Sie würde nicht nur das Geheimnis eines perfekten Baguettes, sondern auch noch die Liebe ihres Lebens aus der Normandie mit nach Hause bringen. Doch das ahnte Heike Drescher-Ursin noch nicht, als sie 1986 als Bäckerlehrling auf die Messe nach Caen im Calvados fuhr.
Ihr gefiel es so gut, dass sie im Rahmen eines Lehrlingsaustauschs der Handwerkskammer für eine Woche in einer Bäckerei dort arbeitete. Ihrem jetzigen Ehemann sollte sie aber noch nicht über den Weg laufen: In die Konditorei, in der Patrick Ursin zu dieser Zeit gerade seinen Meisterkurs machte, wurde ein anderer deutscher Lehrling eingeteilt. Zum Glück konnte die junge Bäckerin immer noch nicht genug bekommen von Frankreich: Mit einem Stipendium kehrte sie noch im Herbst nach Caen zurück, um noch mehr Erfahrungen zu sammeln. Ein Bäcker schlug ihr vor, bei Ursin ein Praktikum zu machen. „Sie wollte damals unbedingt zu mir “, betont er. Seine Frau lacht: „Das hält er mir nach 28 Jahren immer noch vor.“
Im Juli 1989 ging es gemeinsam zurück nach Unterfranken, wo Drescher-Ursins Eltern in Schweinfurt eine Bäckerei betrieben, die die Tochter einmal übernehmen sollte. „Ich konnte noch kein Wort Deutsch“, erinnert sich der 59-jährige Konditor, mit einem Kurs an der Volkshochschule änderte sich das aber bald. Fränkische Schimpfwörter hat er schnell aufgeschnappt und übernommen, am schwierigsten waren Satzbau und zusammengesetzte Nomen zu lernen.
Unterfränkisch-französische Städtepartnerschaften in der Übersicht:
„Als wir unsere Silberhochzeit im Calvados gefeiert haben, haben viele Franzosen gesagt, Deutsch klingt sehr trocken und hart“, erzählt Heike Drescher-Ursin. „Dafür mögen viele Kunden der Bäckerei Patricks Akzent, einige sagen Bonjour, wenn sie ins Geschäft kommen.“ Der Name Ursin wurde kurzerhand eingedeutscht, um den Franken die französische Aussprache zu ersparen. Viele der Kunden kennen auch die Region, aus der der Konditormeister stammt.
Ältere Menschen erzählen manchmal Geschichten aus der Kriegszeit und fragen, wie es dort mittlerweile aussieht. Aber auch durch die Regionalpartnerschaft sind einige schon in den Calvados gekommen. Seit 1993 leitet das deutsch-französische Paar die Bäckerei, nach und nach wurden auch typisch französische Backwaren angeboten. Neben den traditionellen Drescher-Quarkhörnchen nach dem über 50 Jahre alten Rezept liegen jetzt original französische Croissants in der Auslage, natürlich gibt es auch Baguette und andere Spezialitäten.
Patrick Ursin musste als Bäcker in Deutschland viel Neues lernen. In Frankreich gibt es kaum Schwarzbrot und man arbeitet weniger mit Sahne. Das, was hier ein Apfelkuchen zum Nachmittagskaffee ist, ist in Frankreich ein kleines Törtchen, das als Dessert gegessen wird. Völlig neu war für ihn anfangs auch, dass in Deutschland jeder samstags seinen Hof kehrt und Pfandflaschen zurückgebracht werden. „Die Pünktlichkeit der Deutschen weiß ich sehr zu schätzen, Franzosen sind viel weniger getaktet.“ Seine Frau bringt es auf den Punkt: „Franzosen nehmen ihr Weinglas, die Deutschen ihre Herztabletten.“
Frankreich ist für Patrick Ursin immer noch eine Heimat, die Drescher-Ursins verbringen dort auch so oft wie möglich ihren Urlaub. Für die beiden ist die Idee eines gemeinsamen Europas ein Gewinn: „Die Reisefreiheit in der EU macht es einfacher, zwei Heimatorte zu haben“, sagt Heike Drescher-Ursin. Und: „Es ist praktisch, dass es in Deutschland und Frankreich mittlerweile die gleiche Währung gibt, das erspart uns das Umrechnen.“
Für junge Handwerker bietet die Handwerkskammer den Lehrlingsaustausch immer noch an, neben dem Calvados gehören nun auch Polen und die Türkei zu ihren Partnern. „Das darf nicht einschlafen, man kann so viel aus einem Austausch lernen“, weiß Heike Drescher-Ursin. Gerade im Bereich des Handwerks werden oft verschiedene Techniken verwendet und andere Produkte hergestellt. Aber auch der Alltag in einem anderen Land kann spannend sein: „Das Leben in einer Familie ist eine ganz andere Erfahrung als ein Urlaub“, sagt ihr Mann.
30 Jahre Partnerschaft Der Bezirk Unterfranken und das Département Calvados in der Normandie feiern das 30-jährige Bestehen ihrer Partnerschaft. 1986 unterzeichneten der damalige Bezirkstagspräsident Franz Gerstner und sein französischen Amtskollege Michel d'Ornano die Partnerschaftsurkunde im Schloss Bénouville in Falaise. Im vergangenen Jahr hat es dazu bereits einen Festakt in Frankreich gegeben, zum Jubiläum der Gegenzeichnung des Vertrags in der Würzburger Residenz im Jahr 1987 wird nun am Wochenende eine Delegation aus dem Calvados nach Unterfranken kommen. 40 unterfränkische Kommunen unterhalten eine Partnerschaft mit Gemeinden im Calvados, über 50 in einem anderen französischen Département. Den Anfang der Verbindung mit dem Calvados machte die Städtepartnerschaft zwischen Würzburg und Caen 1962, es folgten Bad Neustadt und Falaise 1969, dann Zellingen und Louvigny im Jahr 1984. Die bislang jüngste Partnerschaft hat Hafenlohr im Landkreis Main-Spessart 2015 mit Pont d'Ouilly, 40 Kilometer südlich von Caen, geschlossen. Mit einem Sonderförderprogramm zum Jubiläumsjahr unterstützt der Bezirk 30 Projekte, die die deutsch-französische Freundschaft ausdrücken und fördern. lsc