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SCHWEINFURT: Der Schalk sitzt ihm im Nacken

SCHWEINFURT

Der Schalk sitzt ihm im Nacken

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    Ein strahlendes Lächeln für die Presse:  Nach dem Einsatz eines Hüftgelenkes erholt sich Heinz August Fischer im Leopoldina-Krankenhaus. Anfang nächsten Jahres wird er 102 Jahre alt.
    Ein strahlendes Lächeln für die Presse: Nach dem Einsatz eines Hüftgelenkes erholt sich Heinz August Fischer im Leopoldina-Krankenhaus. Anfang nächsten Jahres wird er 102 Jahre alt. Foto: Foto: Katja Glatzer

    Im blauen Pyjama und dem weißen Bademantel sitzt er im Rollstuhl auf dem Gang des Leopoldina-Krankenhauses und blickt mir entgegen. Er weiß, dass sich die Presse angekündigt hat - das haben die Ärzte und sein Sohn mit ihm abgesprochen. Dennoch ist er aufgeregt, schaut mich zunächst fragend an. Kein Wunder. Schließlich geht es um ihn und sein Alter. Und um seine neue Hüfte.

    Denn Heinz August Fischer hat mit fast 102 Jahren ein neues Hüftgelenk eingesetzt bekommen. Das war vor zwei Wochen. Nach der Operation macht er gute Fortschritte, kann mit dem Rollator schon einige Schritte allein laufen. Ob er noch mal einen Marathon läuft - das wisse er noch nicht genau, sagt er augenzwinkernd.

    Wenn man sich mit Heinz Fischer unterhält, muss man schreien. Dann aber versteht er einen gut und antwortet klar und überlegt.

    Was sein Rezept ist, so alt zu werden? „Viel Bewegung an der frischen Luft. Ich habe Forstwirtschaft studiert und überwiegend im Freien gearbeitet“, erzählt er. Aber wirklich erstrebenswert sei es nicht, über 100 zu werden. „So ab 90 geht es rapide bergab“, sagt er, und ein kurzes Lächeln huscht über sein Gesicht.

    Ich sauge das Lächeln auf, streichle seine Hand. Einen so alten Menschen habe ich mir ganz anders vorgestellt - irgendwie verrunzelter, verwirrter, traditioneller, humorloser. Gerade, was seinen Humor angeht, ist er den meisten haushoch überlegen. Der Schalk sitzt ihm im Nacken, wenn er seine Missgunst über den Musikgeschmack der heutigen Jugend ausdrückt oder über die größten Fehler seines Lebens nachdenkt. „Ich habe schon öfter gedacht – das ist der größte Fehler meines Lebens.“

    Er liebt Lateinamerika

    Besonders gerührt ist Heinz Fischer, als es um seine Lieblingsorte auf dieser Welt geht. Als Forstwirtschaftler war er in vielen Ländern unterwegs, doch sein Herz schlägt für Lateinamerika. Dort hat er viele Jahre gelebt – erst in Mexiko, dann in Peru, später in Ecuador. Was für ein Zufall, denke ich. Denn auch mein Leben ist eng mit Lateinamerika verbunden. Ich erzähle ihm, dass ich in Chile gelebt habe. „Podemos hablar en castellano entonces“ (Dann können wir ja spanisch reden)“, sagt er, und seine Augen glänzen. Plötzlich bahnen sich Tränen den Weg über seine Wangen.

    Er erzählt, dass er 1945 die Tochter des peruanischen Generalkonsuls in Mexiko heiratete und Vater von vier Kindern wurde. Inzwischen ist er elffacher Großvater und sechsfacher Uropa. Und geistig und körperlich noch relativ fit. So fit jedenfalls, dass das Ärzteteam um Matthias Blanke – Chefarzt für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie im Leopoldina – entschied, ihm nach einem Schenkelhalsbruch und fortgeschrittener Arthrose ein neues Hüftgelenk einzusetzen. Fischer, der seit einigen Jahren im Schweinfurter Augustinum wohnt, ist einer der ältesten Zeitzeugen, hat den ersten und zweiten Weltkrieg miterlebt, viele Erfindungen und technische Neuerungen mitbekommen.

    Besonders beeindruckt ist er von der medizinischen Entwicklung des vergangenen Jahrhunderts. Aber auch die Geschichte des Fernsehens konnte er von Anfang an mitverfolgen. „Am liebsten schaue ich Tier- oder Naturfilme“, erzählt er. Was sonst könnte einen waschechten Forstmenschen mehr interessieren? Nicht verwunderlich also, dass zu seinen Lieblingsbüchern Tierbücher und Atlanten zählen.

    Auch Zeitung liest er noch gerne. Allerdings stünden da oft so neumodische Ausdrücke drin, die er nicht verstehe. Ich grinse, gelobe Besserung bei meinen nächsten Texten. Aber nur, wenn er mir verrät, was ihn am meisten ärgert. „Unsere Politiker, die Politik nur für sich selbst machen.“

    Nur bei Kanzlerin Angela Merkel lässt er Milde walten: „Ich traue ihr zu, dass sie sich für unser Land einsetzt.“ Manchmal ärgert ihn auch, dass der heutigen Jugend der Respekt vor dem Alter fehlt. „Das war zu meiner Zeit ganz anders.“

    Als das Schmerzlichste, was einem im Leben passieren kann, bezeichnet er menschliche Enttäuschungen. „Ich glaube und hoffe, dass ich nicht viele meiner Mitmenschen enttäuscht habe“, sagt er, und blickt nachdenklich. Dankbar ist er für sein langes und erfülltes Leben und hofft, dass es ihm nach dem Krankenhausaufenthalt und der anschließenden Reha wieder besser geht.

    Vor seiner „letzten großen Reise“ habe er keine Angst. „Sehen Sie, wenn man so alt ist wie ich, da wünscht man sich manchmal, es wäre so weit.“ Wieder huscht ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Ich drücke seine Hand, stelle ihm noch eine Frage, mit der sich auch der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges in einem seiner Gedichte beschäftigt hat. Was, wenn er sein Leben noch einmal leben könnte? Eigentlich weiß ich die Antwort schon. „Ich würde es wieder genauso tun“, sagt er mit fester Stimme.

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