Deutscher oder türkischer Pass? In diesem Jahr stehen einige tausend junge Erwachsene vor dieser entscheidenden Frage, sechs davon laut dem Amt für Meldewesen und Statistik in Schweinfurt.
Nach dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht aus dem Jahr 2000 hatten sie als Kinder automatisch den deutschen Pass erhalten, wenn mindestens ein Elternteil legal und dauerhaft in Deutschland lebte. Mit dem 18. Lebensjahr müssen sich die türkischen Jugendlichen nun entscheiden: Nehmen sie den Pass ihrer neuen Heimat an, oder bleiben sie ihren Wurzeln treu?
„Viele nehmen höchstwahrscheinlich die deutsche Staatsbürgerschaft an“, meint Ali Serdar von Ditib, dem größten türkischen Verein in Schweinfurt. Einerseits wegen des Wahlrechts, aber auch wegen der Sicherheit, die ein deutscher Pass biete. Er glaubt, dass sich viele Jugendlichen sehr stark mit Deutschland identifizieren. Die Zahl derer, die einen deutschen Pass beantragen, sei derzeit rückläufig. Viele würden zwar gerne die doppelte Staatsbürgerschaft haben, seien jetzt aber enttäuscht, weil das nach dem Gesetz von 2000 nicht mehr möglich ist. Diejenigen, die im Jahr 2000 höchstens zehn Jahre alt waren, dürfen zumindest bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres beide Pässe behalten, aber dann müssen auch sie sich entscheiden.
Die doppelte Staatsangehörigkeit spiegelt wohl eher die Gefühlslage der in Deutschland lebenden jungen Türken wider. Meral Kücük ist 26 Jahre alt und lebt seit ihrer Geburt in Schweinfurt. Auch sie hätte gerne beide Pässe. „In der Türkei sehen sie mich als Deutsche und in Deutschland als Türkin.“
Obwohl sie Deutschland sehr dankbar für ihre gute Ausbildung ist und außerdem gerne wählen würde, möchte sie nicht vom türkischen auf den deutschen Pass wechseln. Sie möchte sich nicht bewusst gegen eines der beiden Länder entscheiden. Den türkischen Pass hatte sie als Kind automatisch erhalten. „Meine Wurzeln sind türkisch, mein Verstand deutsch“, so die Friseurmeisterin.
Die 35-jährige Türkan Kulenovic ist vor einigen Jahren bewusst diesen Schritt gegangen und hat den türkischen gegen den deutschen Pass getauscht. Auch sie sieht den Vorteil, endlich wählen zu können. Hinzu kommt, so die Mutter von zwei Kindern, dass der türkische Pass jedes Jahr verlängert werden muss. Das kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit, weil sie dafür nach Nürnberg zum türkischen Konsulat fahren musste. „Auch für die Kinder ist der deutsche Pass vorteilhafter“, sagt Türkan Kulenovic. Und im Ausland werde man als Deutscher einfach durchgewunken.
In sechs Jahren muss auch ihre zwölfjährige Tochter Cennet wählen. Da sie hauptsächlich mit deutschen Kindern befreundet ist und kaum eine Verbindung zur Türkei hat, wird sie sich wohl für den deutschen Pass entscheiden. Türkische Kinder und Jugendliche mit deutschen Freunden gibt es immer häufiger. Auch die Bereitschaft, zu Hause deutsch zu sprechen, wächst, wie eine Langzeitstudie der Universität Würzburg zeigt. Heinz Reinders von der Uni Würzburg hat gegenüber der Süddeutschen Zeitung gesagt: „Wir werden staunen, wie hoch in den nächsten fünf Jahren die Zustimmung zum deutschen Pass sein wird“.
Laut Ali Serdar haben bei Ditib, dem größten türkischen Verein in Schweinfurt, 80 bis 90 von 450 Mitgliedern den deutschen Pass. In diesem Jahr sind es deutschlandweit 3300 Jugendliche, die volljährig werden und sich bis zum 23. Lebensjahr von der doppelten Staatsbürgerschaft trennen müssen. 2018 werden es schon 50 000 sein.