Der Sturm ist spürbar. Es zieht im Zuschauerraum. Die Luft kühlt ab. Im Hintergrund der schlichten Bühne (Gralf-Edzard Habben) – ein Schlafzimmer inmitten eines Gartens – auf die zunächst Äpfel, später Totenköpfe bollern, haben sich die beiden Flügel eines mächtigen Fensters geöffnet. Durch sie drängen etwas seltsame Figuren herein, stellen sich um das Krankenbett, in dem ein älterer Mann liegt. Er wird uns durch den Abend begleiten. Er ist „Ich“, unverkennbar der Autor Peter Handke, der in „Immer noch Sturm“ den Zweiten Weltkrieg aus Sicht der unterdrückten Minderheit der Slowenen in Kärnten beleuchtet. Sie hat sich über politische Glaubensgrenzen hinweg zum militärischen Widerstand, dem einzigen überhaupt innerhalb des Reichs, zusammengeschlossen und sogar Siege errungen.
Handke erzählt diese Geschichte, die nie so recht in die Geschichtsbücher gefunden hat (Dramaturg Helmut Schäfer weist darauf vor Beginn der Aufführung hin), als Familienepos und spannt einen Bogen von 1936, dem für die Bauern verklärten „Jahr von Sonne und Schnee“, über 1942, als die Besatzer allgegenwärtig sind, und die slowenische Sprache geächtet ist, bis 1945, zur Befreiung und die kurze Zeit der Hoffnung auf Freiheit, die im Geschacher der Mächte aber doch wieder verloren geht.
Roberto Ciulli spürt den Minderheiten nach
Der inzwischen über 80-jährige Roberto Ciulli, Hausherr im „Theater an der Ruhr“, hat zeit seines Theaterlebens dem Leben der Minderheiten nachgespürt, mit Theaterleuten in Osteuropa, Asien und Nordafrika gearbeitet und in diesen Ländern deutsche Stücke gezeigt. Vor vier Jahren ist die Inszenierung von „Immer noch Sturm“ entstanden, die jetzt im Schweinfurter Theater immer noch taufrisch, ungemein intensiv, von einem überwältigend guten Ensemble gespielt, zu erleben war.
Im Jaunfeld, einem Tal zwischen Saualpen und Karawanken, schreitet der Erzähler (ein leichtdistanzierter Herr: Volker Roos) die Lebensstationen seiner Familie ab, die der Krieg zerreißt. Seine Onkel werden zum Militärdienst herangezogen, zwei fallen, einer, der doch eigentlich schwächelnde einäugige Gregor (Klaus Herzog) schließt sich den „Grünen Kadern“ an, wird, wie seine resolute und in der Familie ungeliebte Schwester Ursula (spröde und schließlich in Uniform mächtig aufdrehend: Dagmar Geppert), Kader des Widerstands, während die andere Schwester (Petra von der Beek) heftig verliebt das Kind eines deutschen Soldaten erwartet.
Erzählt wird ein Traumspiel
Ciulli erzählt das als Traumspiel, lässt die feine poetische Sprache Handkes aus sich heraus wirken. Herrlich, wenn der kauzige Großvater (Rupert J. Seidl) gegen das Neue wettert, sich die neuen Worte der Deutschen verbittet, aber auch „Tragödie“ und „Liebe“ nicht hören kann.
Ergreifend die Großmutter (Simone Thoma), die mit feinem Minenspiel das Geschehen kommentiert und beim Lesen der Feldpostbriefe ihrer Kinder feststellt, dass man sich ohne Krieg wohl nie geschrieben hätte.
Einige Kürzungen wären guit gewesen
Der Abend nimmt gefangen. Dreieinhalb Stunden sind aber auch recht lang. Mit dem sendungsbewussten Handke ist oft doch der politische Essayist durchgegangen. Ein paar kräftige Striche hätte man sich schon gewünscht.