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SCHWEINFURT: Die Aale im Pferdekopf

SCHWEINFURT

Die Aale im Pferdekopf

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    Gastspiel in Schweinfurt: „Die Blechtrommel“ von Günter Grass in einer Inszenierung der Schauspielbühnen Stuttgart.
    Gastspiel in Schweinfurt: „Die Blechtrommel“ von Günter Grass in einer Inszenierung der Schauspielbühnen Stuttgart. Foto: Foto: Sabine Haymann

    Für Günter Grass war es der Durchbruch. 1959 erschien „Die Blechtrommel“, sein größter Roman, die Aufarbeitung der deutschen Geschichte der Jahre 1930 bis 1950, zunächst auch wegen seiner bisweilen derben Sprache, der eindeutigen sexuellen Szenen nicht unumstritten, aber schließlich als der (!) Nachkriegsroman kanonisiert und mit dem Literatur-Nobelpreis gekrönt.

    Dass man die 800 Seiten des Buchs auch szenisch verarbeiten kann, hat Volker Schlöndorffs Verfilmung bereits bewiesen, und in Frankfurt hat es auch eine überzeugende Bühnenfassung gegeben.

    Nun hat Volkmar Kamm den Stoff für das Alte Schauspielhaus Stuttgart sehr dynamisch in Szene gesetzt und dabei nichts ausgelassen, was man in der Erinnerung mit der Blechtrommel sofort verbindet. Die Zeugung unter den vier Röcken auf dem kaschubischen Kartoffelacker, die Aale im Pferdekopf oder das erotische Spielchen mit dem Brausepulver und der Spucke.

    Oskar Matzerath, der als Dreijähriger glaubt, seine geistige Entwicklung mit der Geburt schon abgeschlossen zu haben, will nicht mehr wachsen. Er ist die Hauptperson. Mit der von der Mutter geschenkten Trommel terrorisiert er die verlogene Erwachsenenwelt und mit seinen Schreien lässt er Glas zerspringen. Er erzählt die Geschichte im Rückblick, aus der Perspektive des Erwachsenen, der seine frühen sexuellen Erfahrungen in der Familie und im Bekanntenkreis gesammelt hat, der das Aufkommen der Nazis erlebte, der im Krieg die Soldaten unterhielt, der es in der jungen Bundesrepublik als Aktmodell und Jazzmusiker zu einigem Erfolg brachte und doch in der Heilanstalt landete.

    Tempo kostet Tiefe

    Raphael Grosch spielt ihn großartig. Meist auf Knien. Er ist ein genauer Beobachter, der mit seinen Trommelschlägen die Dinge kommentiert, der versteht, dass er nicht vor der Bühne, sondern auf der Bühne stehen muss.

    Wie der Roman reiht die Bühnenfassung die über 40 Kapitel schlaglichtartig Szene für Szene aneinander und entwickelt dank der Drehbühne (sehr stimmig die Ausstattung von Alexander Roy) ein ungeheures Tempo. Das jedoch geht zu Lasten der Tiefe. Dort, wo man sich ein wenig Verweilen gewünscht hätte, wird schon die nächste Sau durchs Dorf gejagt.

    Stark und ergreifend die Begegnung mit dem Ostflüchtling, dem Juden Fajngold, oder, wenn Oskar erzählt, wie sein Vater am Parteiabzeichen erstickt ist, das er vor den russischen Soldaten verstecken wollte. Verschenkt die Szene in der Schule und nur mäßig unterhaltsam, denkt man an den Film zurück, wenn Oskar den Aufmarsch der SA, dargestellt mit Marionetten, per Trommelschlag in einen Walzertanz verwandelt.

    Darum ist das ein Abend im Schweinfurter Theater, der zwiespältige Gefühle hinterlässt. Zu erleben war ein mitreißendes Ensemble, aus dem neben Grosch auch Jens Peter Brose unter anderem als Alfred Matzerath hervorstach. Dass Elisabeth Hütter als Gretchen, Bäckersgattin und Aktmodell die Knallcharge geben musste, ist unverständlich. Karl-Heinz Körblein

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