Skeptisch schleicht Luchs Rufus von rechts nach links. Was ich in meiner Hand halte, will er unbedingt: Fleisch. Rohes, rotes Rindfleisch. Nur ich bin dem Raubtier mit den Puschelohren offenbar suspekt. Kein Wunder, ich bin neu. Einen Tag lang tausche ich den Schreibtisch in der Redaktion gegen den Schweinfurter Wildpark. Wer ist in dieser Situation gerade wohl aufgeregter? Komm schon, Rufus, da müssen wir jetzt beide durch. Zaghaft nimmt das Tier das Stück dann doch noch aus meiner Hand. Wow, das fühlt sich schon anders an als ein Leckerli ans Hauskätzchen. „Sauber“, sagt Susanne Zirkel. Sie ist ausgebildete Tierpflegerin im Wildpark und heute meine Chefin.
Mit ihr „redet“ Rufus normalerweise sogar, es ist ein kräftiges Maunzen. Seit seiner Kastration hat der Luchsmann seine Interessen vor allem aufs Essen verlegt, deshalb lebt er in einem abgeteilten Gehege, um den anderen beiden Luchsen nicht die Butter vom Brot zu nehmen. Nebenan habe ich das Fleisch unter den hungrigen Blicken der anderen Luchse schon auf einem Stein verteilt. Die Portionen hatte Susanne Zirkel zuvor in der Futterküche für die Fleischfresser vorbereitet und in Eimer und bunte Plastikschüsseln verteilt. Ihr Arbeitstag beginnt um 6.30 Uhr, im Sommer sogar um 6 Uhr.
Der Fleischvorrat reicht für zwei bis drei Monate
Der Vorrat an Rindfleisch und toten Küken für mehrere Monate lagert dort in großen Kühltruhen. Die letzte Bestellung – 600 Kilo Fleisch und 6000 Küken – wird für etwa drei Monate reichen. Das Rindfleisch stammt von Notschlachtungen verletzter Tiere, auch alte Milchkühe sind dabei. Die Küken sind junge Hähne, die für die Eierproduktion keinen Wert haben. In der Voliere der Bartkäuze nehme ich zum ersten Mal so ein Kükenbeinchen in die Hand, es ist ganz kalt und hart. Die Käuze beäugen mich vom Ast herunter aus sicherer Entfernung. Einer kommt ein bisschen näher, fast klaubt er mir das Küken aus der Hand, aber dann überlegt er sich's doch anders.
Wir gehen von Gehege zu Gehege. Weniger zurückhaltend ist der Gänsegeier. Er streckt die Brust raus, plustert die Federn auf. Zirkel steht mit dem Besen hinter mir. Ich werfe ein Stück Fleisch auf den Stein, der stolze Vogel greift es sich sofort und signalisiert: „Hau ab!“ „Einmal hat er mir in den Daumen gehackt. Trotz dickem Handschuh war mein Finger blitzeblau“, sagt Zirkel. Früher mal sei der Geier in sie verliebt gewesen, war ganz zahm. „Er wollte dann mit mir ein Nest bauen.“ Doch die Tierpflegerin folgte den Avancen nicht, seither ist das Verhältnis schwierig.
Tierische Augenpaare folgen mir
Mit Susanne Zirkel neben mir und den Fleischschüsseln in der Hand folgen uns die Augenpaare auf der Futterrunde. Es ist kalt heute, dazu ein normaler Wochentag, der Wildpark ist bis auf ein paar Spaziergänger fast leer. Muss ich als Besucherin sonst säuselnd um die Aufmerksamkeit der Tiere buhlen, werden wir jetzt erwartet. Es gibt so Termine, mit denen kann man Freunde neidisch machen – heute ist so einer.
Im Wirtschaftshof zupfen wir als nächstes altes Brot klein. Darauf freuen sich die Ziegen schon. Das Brot stammt aus den Spendenboxen an den Eingängen. Irgendwer hat verschimmelte Brötchen hineingeworfen, deshalb müssen wir viel aussortieren. Dass die Tiere richtig ernährt werden, ist Aufgabe von Zirkel. Sie ist die einzige Tierpflegerin im Wildpark, die die staatliche Ausbildung hat und damit quasi die Nummer Zwei hinter Parkchef Thomas Leier. Die anderen im Wildpark-Team haben keine tierpflegerische Ausbildung oder eine kürzere Fortbildung gemacht. Im Wildpark werden mehr als 450 Tiere 43 verschiedener Arten versorgt. Früher hat sie mal in einem Betrieb mit Versuchstieren gearbeitet, aber das wollte sie nicht mehr. Sie liebt Tiere, wohnt direkt neben dem Park und päppelt privat junge Vögel und Kleintiere hoch. Sie kann sogar in der Mittagspause schnell nach Hause. Als ihr Hund noch jünger war, kam der auch immer mit zur Arbeit.
Die Beos können grüßen - wenn sie denn wollen
„Ich habe zu jedem Tier eine Beziehung“, sagt Zirkel.Als 2014 die drei sprechenden Beos aus der Voliere geklaut wurden, hat ihr das Herz geblutet. Von den Tieren hat man trotz vieler Medienberichte und Zeugenaufrufe nie wieder etwas gehört. Von ihnen erzählt man sich im Wildpark die Geschichte, wie sie einen CSU-Stadtrat mal „schwarze Sau“ genannt hätten. Heute hängt ein Schloss am Vogelhaus. Die „neuen“ Beos können mittlerweile auch schon einige Wörter – wenn sie denn möchten. Ich versuche es mit „Hallo“ und „Grüß Gott“, aber die Vögel blicken mich nur verständnislos an. Als wir zu den Ziegen hinüber gehen, höre ich ein „Hallo“ krächzen, sie grüßen wohl nicht jeden.
Zum Job gehört aber natürlich nicht nur das Füttern, Saubermachen ist genauso wichtig. Jeden Tag sind andere Gehege dran. Ich habe Glück, heute müssen wir nur den Streichelzoo säubern. Die kleinen Köttel der Ziegen sind einfach überall, bevorzugte Toilettenplätze gibt's offenbar keine. Ich gebe mir Mühe, schnell und gleichzeitig gründlich zu arbeiten, ich will ja nicht die Schreibtischtäterin mit zwei linken Händen sein. Zum Glück gibt es spezielle Rechen, die sind aus Gummi, haben ganz enge Zinken und erfassen die Hinterlassenschaften ziemlich gut. Deutlich schneller geht es, als Zirkel von der Fütterung an der Vogelvoliere zurückkommt und mir hilft.
Einen Ziegenbock nennt Zirkel nur „Boss“. Warum, wird schnell klar. Die Ziegen scharen sich um mich und den Eimer voll alter Brotstücke. Ich versuche, die Stücke möglichst gerecht zu reichen, aber das ist schwierig. Manche Tiere sind älter oder schwächer, denen muss ich die Stücke schon ziemlich zielgenau vors Maul werfen, damit sie rechtzeitig zugreifen können. „Boss“ ist ganz vorn dabei, versucht von einem Felsen aus den Kopf gleich ganz in den Eimer zu stecken. Wenn ich mich umdrehe, um den anderen Ziegen auch etwas abzugeben, stemmt er mir den Huf in die Seite: „Ey, ich will mehr!“


