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SCHWEINFURT: Einmalig in Unterfranken: Klinik für Psychosomatik

SCHWEINFURT

Einmalig in Unterfranken: Klinik für Psychosomatik

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    Sie erforschen Zusammenhänge zwischen Körper und Seele: Oberarzt Thomas Schmelter (rechts) und ein Teil des Teams mit Ärztin Kirstin Pasurka, Klinikassistentinnen Josefin Bayer, Anne Pfister, Psychologe Tobias Lautner, Kunsttherapeutin Susanne Krumm, Krankenschwester Martina Haßfurter und Arzt Alexander Pretzer (von links).
    Sie erforschen Zusammenhänge zwischen Körper und Seele: Oberarzt Thomas Schmelter (rechts) und ein Teil des Teams mit Ärztin Kirstin Pasurka, Klinikassistentinnen Josefin Bayer, Anne Pfister, Psychologe Tobias Lautner, Kunsttherapeutin Susanne Krumm, Krankenschwester Martina Haßfurter und Arzt Alexander Pretzer (von links). Foto: Foto: Anand Anders

    Seit gut einem Jahr arbeitet die Klinik für Psychosomatik am Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus. Die ersten Erfahrungen zeigen, der Bedarf ist riesig. Schon die Konstruktion ist etwas Besonderes: Zwei Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft machen gemeinsam eine Klinik auf. Eine Klinik für Psychosomatik an einem Allgemeinkrankenhaus ist einmalig in Unterfranken und bayernweit sehr selten, sagt Oberarzt Dr. Thomas Schmelter, der die Klinik aufgebaut hat. Träger ist das Leopoldina-Krankenhaus, das Psychiatrische Krankenhaus Werneck stellt Personal, Therapiekonzept und Arbeitsweise. Schmelter, 63, Facharzt für psychosomatische Medizin und für Psychiatrie, leitet sowohl die Station für Psychotherapie in Werneck als auch die Psychosomatik in Schweinfurt.

    Frage: Ständig liest man Meldungen, dass die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer oder psychosomatischer Erkrankungen steigt. Beobachten Sie auch eine solche Tendenz?

    Thomas Schmelter: Die Zahlen steigen, und auch die Belegung in Werneck ist seit einigen Jahren auf einem Dauerhoch. Insofern ist die Klinik eine willkommene Ergänzung und auch ein Stück weit Entlastung, die aber dennoch den Druck der Nachfrage völlig unzureichend abmildert.

    Müsste es angesichts dieser Entwicklung nicht einen gesellschaftlichen Aufschrei geben? Da läuft doch irgendwas schief.

    Schmelter: Diese Frage ist total schwierig zu beantworten. Es gibt jüngere Untersuchungen, die sagen, dass die Zahl der psychischen Störungen insgesamt gar nicht so sehr steigt. Sondern, dass man sie heute besser erkennt, dass mehr Menschen Behandlung in Anspruch nehmen und dass man sich eher traut, dazu zu stehen. Realität ist aber auch, dass der objektive und auch der subjektiv erlebte Druck zunimmt. In der Arbeitswelt und auch in der Lockerung sozialer Zusammenhänge – Vereinzelung, Brüchigkeit familiärer Strukturen, Druck bei der Arbeit.

    Sie sagen, die neue Klinik mildert den Druck nur unzureichend ab?

    Schmelter: In der Versorgungslandschaft in Unterfranken gibt es mehrere Entwicklungsschritte. Einer ist die Psychosomatik, ein anderer seit zwei Jahren die Außenstelle der Wernecker Ambulanz hier in Schweinfurt am Jägersbrunnen, die weitgehend ausgebucht ist. In Würzburg ist eine psychiatrische Klinik im Bau, die gemeinsam von Werneck und Lohr betrieben wird. Sie wird aller Voraussicht nach Anfang 2017 eröffnen.

    Schweinfurt ist also ein Baustein im Konzept.

    Schmelter: Ja, die Psychosomatik ist ein Element der Versorgungslandschaft, das einen speziellen Teil abdecken soll. Das Besondere ist, dass wir gleichzeitig ein Teil des Angebots von Werneck sind. Wenn hier jemand anklopft, führen wir ein Vorgespräch und können dann sagen: Kommen Sie zu uns. Oder: Eine ambulante Behandlung ist ausreichend. Oder wir verweisen auf die Tagesklinik. Wir können aber auch vorschlagen: Gehen Sie zum Beispiel auf die Krisenstation in Werneck. Und dann gibt es eben noch das Leopoldina mit all seinen Angeboten. So entsteht eine lückenlose Behandlungskette. Unser Schwerpunkt hier sind die sogenannten somatoformen Störungen, also körperliche Beschwerden, sehr oft mit Schmerzen verbunden, die keine organische Erklärung finden oder keine ausreichende. Oft ist es eben auch beides: eine körperliche plus eine psychische Erkrankung. Dazu gehört zum Beispiel Depression nach Herzinfarkt. Angststörungen, Panikattacken spielen auch eine ziemliche Rolle. Wir haben viele Leute mit einer krachenden Herzerkrankung, die dann, sobald sie ihr Herz wieder stolpern fühlen, in die Angst rauschen.

    Also die Angst, dass es wieder passiert?

    Schmelter: Das ist sehr häufig verschwistert. Die Betroffenen können sehr schwer unterscheiden, was ist denn was? Ist dieser Zustand jetzt der Vorbote eines neuen Herzereignisses? Für die Patienten ist das schrecklich. Der negative Fall wäre, dass jemand unnötigerweise nochmal die ganze Herzdiagnostik durchläuft. Da ist es sehr gut, dass wir hier direkt mit der Kardiologie zusammenarbeiten können und umgekehrt die mit uns.

    Sie betreuen also gemeinsam einen Patienten?

    Schmelter: Um ein Beispiel zu nennen: Da gibt es eine im Haus gut bekannte Patientin mit einer schweren Herzerkrankung. Sie trägt einen implantierten Defibrillator. Dieser sendet bei Kammerflimmern einen Stromstoß aus und bringt so das Herz wieder auf die Reihe. Wenn diese Defis aber Fehlauslösungen haben, dann ist das sehr unangenehm. Die Angst davor kann sehr belastend sein. Diese Patientin wäre wohl nicht auf die Idee gekommen, in eine psychosomatische Klinik zu gehen, aber wenn die Kardiologie gleich nebenan ist, wo man sie kennt, dann ist die Hemmschwelle schon gleich viel niedriger.

    Was können Sie für eine solche Patientin tun?

    Schmelter: Wir können ihr natürlich nicht die Herzerkrankung nehmen. Aber wir können sie unterstützen und stärken, dass sie sicherer mit der Erkrankung umgehen kann. Hier kommt man her, wenn die somatische Diagnostik so weit steht, aber man sich fragt, wie geht es weiter mit der psychischen Symptomatik?

    Welche Therapieformen wenden Sie an?

    Schmelter: Wir machen ein stationäres Angebot an Psychotherapie – Gruppenpsychotherapie und Einzelgespräch –, Kunst- und Gestaltungstherapie, Physiotherapie – also viel Krankengymnastik, Bewegung, gerade bei körperlich eingeschränkten Leuten –, Musiktherapie, Entspannungsverfahren, sogenannte Psychoedukation. Das ist ein Kunstwort und meint die Informationsvermittlung über Zusammenhänge zwischen Körper und Psyche.

    Wenn ich auf einer kognitiven Ebene weiß, dass das, was mit mir passiert, erst mal nur im Kopf stattfindet . . .

    Schmelter: . . . dann ist das schon mal was. Es gibt viele Leute, die körperliche Beschwerden haben und sagen, ich bin von Pontius zu Pilatus gelaufen, und alle haben sie nichts gefunden, aber ich bin doch kein Simulant, ich hab doch keinen an der Klatsche. Denen kann man mit Information durchaus vermitteln, wie solche Prozesse ablaufen. Das ist die Verstandesebene. Die andere ist die des Erlebens: Nach und nach herauszufinden, in welchem Zusammenhang Beschwerden auftreten, schlimmer werden oder nachlassen. Um so zu einem Symptomrückgang und zu guter Selbstfürsorge zu finden.

    Man sieht das oft in Filmen: Gibt es sie tatsächlich, diese ganz bestimmten Auslöser?

    Schmelter: Die gibt es. Ein Erlebnis knüpft an eine alte Erinnerung an. Das ist eine Möglichkeit. Oder es stellt sich heraus, dass manche Dinge Belastungen darstellen, die der Betreffende gar nicht als Belastungen erkennt. Der sagt, damit komm ich doch zurecht, das ist doch überhaupt kein Ding.

    Gibt es typische Auslöser, in Familie oder Beruf?

    Schmelter: Die Frage ist: Was bedeutet für mich Stress? Und das ist etwas sehr Subjektives. Natürlich gibt es Stress, den fast jeder als solchen empfindet. Aber es gibt auch das Gegenbeispiel. Zuviel Alleinsein kann eine psychische Belastung sein. Ich erinnere mich an einen Patienten, der schwer lungenkrank war und alleine lebte. Der ganz schlecht Luft und dann Panikattacken bekam, gerade, wenn er lang allein war. Wir haben dann hier auf der Station die Erfahrung gemacht, dass dieses Symptom abflaute, wenn er mit jemand in Kontakt kam. Diesen Zusammenhang mussten wir erst erkennen.

    Er hat sich nicht einsam gefühlt?

    Schmelter: Er hat das nicht beklagt. Das war ein ganz tüchtiger Mann, der hatte viel in seinem Leben geleistet. Der sagte, Schwierigkeiten sind dazu da, bewältigt zu werden. So etwas kann man nur stationär entschlüsseln.

    Ist das so abgekoppelt, dass der Körper auf einer Art Umweg reagiert und man sich dessen gar nicht bewusst ist?

    Schmelter: Das gibt es in allen Abstufungen. Manchmal ist es bewusstseinsnah, und manchmal ist es völlig in den Köper abgesunken. Es ist dann unsere Arbeit, zusammen mit dem Patienten zu erforschen, wie die Zusammenhänge sind.

    Klingt nach Detektivarbeit.

    Schmelter: Ja, das stimmt. Einerseits gibt es viel wissenschaftliches, empirisches Wissen über solche Störungen und entsprechende Studien. Andererseits geht es – wie immer in der Medizin – darum, das vorhandene Wissen auf den individuellen Fall anzuwenden. Ich kann es Ihnen nicht an der Nasenspitze ansehen, ob Ihr Problem etwas mit Einsamkeit zu tun hat oder mit früheren belastenden Erfahrungen. Das herauszubekommen, ist das Schwierige aber auch das Interessante.

    Dem Mann mit den Lungenbeschwerden musste man also nur empfehlen, unter Leute zu gehen?

    Schmelter: Wobei ja die Schwierigkeit war, dass er wegen der Lungenerkrankung so eingeschränkt war, dass er nur kurze Wegstrecken bewältigen konnte. Nach dem Erkennen der Hintergründe für ihre Panikattacken ging es tatsächlich ganz konkret darum, ein Konzept zu entwickeln, wie er trotz seiner Einschränkung wieder mehr Kontakte haben könnte – zu Angehörigen, Kindern, Nachbarn. Leute, die vielleicht ins Haus kommen. So etwas ist nicht immer ganz einfach, Kontakte kann man sich ja nicht vom Baum pflücken.

    Wie sind denn die Verweildauern an der Klinik?

    Schmelter: Sehr unterschiedlich. Den Standardfall wie etwa beim Blinddarm gibt es nicht. Wir liegen jetzt nach einem Jahr bei einer durchschnittlichen Verweildauer von sechs bis sieben Wochen.

    Was haben Sie erwartet, als Sie hier angefangen haben? Haben sich diese Erwartungen bestätigt? Hat Sie etwas überrascht?

    Schmelter: Mich hat überrascht, wie freundlich wir hier aufgenommen worden sind. Nicht, dass ich mit einem unfreundlichen Empfang gerechnet hätte. Aber der Gedanke, jetzt kommen die aus Werneck und wollen uns was über die Psyche erzählen, der war eben gar nicht da. Es ist eine sehr kollegiale Zusammenarbeit – besser als gedacht. Und das ist genau die Intention gewesen: Dass wir aus diesem großen Krankenhaus Patienten identifizieren, bei denen es eine psychische Beteiligung gibt, bei denen es schlecht für den Langzeitverlauf wäre, wenn man sie nicht behandeln würde.

    Denen würde man sonst sagen, gehen Sie mal zum Psychiater?

    Schmelter: Das, oder sie würden links liegengelassen. Nicht in böser Absicht, aber da würde dann halt die Zuständigkeit enden. Es hat sich jedenfalls die Erwartung bestätigt, dass ein Bedarf besteht und dass man da etwas Sinnvolles machen kann. Es zeigt sich auch, dass die Kollegen der anderen Abteilungen das immer stärker nachfragen. Die sehen: Wir haben etwas, was sie brauchen können. Und wir brauchen ja auch den Rat der Internisten, der Neurologen oder der Schmerzklinik, wenn unsere Patienten entsprechende Krankheiten haben.

    Gibt es ein typisches Patientenprofil für psychosomatische Erkrankungen?

    Schmelter: Das ist natürlich immer multifaktoriell, wie man so schön sagt. Aber man muss kein großer Psychologe sein, um zu erkennen, dass schwierige biografische Erfahrungen im frühen Kindesalter aber auch in der Jugendzeit der Nährboden sind, auf dem spätere Labilisierung wächst – psychische Belastung der Eltern, niedriger sozioökonomischer Status, schwierige Wohnverhältnisse, Bindungsabbrüche. Zudem gibt es eine biologische Disposition, gerade etwa auch bei der Angst, da macht die Forschung große Fortschritte. Aber es zeigt sich auch, dass die Disposition allenfalls einen Teil ausmacht, sondern dass die Interaktion zwischen Umwelt und Disposition eine ganz große Rolle spielt.

    Gibt es eine Hitliste der körperlichen Symptome?

    Schmelter: Ganz oben stehen, zumindest bei uns, die Schmerzen. Schmerzen, die primär psychogen sind, und solche, die sowohl eine seelische als auch eine körperliche Beteiligung haben.

    Worauf kann man achten, um nicht selbst krank zu werden?

    Schmelter: Man sollte den Glauben an die eigene Unverwundbarkeit infrage stellen. Es ist schön, wenn man stabil und belastbar ist, aber zu glauben, ich bin unverwundbar und danach zu leben, ist auf die Dauer riskant. Aber den anderen Pol gibt es auch: Ich traue mir gar nichts zu. Wir brauchen alle das Wechselspiel zwischen Belastung und Entlastung. Spannung und Entspannung. Deswegen ist ja auch Arbeitslosigkeit keine Entlastung, sondern eine hohe psychische Belastung. Und zu denken, psychische Störungen sind was für andere oder gar ein Makel, das ist nicht sehr schlau.

    Was tun Sie, um Schwellenängste zu senken?

    Schmelter: Wir bieten jeden Freitag um 14 Uhr eine Infogruppe an, zu der jeder Interessierte hinzukommen kann, ob potenzieller Patient oder Fachmann. Man kann sich umschauen und sich erzählen lassen, wie wir hier arbeiten. Ganz unverbindlich. Inzwischen kommen Patienten auch deshalb hierher, weil uns jemand, der schon hier war, empfohlen hat. Das ist natürlich sehr schön für uns. Es hat sich auch schon ganz ohne unser Zutun eine Ehemaligen-Gruppe gebildet. Ein wichtiger Teil während der Behandlung ist auch, andere Patienten kennenzulernen, die ähnliche Probleme haben. Da entstehen oft dauerhafte Kontakte.

    Ein Jahr Psychosomatik in Schweinfurt

    Die psychosomatische Medizin geht davon aus, dass körperliche, seelische und soziale Faktoren Entstehung und Verlauf von Krankheiten beeinflussen können. So können etwa seelische Konflikte, die verdrängt werden, zu psychischen Beschwerden wie Depression und Angst führen, sich aber auch in vielfältigen körperlichen Beschwerden äußern, für die dann meist keine organische Ursache gefunden wird. Psychosoziale Faktoren können aber auch Entstehung, Verlauf und Verarbeitung körperlicher Krankheiten beeinflussen. Dementsprechend spielen diese Faktoren auch für die Gesundung eine wesentliche Rolle. Die Klinik für Psychosomatik in Schweinfurt besteht seit gut einem Jahr. Zum Team gehören neben Oberarzt Dr. Thomas Schmelter drei Assistenzärzte und sechs Therapeuten. Die Patienten werden von niedergelassenen Ärzten überwiesen oder von den anderen Abteilungen des Leopoldina.

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