Dann wurde der heute 54-Jährige arbeitslos. Er bezog Leistungen von der Arbeitsagentur, die auch Beiträge zur Rentenversicherung für ihn weiter zahlte - bis er als Langzeit-Arbeitsloser zum 1. Januar 2005 in die Zuständigkeit der städtischen Hartz-IV-Stelle wanderte.
Echte Arbeit bekam er dort nicht, aber nach wenigen Monaten war er aus der Leistung gedrängt.
"Bin dann zum ersten Mal seit 1. 12. 1966 nicht rentenversichert", schrieb Jochen Stein letzten September in einer langen, detaillierten Auflistung seiner "Odyssee durch den Behördendschungel" an Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser.
"Von einem, der auszog, Hartz IV zu erleben und zu verstehen", war sein Brief übertitelt. Kurz zuvor hatte er von der Stabsstelle für Beschäftigung und Grundsicherung die Mitteilung erhalten, dass sie sich ab September 2005 für ihn nicht mehr zuständig sehe und keine Leistungen mehr erbringen werde, auch nicht für die Rente.
Wenn nämlich Steins Ehefrau von der Steuerklasse IV in die Klasse III wechsle - was zumutbar sei - ergebe sich ein höheres Nettoeinkommen, das für beide ausreichend sei.
Erst Mitte Oktober bekam er einen richtigen Bescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung. Für ihre Entscheidung zog die Stabsstelle ¶ 2 Abs. 1 SGB II heran, wonach "erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen" müssten. Dazu gehöre auch der Steuerklassenwechsel.
Damit schied Stein als Zahlungsempfänger aus - und auch als Vermittlungsfall. Diesbezüglich war er jetzt wieder im Zuständigkeitsbereich der Arbeitsagentur gelandet.
Tatsächlich eine absurde Odyssee: Im Januar 2005 wurde er von der Kornacher Straße (Agentur für Arbeit) hin zum Rückert-Platz verschoben (städtische Hartz-IV-Stelle) und neun Monate später wieder zurück in die Kornacher Straße. Der einzige Unterschied für Stein: Jetzt bekam er gar kein Arbeitslosengeld mehr. Arbeitslos war er weiterhin.
Zwischenzeitlich, zum 1. März 2005, hatte Stein über das Arbeitsförderungszentrum (afz) in Schweinfurt einen von der Stabsstelle verordneten 1-Euro-Job (Gemeinwohl-Arbeit) bei der Bundesgeschäftsstelle einer Selbsthilfe-Organisation angetreten.
Er sei dort sehr gut zurecht gekommen und habe schon Gespräche über eine reguläre Anstellung geführt, sagt Stein, als sein afz-Zuständiger ohne vorherige Rücksprache mit ihm einen neuen Arbeitsvertrag für Juli bis Dezember an den Arbeitgeber gesandt habe - wieder "gemeinnützig", diesmal für 1,50 Euro die Stunde.
"Wie soll ich richtige Arbeit bekommen, wenn der Vermittler selbst so ein Dumpingangebot macht", fragt sich der 54-Jährige. Er war stinksauer.
Natürlich wurde er nicht fest eingestellt. Wenn das so gelaufen ist, sei das nicht im Sinne des Erfinders, räumt Torsten Kröckel von der Stabsstelle ein. Doch 2005 noch seien die 1-Euro-Jobs übers afz organisiert worden, seit 2006 mache dies die Stabsstelle in eigener Regie.
Zu spät für Stein. Er sieht sich als einer, der Zeit seines Lebens gearbeitet hat, von der Hartz-IV-Stelle einfach nur schlecht behandelt. Die habe alles unternommen, um ihn als Leistungsempfänger loszuwerden - mit Nachteilen bei der Rentenzahlung und Einkommensverlust beim 1-Euro-Job - und alles unterlassen, ihn in Arbeit zu bringen. "Seit Januar 2005 nicht ein Job-Angebot", sagt Stein, statt dessen ohne Rücksprache die 1-Euro-Job-Verlängerung.
Die Stabsstelle wiederum sieht sich mit ihrer Entscheidung - Berechnung des Einkommens der "Bedarfsgemeinschaft" nach der besseren Steuerklasse - rechtlich auf der sicheren Seite. "Wenn er das anzweifelt", fragt Alois Kraus von der Rechtsstelle der Stabsstelle, "warum hat er nicht geklagt?"
Weil er die Anwaltskosten scheute, räumt der Mittfünfziger ein. Von Hartz IV und einem Euro die Stunde lasse sich nicht viel auf Seite legen. Stein ist dennoch glücklich. Er hat Arbeit gefunden: sozialversicherungspflichtig, Vollzeit, ab 1. Oktober - nach eigener Bewerbung auf ein Inserat dieser Zeitung.
Von der Stabsstelle der Stadt und von der Arbeitsagentur habe er in den 21 Monaten, in denen sie abwechselnd für ihn zuständig waren, kein einziges Beschäftigungsangebot erhalten, versichert er.