts für mich zu kochen, denn ich hatte keinen Hunger."
Edgar Nüßlein hat seine Gräber bei Frost und drückender Hitze ausgehoben. Im ungünstigen Fall dauerte es mehrere Tage, bis ein Grabschacht fertig war. Heute schafft das ein Bagger in einer halben Stunde. 1992 konnte Edgar Nüßlein seine "Waffen" in die Ecke stellen. Erst kam ein Bagger aus Steinsfeld, der für das Bestattungsunternehmen Schäfer in Sulzheim arbeitete. Auch die drei Bestatter, die heute auf dem Friedhof zugange sind, haben alle ihre Bagger. Durch ihre Arbeit wurde der klassische Totengräber abgelöst.
Immer noch offizieller Totengräber
Edgar Nüßlein ist trotzdem noch offiziell der Totengräber von Mönchstockheim. Vor zwei Jahren wurde er von Pfarrer Andreas Engert für 50-jährigen Dienst ausgezeichnet. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Bestattungsunternehmer zu unterstützen. Er hat den Schlüssel für das Leichenhaus und sperrt auf, wenn Angehörige einen letzten Blick auf den Verstorbenen werfen und sich verabschieden wollen. Er hält das Leichenhaus auch sauber und stellt die Totenlichter auf.
Im ländlichen Mönchstockheim hat sich die Friedshofs- und Bestattungskultur übrigens bei weitem noch nicht so stark verändert wie in den Städten. So lange Edgar Nüßlein Totengräber ist, hat es gerade mal zwei Urnenbestattungen gegeben. Die Erdbestattung ist immer noch das Maß aller Dinge.
Obwohl Edgar Nüßleins Metier der Tod und Vergänglichkeit sind, bezeichnet er sich eigentlich als lustigen Menschen. Gerade deshalb fragt er sich, wie er das alles in diesen 52 Jahren geschafft hat, körperlich und psychisch. Eine Antwort hat er nicht gefunden. Er entlässt den Besucher trotzdem mit einem Lachen hinaus auf die Straße, vorbei an den schwarzen Katzen.