Das Rätsel um ein unbeschriftetes Bild aus dem Stadtarchiv Gerolzhofen, das offenbar eine Glockenweihe zeigt, ist gelöst. Vor einigen Tagen hatten wir das Bild in dieser Zeitung abgedruckt. Mehrere Leserinnen und Leser riefen an und gaben wertvolle Tipps. Die Recherche gestaltete sich allerdings zunächst schwierig, weil auch – wie sich jetzt herausstellt – diesmal einige falsche Informationen dabei waren.
Das alte Schwarzweiß-Bild zeigt eine große Gruppe von Personen, die offenbar vor einer Kirche stehen. Im Hintergrund sind zwei Glocken zu sehen, die von Kommunionkindern flankiert werden. Zentral im Bild stehen vier Priester, an den Seiten links und rechts sind Honorationen in ihren schwarzen Festtagsanzügen zu sehen.
„Das ist doch Schallfeld, irgendwann in den 30-er Jahren“, sagt ein älterer Mann, der sich in der Redaktion meldet. Er wohne zwar jetzt in Gerolzhofen, stamme aber aus Schallfeld und erkenne deshalb das Motiv. Im Hintergrund sei auf jeden Fall die Schallfelder Kirche zu sehen, mutmaßlich sei sogar sein eigener Vater auf dem Bild zu sehen. Und der rechte Priester sei der Schallfelder Pfarrer Georg Hersam.
Der Tipp erweist sich allerdings teilweise als falsch. An der Kirche in Schallfeld gibt es zwar im Bereich des Turms einen Eingang mit Rundbogen, allerdings fehlt das Fenster, das auf dem alten Bild rechts noch zu erkennen ist. Schallfeld scheidet also aus.
Richtig ist allerdings der Hinweis auf Pfarrer Georg Hersam. Ein Abgleich mit anderen Bildern bringt die Bestätigung. Hersam wurde am 26. März 1877 geboren und war zuletzt Pfarrer von Schallfeld, ehe er seinen Ruhestand im Altenheim im Kloster Lülsfeld verbrachte. Wie sein Bruder Joseph Hersam, damals Stadtpfarrer von Gerolzhofen, war auch Georg ein erklärter Gegner der Nazis und musste sich 1935 deswegen sogar vor Gericht verantworten. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, wegen seiner angeschlagenen Gesundheit nach wenigen Tagen aber wieder entlassen. Georg Hersam starb im Jahr 1948 mit 71 Jahren in Lülsfeld.
Ein neuer Anruf bringt eine neue Spur: Das Bild zeige eindeutig die Glockenweihe kurz nach dem Krieg im Jahr 1946 in Gerolzhofen, behauptet eine Gerolzhöferin am Telefon. Im Hintergrund sei der Seiteneingang auf der Marktplatzseite des Steigerwalddoms zu erkennen. Damals habe man eine kleine Tribüne aufgestellt, damit die Kommunionkinder erhöht stehen können. Das Hauptargument der Anruferin: „Ich bin ja selbst auf dem Bild drauf.“ Sie sei das Kommunionkind hinten rechts, die beiden Mädchen daneben, die mit ihr 1946 den Weißen Sonntag feierten, seien ihre alten Freundinnen. Und dann zählt die Gerolzhöferin auch noch die Namen dieser Kinder auf, wie sie mit Mädchennamen hießen und später nach deren Hochzeit. Sie erinnere sich auch noch, sagt die Dame, dass sie damals ein Gedicht für die Sterbeglocke aufsagen musste. „Ich weiß noch, wie es angefangen hat.“
Das hört sich in der Tat nach einer heißen Spur an. Doch spontane Zweifel kommen hoch, weil die Weihe der neuen Gerolzhöfer Glocken nachweislich erst 1949 war. Von dieser Feier gibt es gesicherte Fotos, die zeigen, dass die Glocken auf einem Gerüst im Bereich der Sakristei hingen und nicht vor dem Seiteneingang. Und: Auch das Fenster rechts auf dem Foto gibt es so in Gerolzhofen nicht. Die Spur wird kalt.
Dann gibt es neue Hinweise. Über die Frankenwinheimer Facebook-Gruppe meldet sich der aus Frankenwinheim stammende Pfarrer Werner Vollmuth, ein Bruder des ehemaligen Kreisbrandrats Georg Vollmuth und der ehemaligen Gerolzhöfer Stadträtin Lieselotte Feller. „Glockenweihe Frankenwinheim“ schreibt er kurz und knapp. Auch der ehemalige Frankenwinheimer Bürgermeister Robert Finster gibt den Tipp: „Es ist Frankenwinheim.“ Und tatsächlich ist das Bild schon in der Jubiläumsschrift von 1979 abgedruckt, als Frankenwinheim seine 1200-Jahr-Feier beging. Als dürre Bildunterschrift ist dort nur zu lesen: „Glockenweihe 1925 mit Pfarrer Hufnagel“. Weitere Details zu dem Fest gibt es in der Festschrift leider nicht.
Allerdings geht der Heimatchronist Sebastian Pfriem 1926 in seinem Buch „Das Dorf Frankenwinheim“ auf die Geschichte der Glocken ein. Ein im Jahr 1762 angeschafftes Geläut wurde im Ersten Weltkrieg noch 1918 für die Kriegsindustrie eingezogen. Dank des Einsatzes von Pfarrer Josef Hufnagel und der „opferwilligen Gemeinde“ konnte 1925 bei der Firma Gebrüder Ulrich in Kempten ein neues großes Geläut zu vier Glocken bestellt werden. Pfarrer Hufnagel dürfte auf dem historischen Bild der Priester in der Mitte sein.
Die Glocken, die insgesamt 87 Zentner wogen und 14 206,20 Mark kosteten, wurden kurz vor Ostern mit dem Zug in Gerolzhofen angeliefert und von dort im feierlichen Zug abgeholt. „Das war ein Freudenfest, wie es Frankenwinheim seit langer Zeit nicht mehr erlebt hat“, schreibt Pfriem in seinen Erinnerungen.
Am Palmsonntag 1925 fand die Weihe der vier Glocken statt, zu Beginn der Karwoche wurden sie in den Turm gezogen, um zu Ostern dann in „überwältigender Klangfülle“ zu ertönen. Pfriem endet seinen Bericht über die Glockenweihe mit den pathetischen Worten: „Dieses herrliche Geläut wird noch nach Jahrhunderten von dem Opfersinn künden, von dem die Gemeinde gegen ihr Gotteshaus erfüllt war, wenn vielleicht die späteren Geschlechter nur mehr Sinn für Welt und Sport haben werden.“
Mit seiner Prognose hinsichtlich von „Welt und Sport“ lag Pfriem zwar durchaus richtig, seine Hoffnung aber, dass die Glocken die nächsten Jahrhunderte überdauern mögen, erfüllte sich bekanntermaßen nicht. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges musste auch Frankenwinheim nicht einmal 20 Jahre nach der Weihe (vermutlich drei) Glocken für die Rüstungsindustrie abliefern. Pfarrer Josef Hufnagel durfte es aber noch erleben, dass 1950 drei neue Glocken geweiht wurden, die das Geläut wieder vervollständigten.