In wenigen Wochen wird das letzte Band auf der A 71 feierlich durchtrennt: Die letzten elf Kilometer in Nordthüringen zwischen Sömmerda und der B 85 nordwestlich von Kölleda werden eröffnet. Dann ist 19 Jahre nach ihrem Baubeginn und zehn Jahre nach der Freigabe des bayerischen Teils die A 71 nun durchgängig befahrbar – vom Dreieck Werntal bei Schweinfurt bis zum Dreieck Südharz in Sachsen-Anhalt, wo die Magistrale auf die A 38 (Göttingen–Halle) trifft.
Eines der Projekte der deutschen Einheit
Der Bau war eines von 17 „Projekten der deutschen Einheit“, die die Verkehrsverbindungen zwischen den neuen Ländern und der alten Bundesrepublik stärken sollten. Gesamtvolumen: fast 40 Milliarden Euro. Natürlich ging es in erster Linie um den wirtschaftlichen Aufschwung und den Transport von Wirtschaftsgütern – vornehmlich von West nach Ost. Unter der Nummer 16 sind die Autobahnen 71 (Erfurt–Schweinfurt) und 73 (Suhl–Coburg) gelistet.
In Thüringen waren die Pläne kaum umstritten, während dagegen im bayerischen Teil die Widerstände enorm waren. Tausende gingen auf die Straßen, um gegen den Bau zu protestieren. Ihr Hauptargument: Es würde ausreichen, die B 19 und die Bahnlinie Schweinfurt–Erfurt auszubauen.
Die Anrainergemeinden waren hin-und hergerissen
Die unterfränkischen Anrainergemeinden waren hin- und hergerissen zwischen der Furcht vor Flächenverlust, Lärmbelästigung und Trinkwasserverschmutzung sowie der Hoffnung auf eigenen wirtschaftlichen Nutzen. „Die A 71 hat eine Schlüsselfunktion für den Aufschwung im Zonenrandgebiet“, sagte ein Ministeriumsvertreter 1999 beim Spatenstich in Hain (Lkr. Schweinfurt). Nicht alle Erwartungen sind in Erfüllung gegangen.
Von den damals genannten Zahlen – 40 000 Fahrzeuge am Tag – ist die A 71 weit entfernt: Im bayerischen Teil zählt die Bundesanstalt für Straßenwesen zwischen 12 000 (Mellrichstadt) und 22 000 (Werntal-Dreieck); bei Erfurt sind es 30 000.
Angesichts dieser Werte hält Peter Möhringer (Poppenhausen) den Bau auch heute für unnötig; er war einer der Protagonisten, die sich in der „Bürgeraktion B 19/A 81“ gegen das Projekt engagiert hatten: „Es ist verschwendetes Geld.“ Er nimmt den damaligen Abgeordneten Hans-Josef Fell, Susanne Kastner und Frank Hofmann immer noch übel, in der rot-grünen Regierungszeit die A 71 nicht gestoppt zu haben.

Möhringer hielt unter anderem Reden auf den „Golan-Höhen“ bei Geldersheim (Lkr. Schweinfurt), einem Erdhaufen, auf dem die Gegner drei Kreuze aufgestellt hatten. In kirchlichen Prozessionen zogen sie immer wieder dorthin, erinnert sich Oliver Brust, der als Kind mit der Blaskapelle Chopins Trauermarsch intoniert hat: „Sehr emotionale Momente.“ Heute ist Brust Bürgermeister seines Heimatorts.
Protest hat geholfen: Beim Lärmschutz nachgebessert
Die Magistrale sei mit dem Dorf „verträglich“, bilanziert er. Der Protest habe sich aber gelohnt: Dadurch sei während des Baus vor allem beim Lärmschutz nachgebessert worden. In die gleiche Richtung argumentiert auch Brusts Amtskollege Matthias Klement (Maßbach, Lkr. Bad Kissingen) sowie dessen Vorgänger Johannes Wegner – früher selbst Autobahngegner. Für Poppenhausen (Lkr. Schweinfurt) sieht Bürgermeister Ludwig Nätscher beim Lärmschutz heute noch Nachholbedarf.
Fraglos haben Thüringer und Franken durch die Magistrale schneller zueinandergefunden. Das zeigen die Pendlerströme aus dem nördlichen Nachbarbundesland: 28 Prozent der 124 000 Pendler zieht es laut einer Studie nach Bayern. Die meisten dieser 34 000 Arbeitnehmer, die tage- oder wochenweise im Freistaat ihr Geld verdienen, nutzen die Autobahnen 71 und 73. Der Radiosender „MDR Jump“ fährt sonntagabends ein eigenes Wunschprogramm für sie.
Schneller nach Schweinfurt und Würzburg
Auch Pendler aus der Region wissen die Fernstraße zu schätzen: Die Bürgermeister Klement und Nätscher registrieren, dass ihre Einwohner deutlich schneller Arbeitsplätze und Einkaufsmöglichkeiten in Schweinfurt und Würzburg erreichen können. „Poppenhausen ist für den Zuzug von Neubürgern interessanter geworden“, sagt Nätscher.

Der wirtschaftliche Boom, wie von einigen prognostiziert, ist aber in großen Teilen an den Anrainergemeinden vorbeigezogen: Auf Maßbachs Gewerbegebiet bei Poppenlauer steht einsam eine Werbetafel. Auch bei Rödelmaier (Lkr. Rhön-Grabfeld) ist das geplante Gewerbegebiet nicht realisiert. Bei Oerlenbach (Lkr. Bad Kissingen) beginnt sich das Areal erst jetzt zu füllen, was hauptsächlich am Ärger mit dem Bundesrechnungshof über die Frage der Anbindung gelegen hat.
Freie Fahrt von Erfurt nach Schweinfurt
In Geldersheim ist das Gewerbegebiet voll, hat sich nach Brusts diplomatischen Worten aber „anders entwickelt“ als geplant.
Zuwachs von Logistikunternehmen
Bereits vor fünf Jahren sagte Rudolf Trunk von der IHK Würzburg-Schweinfurt, das Fehlen größerer Gewerbegebiete dürfe man nicht als Indiz für eine fehlgeschlagene Planung ansehen. Die A 71 müsse großräumiger betrachtet werden. Zumindest hat die Fernstraße dem Zuwachs von Logistikunternehmen im Schweinfurter Speckgürtel gutgetan.
Hoffnungen setzen Geldersheim und Niederwerrn jetzt auf die Umwandlung der ehemaligen US-Kaserne Conn in Industrie- und Gewerbeflächen; sie liegt einen Katzensprung von der A 71 entfernt. Bürgermeister Brust: „Mit der Bahn- und Autobahnverbindung haben wir optimale Voraussetzungen.“
Die Autobahn 71 in Zahlen
2,5 Milliarden Euro kostet die A 71 inklusive Grunderwerb; veranschlagt waren 5,4 Milliarden Mark (2,76 Milliarden Euro). Der unterfränkische Teil (55 Kilometer) macht 450 Millionen Euro aus. In Nordthüringen wäre die Straße ohne EU-Mittel Stückwerk geblieben.
11,25 Millionen Euro kostet im Durchschnitt jeder der 222 Kilometer. Damit ist die A 71 der teuerste Autobahnneubau in der Geschichte der Republik – auch wegen der sieben Tunnel.
22 000 Fahrzeuge passieren jeden Tag die A 71 am Werntal-Dreieck. Zum Vergleich: Auf der A 7 bei Wasserlosen werden täglich 41 400 Fahrzeuge gezählt.
7916 Meter misst der längste Straßentunnel und durchbohrt den Rennsteig.
627 Meter ist die längste Brücke auf bayerischer Seite. Sie überspannt das Lauertal bei Münnerstadt.
39 große Brückenbauwerke sind nötig, um den Verkehr durch die hügelige Vorrhön und die Berge des Thüringer Walds zu führen.
21 Flurbereinigungsverfahren ordnen auf baye- rischer Seite 11 000 Hektar Ackerfläche neu. Einige, wie in Geldersheim, laufen heute noch.
3 Tank- und Rastanlagen sind geplant. „Mellrichstädter Höhe“ und „Thüringer Wald“ bei Gräfenroda sind schon in Betrieb.
1 Steinbruch überquert die A 71 mit der Schindgraben-Brücke. Wenn dort gesprengt wird, wird der Verkehr angehalten. Text: mjs