Schon nach wenigen Minuten überkommt Ute Wolz das Fernweh. Kein Wunder, denn die Fotos sprechen für sich, erzählen von den Gletscherwelten im Süden Chiles, der Faszination der Salzwüste in Uyuni (Bolivien), den gewaltigen Wassermassen der Fälle im argentinischen Iguazú oder von der Mystik der Ruinenstadt Machu Picchu, die im 15. Jahrhundert von den Inkas erbaut wurde.
Ein Jahr lang reiste die Familie Wolz aus Madenhausen durch Südamerika, lernte verschiedene Menschen, Kulturen und Naturschätze kennen und lebte in den Tag hinein. Wenn die gelernte Mediengestalterin heute in ihrem Häuschen im Landkreis Schweinfurt davon berichtet, hat man das Gefühl, die Reise sei erst gestern beendet gewesen. Endlich einmal sei Zeit gewesen zum Unterhalten, Philosophieren, zum Nachdenken, zum Kennenlernen und Erleben – und das in Extremsituationen, sagt die 44-Jährige. „Das hat uns als Familie sehr zusammengeschweißt.“ Der Wunsch, eine Auszeit zu nehmen sei schon lange da gewesen. „Wir wollten einfach mal raus aus diesem engen, kleinen, hektischen, an Konsum orientierten Deutschland“, beschreibt der Zweiradmechanikermeister Andreas Wolz.
Dass Lateinamerika ihr Ziel werden sollte, war erst mal nicht klar. „Eigentlich wären wir gerne nach Afrika gereist, aber das war uns mit Kindern zu gefährlich. Wir haben unsere Wahl aber nicht bereut – im Gegenteil.“ Die Kinder – Merlin und Lilly – waren bei Reiseantritt zehn und 14 Jahre alt. „Besonders für Merlin, der in die Pubertät kam, ein schwieriges Alter“, erinnert sich seine Mutter. Er sei nicht begeistert gewesen, dass er mit seiner Familie ein Jahr lang auf engstem Raum im Ausland verbringen sollte.
Doch auch er lebte sich nach einigen Wochen ein, lernte sogar etwas Spanisch und zehrt – auch zweieinhalb Jahre nach der Reise – immer noch von den tollen Erlebnissen. Auf der argentinischen Halbinsel Valdés mit den Walen zu schwimmen bleibt für ihn ein unvergessliches Erlebnis ebenso wie das Sandboarding in der Atacama-Wüste im Norden Chiles oder die abenteuerliche Fahrt auf der Ruta de la muerte (Todesstraße) in Bolivien.
Befreit waren die Kinder von der deutschen Schulpflicht genau für ein Schuljahr. „Wir haben aber immer wieder mal Mathe oder auch Deutsch gebüffelt“, so Ute Wolz. Und für Lilly kam sogar der Moment, in dem sie die Schule sehr vermisste. „Und natürlich meine Freunde“, fügt sie lächelnd an. Den Kontakt nach Hause hielten die Kinder über E-Mail oder auch Skype, zusammen hatte die Familie außerdem einen Blog im Internet gestartet – mit vielen Fotos und Erlebnissen ihrer Tour.
„Es würde vielen Menschen guttun, mal zu spüren, wie es ist, Ausländer zu sein.“
Andreas Wolz
Unterwegs waren die Vier übrigens im Transportmittel „Willi“, dem von Andreas Wolz umgebauten Auto mit selbst eingebauten Sitzbänken, Betten und einem Waschbecken. Es wurde von Hamburg nach Argentinien verschifft. Geduscht wurde indes mithilfe eines Wassersacks oder auf Tankstellen „wenn es mal warmes Wasser gab“. Und die Toilette? „Mit der Schippe raus in die Natur“, meint Ute Wolz und muss grinsen. Familienzuwachs bekamen die Wolz' auf ihren sieben Quadratmetern mit dem Mischlingshund Che (benannt nach dem südamerikanischen Revolutionär Che Guevara) in Chile. Der sitzt heute zufrieden in Madenhausen, wedelt mit dem Schwanz und beschnuppert jeden neuen Gast.
Gerne erinnert sich die heute 13-jährige Lilly an ihr Weihnachten auf der Südhalbkugel der Erde: „Es war Sommer und richtig warm. Sehr ungewöhnlich.“ Große Geschenke gab es nicht, denn um die Reise zu finanzieren, musste auch Verzicht geübt werden, so Ute Wolz. „Wir hatten zwar gespart und in der Reisezeit unser Haus vermietet, dennoch verzichteten wir auf weiteren Luxus.“
Begeistert war die Familie von der Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft der Latinos und auch der weiteren Reisenden, auf die sie trafen. Was die kulinarischen Genüsse angeht, bleibt das „asado“ (Grillfleisch) und auch das frische Obst in Erinnerung. Umgekehrt gibt es auch Dinge, die die Wolz' an Deutschland schätzen lernten, „zum Beispiel das Bewusstsein, seinen Müll aufzuräumen und zu trennen, das gut ausgebaute Straßennetz oder auch unsere gute Gesundheitsversorgung“. Dass letztere nicht selbstverständlich ist, durfte Lilly am eigenen Leib erfahren, als sie sich im bolivianischen Dschungel das Bein brach. „Zum Glück hatte ich wirklich lange recherchiert, bevor ich unsere Auslandskrankenversicherung abschloss“, erzählt ihre Mutter. Letztlich habe alles geklappt, und Lilly sei in einer guten Klinik in La Paz behandelt worden.
Das Einleben in Deutschland sei leicht gewesen, „besonders für die Kinder, die es genossen, in ihren eigenen Betten zu schlafen“, sagt die 44-Jährige. Trotzdem hat sich einiges verändert seit der Reise. „Ich bin viel toleranter geworden und denke, dass es auch anders geht als immer nur 'nach dem Mainstream'“, berichtet Lilly. Auch Merlin meint, dass er durch die vielen Erfahrungen selbstbewusster geworden ist.
„Es würde vielen Menschen guttun, mal zu spüren, wie es ist, ein Ausländer zu sein und die Sprache nicht zu beherrschen. Dann würden sie bestimmt mehr Toleranz üben“, sagt Andreas Wolz. Er und seine Frau würden jederzeit wieder in die weite Welt losziehen. Um das Andere kennenzulernen, zu riechen, zu schmecken, zu erfahren. Auch ohne ihre Kinder, die bald ihre eigenen Wege gehen werden.