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Der Schäfer von Stettbach

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Der Schäfer von Stettbach

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    ätten Sie anständige Schuhe an, könnten Sie mit anpacken." Schäfer Füller ist ein direkter Mensch, sein Ton mitunter rau, aber herzlich. In schlammgrünen Gummistiefeln steht er im Stall, umringt von blökenden Schafen. Vor vier Wochen sind auf dem Stettbacher Schafhof frische Lämmer auf die Welt gekommen, jetzt sollen sie raus auf die Weide.

    Seit Rainer Füller die Schule verlassen hat, hütet er Schafe. Die Sommer verbringt der 54-Jährige auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg. Das Gelände der Bundeswehr bietet mit 2500 Hektar Grünfläche schier unbegrenzte Weideflächen für die 900 Tiere und die von sechs anderen Schäfern. Ideale Bedingungen für die Wanderschafhaltung. Den Schäfer hat sie mit den Jahren eigenbrötlerisch gemacht. Von Menschen - meist sind es Bundeswehr-Angehörige - hält er sich in dem weitläufigen Gelände fern. Ein kurzes Kopfnicken, und jeder geht seines Weges.

    Die Tiere in den Hänger zu treiben, treibt Füller und seiner Frau Rita den Schweiß auf die Stirn. Von alleine laufen die Schafe kaum, die Lämmer drängen sich ängstlich an die Muttertiere. Sobald sie auf Beton treten, mähen sie laut und drängeln zurück in den Pferch, wo Stroh den Boden polstert. Rita Füller steht hinter den Tieren und verschließt mit ihrem Körper und einem Eisengitter den Rückweg. Vorne schiebt und drückt Rainer Füller die wolligen Körper. Nach minutenlangem Kräftemessen geben die Tiere nach, sie steigen auf die Rampe und in den Hänger.

    Landschaftspfleger Schaf

    Schafe sind Landschaftspfleger, vor allem das Merino-Landschaf, das besonders marsch- und pferchfähig ist. Von 76 000 in Unterfranken registrierten Schafen zählt der größte Teil zu diesem Typ. Merino-Landschafe mögen trockene Kälte - ist die Wolle gesund, halten sie Wind und Wetter aus. Gute Voraussetzungen für die raue Rhön.

    Von den Schafen auf dem Truppenübungsplatz profitieren alle: Schafe, Schäfer, Bundeswehr. Tritt, Biss und die selektive Wahl des Futters sorgen für eine einzigartige Vegetation auf dem kargen Boden. Auf dem Truppenübungsplatz wachsen Gräser, die es woanders längst nicht mehr gibt. Auf dem Areal gibt es immer frisches Futter, Schatten, trockenen Boden. Die Standortverwaltung spart sich die Mäharbeiten, und: Die Schafe bannen die Gefahr von leicht entzündlichem Heu im Sommer. Die Berufsschäfer auf dem Platz könnten draußen nicht bezahlen, was die Schafe fressen. Die Pacht ist niedrig im Vergleich zu dem, was die Bauern für ihre Äcker verlangen.

    Rita Füller hat schon frühmorgens den Proviant für den Tag eingekauft. Der Schäfer hat es eilig, ihn interessiert nicht, ob sie ihm Brötchen mit Schinken oder Knacker einpackt. Ein kurzer Gruß und Rainer Füller sitzt am Steuer des Transporters. In diesem Jahr war die Vegetation auf dem Truppenübungsplatz erst im Mai so weit. Drei Tage zog Rainer Füller mit 600 alten Tieren, 300 Lämmern und zwei Schäferhunden zu Fuß zur 20 Kilometer entfernten Sommerweide.

    Der Marsch gab ihm das Gefühl unendlicher Freiheit und hat ihn an vergangene Zeiten erinnert. Bis vor zwei Jahren lebte Füller im späten Winter zwei Monate lang mit seinen Schafen bei Frankfurt. Die Tiere auf der Weide, er im Wohnwagen. Einmal in der Woche kam er über Nacht nach Stettbach - zum Duschen und Kleiderwechseln. Die herrlichen Zeiten waren vorbei, als die Bauern die Flächen für sich beanspruchten. Jetzt überwintern die Tiere im Stall, Füller schläft im Bett.

    Auf dem Truppenübungsplatz sollen die Neuankömmlinge nicht sofort zur großen Herde, die nahe Bonnland, dem verlassenen Dorf, weidet. Durch den Transport haben sich die Gerüche der Tiere vermischt, die Lämmer müssen erst ihre Mütter wieder erkennen, bevor sie auf die fremden Tiere treffen.

    Tagsüber ist Rainer Füller bei seinen Schafen. Jeden Tag. Die ganze Woche. Meist fährt er am späten Vormittag zu Hause los. Zurück kommt er selten vor 21 Uhr. Nur drei Tage im Jahr sind anders, da macht er mit Frau und Kollegen Urlaub. Meist zieht es die Schäfer in die Berge. Heuer sind Füllers vielleicht nicht dabei, seine freien Tage hat er im Krankenhaus verbracht.

    Damit die Symbiose von Schäfern und Bundeswehr reibungslos funktioniert, verteilt die Standortverwaltung jede Woche den Schießzettel. Die Angaben, wann wo in dem hügeligen und bewaldeten Territorium Soldaten üben, sind überlebenswichtig. Es wird auch scharf geschossen. Füller hat den Zettel immer griffbereit auf dem Armaturenbrett.

    Im Pferch wartet die Herde dicht gedrängt darauf, dass Füller das Gatter öffnet. Ihr Revier für die nächsten Stunden hat er mit dem Transporter markiert. Die Schäferhunde Cora und Winnie umkreisen entlang der Autospur die Herde. Rainer Füller kann sich nicht vorstellen, anders zu leben. Schon sein Vater war Schäfer, der seit seinem 70. Geburtstag zwar nicht mehr auf die Weide geht, dessen Hobby aber noch immer Schafe sind, und die Hundezucht.

    Für Rainer Füller gibt es nichts Schöneres als bei seiner Herde zu sein. Zufriedene Tiere, Vogelgezwitscher, das satte Grün der Wiesen, das will er nicht missen. Er hasst es, wenn er zu etwas gedrängt wird, alles absprechen soll. Freiheit ist ihm ein höherer Wert als Freizeit. Den Preis dafür zahlt er gern. Fußball mag er, hat er aber nie gespielt. Dass er in Stettbach nicht mehr zuschaut, hat einen simplen Grund. Anders als heute war es ihm früher nicht so wichtig, wenn sonntags mal ein anderer nach seinen Schafen schaute.

    Seit sechs Jahren ist er nicht mehr nur Schäfer, sondern auch Züchter. Die Herde dient zur Hälfte der Zucht, der Rest ist eine Gebrauchsherde, die Tiere reine Fleischlieferanten. Füller gilt als einer der besten Züchter Bayerns und verkaufte im März beim Dettelbacher Bockmarkt einen Merino-Landschafbock für sensationelle 4500 Euro. Für Füller ist das nicht mehr als eine Bestätigung, dass er auf einem guten Weg ist.

    Als die Sonne schon hoch steht, treibt Rainer Füller die Tiere auf eine Weide im Schatten. Die meisten liegen müßig im Gras, manche saufen am Wassertank. Füller isst am Steuer des Transporters einen Knacker, dazu gibt es herb gemischten Most. Unentwegt beobachtet er die Tiere, deren Herkunft er an der farbigen Fellmarkierung erkennt. Die Bildzeitung liegt ungelesen neben der Kühlbox. Auch das Handy bleibt still.

    Schäfer-Alltag

    Der Schäfer-Alltag ist nur auf den ersten Blick idyllisch. Die Tage beginnen früh, Rainer Füller schlachtet jede Woche und vermarktet das Fleisch selbst. Klauenpflege, Stall-Desinfektion, Umbauten, Behördengänge, Hundeerziehung - Arbeit gibt es immer. Wird ein Schaf krank, sind alle gefährdet. Abends schaut er nur kurz in den Stall. Essen, Wichtiges vom Tag und Privates mit Ehefrau Rita besprechen, ein wenig Fernsehen und wieder ist ein Tag vorbei.

    Der Schäfer denkt oft über seinen Beruf nach. Er ist überzeugt, dass es ihn in wenigen Jahren so nicht mehr geben wird. Sohn Alexander (26) ist auch Schafmeister, schult aber gerade an der Landwirtschaftsschule in Triesdorf um. Marco (31) arbeitet bei einer Spedition. Die Jungen wollen geregelte Arbeitszeiten, pünktlichen Feierabend und Hobbys.

    Er sagt aber auch, dass er nie eine Frau kennen gelernt hätte, wenn er früher so gelebt hätte wie er es heute tut. Rita und er haben vor 32 Jahren geheiratet. Was das Leben an der Seite eines Schäfers bedeutet, wusste sie damals nicht. Ihres waren die Kinder, der Haushalt, das Büro, heute ist es die Schafwolle. Sie kümmert sich um die Weiterverarbeitung der cremefarbenen Wolle.

    Rainer Füller könnte sich besser vermarkten. Doch die Entscheidung zwischen Geschäftsmann und Schäfer ist unwiderruflich. Er hat nur dieses eine Leben. Und in dem steigt er gern jeden Tag wieder in seine Gummistiefel.

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