Das Getreide 2011 ist weitgehend vom Feld. Für die Landwirte ist die Arbeit rund ums Korn für dieses Jahr größtenteils vorbei. Nicht jedoch für den Agrarhandel. Edgar Seuferling beispielsweise vom Agrarhandel Wolf hat längst nicht mehr nur zur Erntezeit, sondern im Grunde das ganze Jahr über alle Hände voll zu tun, Getreide einzukaufen und – natürlich möglichst gewinnbringend – wieder an Kunden abzusetzen.
Während des einstündigen Gesprächs mit dem Geschäftsführer von Wolf Agrarhandel klingelt das Telefon mindestens zehnmal. Hier eine Kaufanfrage aus Belgien, dort eine aus Italien. Ständig hat Seuferling den Bildschirm vor Augen, über den die aktuellen Weizenkurse an der Pariser Rohstoffbörse Matif flimmern.
208,5 Euro pro Tonne Weizen – das ist der aktuelle Stand an diesem Mittwoch kurz nach 11 Uhr. Für Seuferling ist das die inzwischen unverzichtbare Messlatte, an die er seine eigenen Preisverhandlungen mit Anlieferern und Abnehmern anlehnt.
Erste Station der Preisfindung ist die Qualitätsprüfung vor Ort. Und hier sieht es generell gut aus beim Weizen. Auf den ausgedünnten Beständen standen zwar weniger Körner, die dafür aber voll ausgereift und schwer sind.
Qualität ist wichtig, denn gefragt ist im Moment gerade der Eliteweizen für die Lebensmittelherstellung. Durch die immer weiter um sich greifenden Aufback-Automaten in Supermärkten ist hohe Qualität erforderlich. Denn solche Automaten haben nun mal nicht das handwerkliche Geschick eines Bäckers, der auch aus einem weniger wertvollen Mehl noch etwas zustande bringt.
Nach der Qualitätsfeststellung des angelieferten Getreides kommt es zur Bewertung,. „Hier ist es mir immer noch am liebsten, der Landwirt tritt mit einer festen Preisvorstellung an. Wenn einer 200 Euro für die Tonne will, kann ich entweder ja oder nein sagen.“Ansonsten bleibt nur noch, sich am Matif–Kursindex zu orientieren. Deshalb ist die Pariser Börse für Seuferling nach wie vor kein Instrument der Spekulation, sondern eines fairen Handels.
Der Geschäftsführer ist längst zu einem Global Player geworden, der stets hellwach sein und möglichst alle Marktentwicklungen im Auge haben muss. „Bei den ständigen Preisschwankungen und der Menge von 70 000 bis 80 000 Tonnen Getreide, die wir im Jahr handeln, kann einem manchmal schon angst und bange werden“, bekennt Seuferling.
Wie sehr die Märkte weltweit vernetzt sind, zeigt das Beispiel Raps. Hier dachten die Bauern hierzulande, die Menge ist heuer gering, also muss der Preis hoch sein. Das war aber ein Fehlschluss. „Eine Ölmühle kommt nämlich mit Sonnenblumen aus der Ukraine genauso zurecht wie mit Raps aus Deutschland. Und die Sonnenblumen-Ernte in der Ukraine wird heuer gut sein“, erklärt der Geschäftsführer.
Wie erwähnt, erstreckt sich der Handel heutzutage auf das ganze Jahr, nicht mehr nur auf die wenigen Wochen der Erntezeit. Das kommt zum einem daher, dass größere landwirtschaftliche Betriebe dazu übergegangen sind, ihr Getreide selbst einzulagern und abzuwarten, bis sich der Getreidepreis nach ihren Vorstellungen entwickelt hat. Zum andern hat der Landwirt die Möglichkeit eines Vorkontrakts. Dann muss er zu einem bestimmten Zeitpunkt eine festgelegte Menge in einer ebenfalls festgelegten Qualität liefern und erhält dafür einen Garantiepreis. Auch dieser leitet sich von den terminierten Preisfestsetzungen der großen Börsen in Paris oder Chicago ab. An der Matif liegt der Tonnenpreis für November 2012 bei 199 Euro.
Würde der Bauer aktuell verkaufen, erhielte er einen Matif-Preis von etwa 208 Euro. Davon gehen noch die Kosten des Agrarhändlers und die Gewinnspanne ab, die zusammen in der Regel bei 15 bis 20 Euro die Tonne liegen. Die Erzeugungskosten des Landwirts schätzt Seuferling auf 150 bis 160 Euro. Was dazwischen liegt, ist der Ertrag des Landwirts.
Auf der anderen Seite muss Seuferling natürlich auch den Abnehmer finden, der bestimmte Preise zu zahlen bereit ist. Das alte Geschäft mit Mühlen aus der Region gibt es zwar noch, doch das Gros des Weizens geht nach Frankreich und Italien. Deutscher Qualitätsweizen ist nach wie vor gefragt, aber hier treten zunehmend Österreich und osteuropäische Länder als Konkurrenten auf den Plan, die mit dem Pfund niedrigerer Frachtkosten wuchern.
Die Zukunft der Preise sieht Seuferling auf konstant hohem Niveau. Sicher ist aber auch hier nichts. Denn wie an den Aktienmärkten herrscht auch an den Rohstoffbörsen eine hohe Volatilität, das heißt es kann durch bestimmte Ereignisse ganz schnell zu hohen Ausschlägen nach oben oder unten kommen. Der Dioxin-Skandal und Fukushima waren 2011 solche Ereignisse, die auch die Rohstoffmärkte erschütterten.