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Schweinfurt: Digitalisierung spaltet die Gesellschaft: Initiative in Schweinfurt kämpft für analoge Teilhabe

Schweinfurt

Digitalisierung spaltet die Gesellschaft: Initiative in Schweinfurt kämpft für analoge Teilhabe

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    "Wir sind offline." Nach einer Studie des Diakonischen Werks Schweinfurt haben 40 Prozent der Menschen über 65 keinen Internetzugang. Damit sie nicht abgehängt werden, hat sich eine "Initiative analoge Teilhabe" gegründet.
    "Wir sind offline." Nach einer Studie des Diakonischen Werks Schweinfurt haben 40 Prozent der Menschen über 65 keinen Internetzugang. Damit sie nicht abgehängt werden, hat sich eine "Initiative analoge Teilhabe" gegründet. Foto: Anand Anders

    Digitalzwang ist Diskriminierung." Das sagt Heribert Prantl, der über 20 Jahre die Ressorts "Innenpolitik" und "Meinung" bei der Süddeutschen Zeitung leitete und Mitglied der Chefredaktion war. In einem Interview mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) fordert er, dass analoge Teilhabe am Leben den Rang eines Grundrechts bekommen soll.

    In Schweinfurt hat jetzt Jochen Keßler-Rosa, Pfarrer in Ruhestand, die "Initiative analoge Teilhabe" ins Leben gerufen. Es gebe eine erhebliche Zahl von Menschen, die durch die Digitalisierung verloren gehen, sagt auch er. Deshalb sei es dringend geboten, zu handeln und eine "Fehlentwicklung" zu verhindern, solange noch analoge Kanäle existieren. Denn: "Es muss ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auch für die Menschen geben, die nicht digital sind", fordert Keßler-Rosa.

    Jochen Keßler-Rosa hat die "Initiative analoge Teilhabe" ins Leben gerufen.
    Jochen Keßler-Rosa hat die "Initiative analoge Teilhabe" ins Leben gerufen. Foto: Anand Anders

    Bei einem ersten Austausch mit Vertretern von Seniorenorganisationen aus der Region im Mehrgenerationenhaus der Diakonie Schweinfurt wurden gleich Nägel mit Köpfen gemacht und ein Arbeitskreis ins Leben zu rufen. Dieser will Strategien erarbeiten, wie das Thema in politischen Gremien, Vereinen und Verbänden, der IHK oder der Medizin- und Gesundheitsbranche platziert werden kann.

    Viele Dienstleistungen werden fast nur noch online angeboten

    Ob Deutschlandticket, Arzttermin oder Banküberweisung – viele Dienstleistungen werden fast nur noch online angeboten. Für Menschen ohne Internet wird der Alltag zunehmend schwieriger zu bewältigen. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2022 knapp sechs Prozent der Menschen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren in Deutschland sogenannte Offliner – sie hatten noch nie das Internet genutzt. Das entspricht knapp 3,4 Millionen Menschen in Deutschland.

    Am größten war mit 17 Prozent der Anteil der Menschen ohne Internetzugang in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen. Bei den 45- bis 64-Jährigen hatten fünf Prozent das Internet noch nie genutzt. Und bei den unter 45-Jährigen gab es noch zwei Prozent Offliner.

    "Das Thema betrifft aber nicht nur Ältere, und das ist auch kein Nebenbei-Problem, das sich irgendwann von alleine löst", sagt Keßler-Rosa. Betroffen seien auch Menschen, die nicht lesen können, geistige oder psychische Einschränkungen haben, zu wenig Geld für ein Smartphone besitzen, Angst vor Betrug haben oder schlichtweg an der analogen Kommunikation festhalten wollen, weil sie es lieben zu telefonieren und Zeitung zu lesen.

    Und: Es gibt Menschen, die aus energetischen Gründen sich der zunehmenden Digitalisierung verweigern. Denn laut Ökotest ist eine E-Mail genauso schädlich wie eine Plastiktüte. "Offline ist der neue Luxus", weiß Stadträtin Christiane Michal-Zaiser (proschweinfurt).

    Menschen gehen durch die Digitalisierung verloren

    Auch der 8. Altersbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2020 greift die digitale Entwicklung und die wachsenden Probleme damit auf. Benannt werden Bildungsunterschiede, Sprachbarrieren und das Älterwerden. Neben der Forderung, alle Menschen bei der Digitalisierung mitzunehmen, heißt es aber auch: "... Menschen sollte zugestanden werden, nichts Neues mehr lernen zu müssen, wenn sie dies nicht wollen."

    Zwei Jahre lang hat sich daraufhin das Diakonische Werk Schweinfurt mit dieser Herausforderung befasst. "Wir wollten mehr wissen über die Menschen, die nicht digital sind", verweist Keßler-Rosa auf das Projekt GOElexa, das vom Gesundheitsministerium des Freistaates Bayern gefördert wurde. Das Ergebnis war erschreckend: Etwa 40 Prozent der Befragten über 65 sind nicht digital und können zunehmend nicht selbstständig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. "Das ist eine erhebliche Zahl von Menschen, die durch die Digitalisierung verloren geht", sagt Keßler-Rosa. 

    Vertreterinnen und Vertreter von Seniorenorganisationen aus der gesamten Region waren zum Austausch über analoge Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ins Mehrgenerationenhaus der Diakonie nach Schweinfurt gekommen.
    Vertreterinnen und Vertreter von Seniorenorganisationen aus der gesamten Region waren zum Austausch über analoge Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ins Mehrgenerationenhaus der Diakonie nach Schweinfurt gekommen. Foto: Anand Anders

    Die Folge seien Einsamkeit, verstärkte Altersarmut, gesundheitliche Probleme und eine Spaltung der Gesellschaft in die, die drin sind und die, die draußen sind. Die neu gegründete "Initiative analoge Teilhabe" will diesen Menschen eine Stimme geben. "Es geht keinesfalls um Protest gegen die Digitalisierung", betont Keßler-Rosa, sondern darum, "dass beides nebeneinander existieren muss." 

    Gesucht werden nun "Verbündete", die sich gemeinsam mit der Initiative für das Thema "analoge Teilhabe" starkmachen. "Der Gesetzgeber muss verpflichtet werden, einen Mindeststandard für Leute wie uns sicherzustellen", fordert Erich Ruppert vom Altenring Schweinfurt. Christa Roth von der evangelischen Kirche in Bad Kissingen wünscht sich Analog-Paten, zum Beispiel um Briefe zu verteilen. Beim Seniorenkreis der Kreuzkirche Oberndorf gibt es das schon. Bea Schramm berichtet, dass nicht nur Mails verschickt, sondern auch Handzettel in Briefkästen geworfen werden. "Es muss beides nebeneinander existieren", ist auch das Credo von Susanne Rosa, "weil das Analoge einfach schön ist."

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