Die gute Nachricht vorneweg: John Maynard hat überlebt, selbstloser Steuermann der „Schwalbe“, dem brennenden Postschiff auf dem Eriesee. Sagt Peter Hub beim Frauenfrühstück im Pfarrheim zum Gedicht von Theodore Fontane über eine buchstäblich atemberaubende Fahrt Richtung Buffalo.
Rund 60 Zuhörerinnen aus beiden Gemeindeteilen sind gekommen, auf Einladung von Rita Lamprecht vom Katholischen Frauenbund. Denn: „Beim Frauenfrühstück wird nicht nur gestrickt und gehäkelt, wir machen auch was für Kultur.“
So ganz klären lässt sich heute nicht mehr, wie 1841 die reale Raddampfer-Katastrophe abgelaufen ist. Der Mann am Ruder soll tatsächlich mit dem Leben davongekommen sein, dafür viele Passagiere nicht. Bei Fontane läuft die Geschichte genau anders herum. Egal: Bei Dichtern geht es um höhere Dinge als schnöde Tatsachen. Tatsache ist: Peter Hub hat den renommierten „Sprachbewahrerpreis 2014“ gewonnen. Im Saal zeigt sich schnell, warum, dank mitreißendem Mienen-, Schau- und Lippenspiel des aus Sennfeld stammenden Rezitators.
„Schläft ein Lied in allen Dingen“, nennt sich sein bewährter Rundumblick über Gedichte aus der Jugendzeit, frei nach Eichendorff. Eine Reise durch die Literaturgeschichte: Goethes „Zauberlehrling“ bekommt nasse Füße. Bei Schillers Handschuh (der vom Ritter aus dem Löwengarten geholt werden soll, auf Wunsch von Fräulein Kunigunde) geht es schon um knallharten Liebeskampf, wie im Boulevardfernsehen. Anrührend ist Friedrich Hebbels „Geschichte aus der Kindheit“ über ein Kätzchen, das ertränkt werden soll.
Die abgründigsten Stoffe liefert aber immer noch „JWG“: Der „Erlkönig“ des Geheimrats, in manchen Deutungen ist er ein Chiffre für Pädophilie. Ein Missbrauchsgedicht könnte sich auch hinter Goethes „Heideröschen“ verstecken. Zumindest wirkt der brutale Kampf des Knaben mit der Rose im Original nicht ganz so süßlich wie Schuberts Vertonung. „Verfasser unbekannt“, logen die Bücher in der Nazizeit zum populären Loreley-Gedicht: Das stammt vom jüdischen Skeptiker Heinrich Heine, und drehte sich im romantischen Biedermeier nach der Französischen Revolution mehrdeutig um Verführung und Scheitern. In der „säggsischn“ Version wird ein braver Familienvater durchs blonde Fräulein ins Unglück gestürzt.
Fontane: Der Ex-Apotheker und Kriegsberichterstatter setzte auch dem treusorgenden „Herrn Ribbeck von Ribbeck im Havelland“ ein Denkmal. Ein birnenproduzierender Gutsherr sorgt selbst posthum noch für die Kinder seiner Angestellten.
Der satirische Seemann Hans Bötticher wiederum ist besser bekannt als Joachim, das Seepferdchen: Alias „Joachim Ringelnatz“ – man merkt, dass Metzgersohn Hub selber mal zur See gefahren ist, als Schiffskoch auf Butterfahrten. Der desillusionierte Heimkehrer Ringelnatz verfasste Reime über sinnlich beleckte Briefmarken-Männchen oder (wenig ausdauernde) Hamburger Ameisen auf Weltreise. Christian Morgenstern widmete sich dummer Eselei ebenso wie Infekten: „Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse, auf dass er sich ein Opfer fasse.“ Legendär sind auch Heinz Erhardts hinter(un)sinnige Kurzgedichte: Etwa vom Familiendrama bei den Maden.
Merke: Die „Gedichte aus der Jugendzeit“ sind noch längst nicht angestaubt. Nicht zuletzt dank spannender Präsentation durch den hochbeweglichen Sprachbewahrer Hub, angereichert mit Spezialeffekten. Nach diesem Frühstück waren alle hellwach. Ach ja: Bei Hebbel hat am Ende auch das Kätzchen überlebt.