NIEDERWERRN Der Mantel der Geschichte weht an diesem Vormittag im Büro des Bürgermeisters von Niederwerrn: Dieter Friedrich-Wilhelm Freiherr von Münster-Kistner ist auf einen Glas Apfelsaft vorbei gekommen, rund 200 Jahre, nachdem seine Familie die Grundherrschaft über das Dorf aufgeben musste.
Bettina Bärmann vertritt Rathauschef Peter Seifert, der im Urlaub weilt. Die zweite Bürgermeisterin, die aus Kleineibstadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) stammt, fühlt sich den Freiherren von Münster besonders verbunden: Ihre Familie wohnte einmal in dem dortigen Münster-Schloss, das mittlerweile abgebrochen wurde. Bärmann zeigt dem Freiherren eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie des romantischen, schmucken Herrensitzes.
Dieter Friedrich-Wilhelm von Münster-Kistner lebt - als deutscher Staatsbürger - in St. Georgen in Kärnten. Als Gastgeschenk hat er zwei Flaschen Rebensaft vom eigenen Weingut mitgebracht. Mit dabei ist, als Sohn und einziger Stammhalter, Nils Christian, der einmal das Land der Vorfahren kennen lernen soll. Denn: "Adel verpflichtet". Der Spruch gelte durchaus auch für die noch rund 40 Mitglieder seines Hauses, sagt Dieter von Münster-Kistner. Dazu gehöre eine gewisse Vorbildfunktion und auch, von anderen niemals mehr zu fordern, als man selbst zu leisten bereit sei.
Der Besuch an der Wern ist in jedem Fall ein Heimspiel: Bereits 1420 erwarben die Brüder Hans und Engelhard von Münster die Wiesenburg bei Niederwerrn. Auch wenn die Anfänge der Familie mit dem Schwingen-Emblem bis ins Frühmittelalter zurückreichen: Niederwerrn gilt seitdem als Stammsitz des weit verzweigten Ritter-, Baron- und Grafengeschlechts. "Mit der Stadt Münster hat unser Familienname aber nichts zu tun", betont Dieter von Münster-Kistner.
Reformation eingeführt
Die Münsters haben ihrem Dorf buchstäblich Flügel verliehen: Nicht nur, weil seit 1961 die rot-silbernen Doppelflügel (neben der blauen Wellenlinie der Wern) Bestandteil des Gemeindewappens sind. 1566 etwa führte Eirich von Münster im seelsorgerisch arg vernachlässigten Niederwerrn die Reformation ein. Durch die Ansiedlung Schweinfurter Juden schufen die Ritter dann ein florierendes "Gewerbegebiet" an der Straße nach Würzburg.
Außerdem gaben sie ihrem Dorf internationales Flair: Das Rot-Silber im Wappen hänge mit den österreichischen Landesfarben zusammen, erzählt der Freiherr. Wurde doch 1684 Lorenz Ludewig von Münster durch den Kaiser in Wien zum Reichsfreiherren erhoben - aufgrund seiner Verdienste im Türkenkrieg. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts beendete der wirtschaftliche und politische Wandel die Herrschaft der Freiherren über Niederwerrn.
Dieter von Münster-Kistner stammt eigentlich aus der ostpreußischen Linie des Geschlechts, deren Gut Allenstein 1945 von der Roten Armee besetzt und verwüstet wurde. Viel besser ist es um den Stammsitz an der Wern nicht bestellt: Ein unscheinbarer Turmstumpf stellt den fast einzigen Überrest der einstigen Wasserburg dar, die 1525 im Bauernkrieg zerstört wurde. Das Verhältnis zwischen Grundherren wie Lorenz, Valentin oder Engelhard von Münster und "ihren" Niederwerrnern sei aber prinzipiell gut gewesen, betont Bettina Bärmann - die Familie war für vernünftiges, maßvolles Wirtschaften bekannt. Ein Wohnhaus an der Schweinfurter Straße ist kaum noch als Teil der einstigen Schlossanlage zu erahnen: "Der Treppenaufgang war hier flach, so dass die Ritter mit dem Pferd in den Saal reiten konnten", weiß Rainer Fuchs, der den Besuch durch den Ort führte.
Spuren und Erinnerungen
An Spuren der Familie sehen gibt es noch ein steinernes Wappen aus dem ebenfalls Münsterschen Euerbach, das heute im Rathaus-Nebenbau hängt, sowie ein farbiges Wappen der Kleineibstädter Linie (an der ehemaligen Spenglerei Wahler). Im Ort am bekanntesten ist sicherlich der Grabstein von Lorenz sowie Apollonia von Münster in der evangelischen Dorfkirche: Die schmuckvolle, bemalte Grabplatte aus den 1560er Jahren verweist auf die zahlreichen eingeheirateten Linien des Hauses.
Bis heute wirkt die Tradition und der karitative Fürsorge derer von Münster in Niederwerrn nach. Unter anderem ist eine Straße und der Stamm der örtlichen St. Georgs-Pfadfinder nach ihnen benannt.