Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Co-Präsident des Club of Rome. Er und andere Wissenschaftler veröffentlichten 2017 das Buch „Wir sind dran“, in dem aufgezeigt wird, „was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“. Wir sprachen bei einem Termin in Schweinfurt mit dem renommierten Naturwissenschaftler und Nachhaltigkeitsforscher.
Frage: In seiner ersten Veröffentlichung vor 45 Jahren sagte der Club of Rome vorher, dass die Wachstumsgrenzen in 100 Jahren erreicht wären. Fast die Hälfte dieser 100 Jahre haben wir bereits hinter uns. Wie sieht es heute aus?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: In der Zwischenzeit hat sich die Welt dramatisch verändert. Der Konsum von naturbelastenden Stoffen wie etwa Energie hat sich vervierfacht. Die Vernichtung von Tier- und Pflanzenarten ist rapide weitergegangen. Dann ist das Thema Klima dazugekommen. Das gab es im Jahr 1972 noch gar nicht. Aber die konkrete Angst von 1972, dass uns die Mineralien ausgehen, das war übertrieben. Kupfer, Erdgas und anderes gibt es noch viel mehr in der Erdkruste, als wir herausholen dürfen. Trotzdem ist die Hauptbotschaft richtig: Es sind da noch viele Mineralien, aber sie sind immer dünner gestreut.
Deutschland wird seine Klimaziele nicht einhalten, die Temperatur wird auch bei uns um mehr als zwei Grad steigen. Mit welchen Auswirkungen müssen wir hier in einer gemäßigten Klimaregion rechnen?
Weizsäcker: Es gibt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das dieser Frage sehr sorgfältig, sehr differenziert für verschiedene Regionen der Welt nachgeht und das sagt: Die Wetterextreme nehmen zu. Für Franken und den Freistaat Bayern fällt ins Gewicht die Abnahme von Schnee, die Zunahme von Überschwemmungen und Stürmen und die extremen Hitzeperioden im Sommer, die zu großer Dürre führen.
Wie beurteilen Sie angesichts des Klimawandels die Sondierungsgespräche, in denen das Erreichen der Klimaziele für Deutschland weiter hinausgeschoben wurde?
Weizsäcker: Ich fand es gut, dass man in diesen Sondierungsgesprächen aufgehört hat zu schwindeln. Davor hat man ein geschwindeltes Ziel ständig vor sich hergetragen. Gleichzeitig haben die Politiker ja auch beschlossen, ihre Anstrengungen zu verstärken und zu beschleunigen. Insofern bin ich über diesen Punkt nicht sonderlich unglücklich.
In der Stadt Schweinfurt kämpft eine Bürgerinitiative für den Erhalt der bestehenden Baumschutzverordnung, Wie wichtig sind solche Verordnungen?
Weizsäcker: Deutschland hat das Privileg, dass wir viel Baumgrün in unseren Städten haben. Das wäre nicht so, wenn es nicht Baumschutzverordnungen gäbe. Daher fände ich eine solche Abschaffung problematisch. Allerdings gibt es neuerdings aufgrund der Stürme auch Gründe, Bäume zu fällen. Ich bin sehr für Baumschutz, aber nicht ideologisch. Eine Baumschutzverordnung sollte man pflegen, vielleicht im Einzelfall, wenn es gute Gründe gibt, auch mal aufweichen.
In der Region wehren die Menschen sich vehement gegen noch mehr Stromtrassen. Brauchen wir ein noch größeres Stromnetz?
Weizsäcker: Das ist für die bayerische Industrie schon sehr nützlich. Die Stromversorgung durch Windenergie aus Norddeutschland kriegen wir anders nicht vor Ort. Aber glücklicherweise ist man jetzt mehr und mehr dazu übergegangen, die Stromleitungen unter der Erde zu verlegen, sodass auch Strahlung kaum mehr in die Umwelt und zu uns Menschen kommt. Aber man muss auch an anderer Stelle etwas tun. Die Industrie sollte ein Lastmanagement betreiben. Das heißt, wenn der Strom in Massen und billig ankommt, viel verbrauchen.
Und wenn wenig ankommt, entsprechend weniger – bis hin zur Stilllegung. Und die Stromspeichertechnik kann und muss ausgebaut werden. Überschussstrom muss chemisch gespeichert werden, beispielsweise in Wasserstoff oder Methangas. Das ist ungeheuer vernünftig, denn die chemische Energiespeicherung ist vor allem gewichtsmäßig viel eleganter als die elektrische. Mit der Umstellung auf erneuerbare Energien muss auch das Thema Energiespeicherung und Lastmanagement vorangetrieben werden.
„Höher, schneller, weiter“ sind die Prämissen unserer Zeit und unserer Wirtschaft. Wie lange wird das noch gehen?
Weizsäcker: „Höher, schneller, weiter“ war eine begreifbare Forderung zu einer Zeit, als das Wohlergehen an der Erreichung neuer Horizonte lag. Das ist aber heute überhaupt nicht mehr der Fall. Heute kann Wohlbefinden, Gesundheit und so weiter verbunden werden mit weniger Mobilität, weniger Fresserei, weniger Wegwerfen, weniger Müll. Das ist eine zivilisatorische Umstellung. Wenn die einmal gemacht wäre, dann würden die nächsten Generationen sagen, was waren das für Idioten, die immer „höher, schneller, weiter“ sagten, die hatten ja keine Ahnung von Lebensqualität.
Der eigentliche Gegner dieser Lebenseinstellung aber sind die Umsatzfetischisten in der Wirtschaft, aber auch im Staat. Solange Arbeitsplätze und Steuereinnahmen jedoch vom Umsatz abhängen, solange gibt es diesen Umsatzfetischismus. Wir müssen den Vorteil unserer Gesellschaft woanders sehen.
Ernst Ulrich von Weizsäcker (Jahrgang 1939) ist der Sohn des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker. Er war unter anderem Professor für Biologie an der Universität Essen, Präsident der Uni Kassel und Direktor am Uno Zentrum für Wissenschaft und Technologie (New York). Von 1998 bis 2005 war Weizsäcker außerdem Bundestagsabgeordneter der SPD. Der Club of Rome, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern aus mehr als 30 Ländern, setzt sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit ein.