74 Jahre hat das Ernst-Sachs-Bad auf dem Dach – ein Großvater mit einigen gesundheitlichen Problemen. Ursache: Mangelernährung in frühester Kindheit, später erlitt er Kriegsverletzungen, die nur notdürftig behandelt wurden. Dazu kamen Schäden am Skelett wegen ungesunder Lebensführung, und nun wurde der alte Herr auch noch radikal entkleidet. Das alles hat ihm ganz schön zugesetzt und Stabilität gekostet, sagt Immo Dorband. Der Schweinfurter Tragwerksplaner und sein Büro Dorband Ingenieure sind mit dafür verantwortlich, dass das Gebäude den großen Eingriff – Umbau zur Kunsthalle – gut übersteht und seiner neuen Aufgabe gerecht werden kann.
Das tragende System eines Gebäudes ist zwar unsichtbar, aber wesentlicher Bestandteil, der ihm seine Grundstruktur gibt und letztendlich auch die Form erzeugt. Sagt Dorband und zitiert Pier Luigi Nervi, einen großen Architekten und Tragwerksplaner des 20. Jahrhunderts, der gesagt hat: „Ein guter struktureller Organismus ist die notwendige, ja vielleicht sogar einzige Voraussetzung für eine gute Architektur.“
Das 1932/33 gebaute Ernst-Sachs-Bad gilt als gutes Beispiel für den Stand der Technik zu dieser Zeit. Sehr fortschrittlich war die so genannte Rapid-Balkendecke im ganzen Haus, bestehend aus einzelnen Balken aus Stahlbeton, die nebeneinander gelegt und mit Beton ausgegossen wurden. Zwischen 1900 und 1950 wurden unzählige Deckenkonstruktionen aus Einzelteilen erfunden, die Rapiddecke war eine davon.
Diese Decke hat Besonderheiten und Schwächen, sagt Immo Dorband. Letztere wurden zum großen Teil erst sichtbar, als Verputz und Fliesen entfernt waren. Die Decke über der Wäscherei beispielsweise war völlig baufällig, in anderen Bereichen musste sie stellenweise saniert oder ganze Abschnitte ausgetauscht werden. Dorband nennt mehrere Gründe für den Zustand, der wesentlich schlechter war als angenommen: Schon beim Bau hatte man vermutlich aus Kostengründen am Material gespart, das damals sehr teuer war. Später griffen betonaggressive Stoffe in Reinigungs- und Desinfektionsmitteln Beton und Stahl an. Beim Einbau neuer Haustechnik wurden immer wieder Durchbrüche in Decken und Wände geschlagen, die das System schwächten.
Auch jetzt beim Umbau mutet man dem über 70 Jahre alten Gebäude viel zu, sagt Immo Dorband. Für den Tragwerksplaner bedeutet dies ein ständiges Abwägen zwischen Kosten, Vorschriften, der künftigen Bestimmung, den Vorstellungen des Auftragsgebers und den Gegebenheiten. Fast nichts, was während der Rohbauphase im Haus geschieht, läuft ohne Statiker. Wird die Decke erneuert, müssen die tragenden Wände aufgefangen werden. Jeder Durchbruch für die Technik muss berechnet werden. Ein instabiler Moment war beispielsweise, als das Schwimmbecken abgebrochen war und die Wände der großen Halle völlig frei standen. Der Innenhof wurde vorher ausgehoben, um den Erddruck wegzunehmen. Das sind kritische Phasen, in denen die Planer für kurze Zeit das Sicherheitsniveau absenken müssen, sagt Dorband und beschreibt den schönen Moment, als die neue Decke auf vier Stützen betoniert war und der vorher zerstörte Raum wieder Gestalt annahm.
Jetzt, wo die Rohbauphase fast abgeschlossen ist, geht auch die Arbeit der Statiker langsam zu Ende. Ihre kreativste Phase haben sie, bevor auch nur ein Arbeiter einen Spaten in die Hand nimmt. Tragwerksplaner müssen sich, sagt Dorband, in ein Gebäude hineindenken, sie müssen herausfinden, wie ihre Vorväter gedacht, geplant und gebaut haben und welche technischen Möglichkeiten es damals gab. Erst wenn der Statiker kapiert hat, wie ein Gebäude funktioniert, kann er es rechnerisch erfassen und die statische Berechnung für die neue Nutzung erstellen.
Für das Ernst-Sachs-Bad gab es zwar Unterlagen über die Statikberechnung von damals aus dem Archiv der Firma Riedel, aber sie waren nur bedingt zuverlässig. Die Berechnung für die neue Kunsthalle ist 900 Seiten dick. Eine Knochenarbeit. Daraus entstanden rund 90 konstruktive Ausführungspläne. Alleine für ein Gebäude. Rechnet man das hoch auf die 4000 bis 5000 Baumaßnahmen, die das vom Vater Ernst Dorband gegründete Büro für Baustatik in 60 Jahren betreut hat, ergibt sich ein Riesenarchiv, das im Keller des Büros lagert.
Die eingangs erwähnten Kriegsverletzungen des „alten Herren“ Ernst-Sachs-Bad beziehen sich auf die schweren Bombenangriffe, die auch das Bad trafen. Am 14. Oktober 1943 zerstörte ein Volltreffer die Vorderfront, heißt es im Heft zum 50-jährigen Bestehens des Bades. Schwere Schäden, vor allem an der technischen Anlage, entstanden bei den Angriffen am 24. und 25. Februar 1944. Nach weiteren Angriffen musste das Bad geschlossen werden. Weitere Bilder im Internet: www.mainpost.de/4150694