Wer den Raum betritt, möchte unwillkürlich der jungen Frau zunicken, die da links in der Ecke sitzt. Sie scheint in Gedanken versunken, also möchte man sie nicht weiter stören. Aber schon auf den zweiten Blick wird klar, dass die junge Frau eine Skulptur ist. Wie konnte man das übersehen? Sie ist aus Ton – ihre Haut, ihre Haare, ihre Kleider. Und doch hat sie diese lebendige Ausstrahlung. Würde sie plötzlich den Kopf drehen, es würde niemanden wundern.
Die Schöpferin der Figur ist Hilde Würtheim. Die Künstlerin, Jahrgang 1953, die in Würzburg lebt, hat in lebensgroßen Tonfiguren ihre Form gefunden. Es sind meist Frauen – Porträts und freie Arbeiten. In der Eventgalerie in der Neuen Gasse zeigt sie bis 31. Januar zehn solch frei gestalteter Frauenfiguren – sitzend oder stehend, umgeben von einer Aura innerer Ruhe, ein leises Lächeln auf den Lippen, den freundlichen Blick in unbestimmte Ferne gerichtet. Einzige Ausnahme: Die junge Frau im Eingangsbereich, die breitbeinig mit verschränkten Armen dasteht und den Neuankömmling mit mehr als einem Hauch schlechter Laune herauszufordern scheint.
Früher hat sie gezeichnet, gemalt und modelliert, seit einiger Zeit ist die Arbeit in Ton ihre Hauptbeschäftigung. In der Galerie sind auch Zeichnungen und Gemälde zu sehen, aber er sind die Skulpturen, die den Raum auf eine ganz selbstverständliche, unspektakuläre Weise beherrschen.
Hilde Würtheim kommt kaum hinterher – bis Mai stehen sechs Ausstellungen an. „Ich brauche immer Nachschub“, sagt sie. 100 Stunden arbeitet sie an einer Figur. Rund 14 Tage muss der Ton trocknen, bevor er anderthalb Tage bei 1240 Grad gebrannt wird. Die getrocknete Figur kurz vor dem Brennen ist höchst zerbrechlich – „ein Ei ist Beton dagegen“ –, die gebrannte, mit Pigmentfarben bemalte, ist wetterfest und nahezu unzerstörbar.
Es gibt nicht viele Künstler, die so großformatig in Ton arbeiten, für Hilde Würtheim ist es inzwischen Alltag: „Das geht, wenn man weiß, was der Ton macht, und der Ton macht, was ich will“, sagt sie. Zu den freien Arbeiten inspiriert sie vielleicht ein Bild, eine bestimmte Haltung. Wenn sie dann anfängt zu arbeiten, verselbstständigt sich die Figur. Sie bekommt eine eigene Dynamik, und zum Schluss hat der Betrachter das Gefühl, einem Individuum zu begegnen, obwohl Hilde Würtheim – auch bei den Porträts – stilisiert und reduziert arbeitet.
Der Charakter, die Ausstrahlung der Figuren liegt – ähnlich wie bei den Arbeiten von Stephan Balkenhol – nicht im minutiös ausgeführten Detail, sondern in etwas Anderem. Es ist vielleicht die Stimmigkeit der Proportionen, vielleicht ein ganz bestimmtes Gespür, mit dem Hilde Würtheim Antlitze formt und so innere Wahrheiten zum Vorschein bringt. Als Papst Innozenz X. das Porträt sah, das Velázquez 1650 von ihm gemalt hatte, soll er ausgerufen haben: „Troppo vero!“ – zu wahr. Hilde Würtheim hat eine solche Reaktion nur einmal erlebt: Eine Frau, die sie in Ton porträtiert hatte, fand sich zu alt dargestellt.
Hilde Würtheim: Skulpturen, Malerei, Zeichnungen. Eventgalerie, Neue Gasse 35. Vernissage am heutigen Mittwoch, 26. November, 19 Uhr. Bis 31. Januar.