Ein Marktplatz im Frankreich des 18. Jahrhunderts, kurz vor der Revolution. Ein Verbrecher wird aufs Podest geführt. Die Menge brodelt. Und aller Augen sind auf ihn gerichtet, den Scharfrichter, dessen Aufgabe es nun ist, den Kopf sauber vom Rumpf zu trennen. „Wenn der Scharfrichter ausholt, ducken sich sämtliche Nacken unter sein Schwert“, sagt Samson, Scharfrichter und Protagonist des Romans „Die Kunst des Scharfrichters und der Nutzen des Schafotts.“ Aber der Schweinfurter Autor Hanns Peter Zwißler widersteht der Versuchung, Samson als düsteren Antagonisten zu zeichnen. Sein Scharfrichter ist ein menschlicher Familienvater, der sich den Job nicht ausgesucht hat. Und ihn trotzdem liebt, denn Samson sieht seinen Beruf als Berufung, das Handwerk als Kunstwerk. Zwißler gelingt es wunderbar, Identifikation mit diesem Scharfrichter zu wecken. Und das ist auch nötig, um zu verstehen, was diesem Mann zu schaffen macht.
Denn Samsons Beruf ist bedroht. Die Guillotine, jenes präzise Köpfinstrument, das man bald für immer mit der Französischen Revolution verknüpfen wird, kommt gerade aus England nach Frankreich. Die Scharfrichter werden überflüssig. „Man will den Scharfrichter durch einen Apparat ersetzen“, empört sich Samson. „Eine gefühllose, mechanische Kraft voller Gleichgültigkeit.“ Diese Guillotine kann sogar sein Sohn Paul bedienen, ein schwächlicher, empfindsamer Junge, der als Scharfrichter sicher nicht getaugt hätte. Langsam tritt hier das eigentliche Thema des Romans zutage. Und man bekommt das Gefühl, Samson müsste nicht zwingend Scharfrichter sein. Er könnte vielleicht ein Angestellter des 21. Jahrhunderts sein, dessen Arbeit ein Computer übernimmt. Oder ein Fabrikarbeiter, dessen Tätigkeit von einer Maschine ersetzt wird.
Zwißler beschreibt in nüchternem, sachlichem Ton, wie eine mühevoll erlernte Arbeit durch ein technisches Instrument überflüssig wird. Aber es geht auch um Samsons Familie, die allmählich in die Zweifel der Zeit gerät. Dabei bleibt der Roman, obwohl er ein übergreifendes Thema behandelt, fest in seiner Epoche verankert, mit liebevollen historischen Details und kenntnisreichen Beschreibungen von Figuren und Hintergründen. So erfährt der Leser, wohin er schlagen müsste, wenn er einen Menschen köpfen will (optimalerweise zwischen den dritten und vierten Nackenwirbel) und bekommt detaillierte Schilderungen der blutigen Hinrichtungen. „Der Roman ist ein bisschen düster, aber es hat sich einfach so abgespielt“, sagt Zwißler.
Das darf man ihm durchaus glauben, denn als ehemaliger Geschichtslehrer steckt Zwißler in der Materie. Zu seiner Lesung in der Buchhandlung Vogel kamen viele ehemalige Kollegen und einige seiner früheren Schüler. Zwißler trug ausführliche Ausschnitte aus dem Roman vor, der die ganze Zeit über nahe am Schicksal Samsons bleibt. Sprachlich überzeugend und atmosphärisch packend beschreibt er die Auseinandersetzung des Scharfrichters mit der neuen Entwicklung, seine Verweigerung gegenüber dem, was letztlich unumgänglich ist: Die Kunst des Scharfrichters wird dem Nutzen der Guillotine weichen.