Stefan Martus, Bürgermeister der ehemaligen Festungsstadt Philippsburg am Rhein, weiß, wie es enden wird, mit dem Atomkraftwerk, dessen erster von zwei Blöcken 2011 vom Netz gegangen ist: Es wird detonieren, zumindest der symbolträchtige Teil. „Wir werden 2020 die beiden Kühltürme sicher sprengen“, sagt der Bürgermeister der „Atomstadt“, bei einem gut besuchten Vortragsabend im Feuerwehrhaus Oberndorf.
Eingeladen hat die Antiatom-Bürgerbewegung BA-BI, auch Grüne, BUND und Kreispolitik sind vertreten. Vierfach abgesichert sollen die 150 Meter hohen Giganten zusammensinken,der verminderten Lärm- und Staubbelastung wegen: „Besser eine Stunde Sprengung als 14 Monate Rückbau.“
Danach wird ein Konverter auf der Freifläche entstehen, zwecks Windstromtransport von Nord nach Süd. Noch steht sie fest, die Beton-Pracht am Rhein. Nur rund um Philippsburg 1, ein Siedewasserreaktor, wird bereits demontiert. Block II, der Druckwasserreaktor, soll erst Ende 2019 vom Netz.
Seit 2007 gibt es ein Standortzwischenlager für abgebrannte Brennelemente. Für den Rückbau entsteht noch ein Standortabfalllager (SAL), ein Reststoffbearbeitungszentrum (RBZ) sowie ein 40 Meter hoher Kamin. Insgesamt knapp 1,3 Millionen Tonnen Abfall werden anfallen. Davon kommen knapp 60 000 Tonnen zur Behandlung ins RBZ, von dort vermutlich 13 000 Tonnen als belastet ins SAL. Für 13 000 weitere Tonnen fehlen im Landkreis Karlsruhe die Deponieflächen.
Der Rest soll als „unbedenklich“ freigemessen in den Stoffkreislauf zurück. Bis 2040 wird rückgebaut.
Als Oberndorfer Rahmenprogramm singt der fränkische Liedermacher Johannes Wohlfahrt, vom Klimawandel in Franken etwa oder der Rabattmentalität. Das passt: Dank Großvater aus Arnshausen ist Stefan Martus ein Großcousin von Muiskkabarettist Michl Müller.
Auf Grafenrheinfeld übertragbar?
Der Vortrag soll sich um die Energiewende als Chance für Philippsburg drehen und darum, ob die Perspektiven auch auf die Region Grafenrheinfeld übertragbar sind: Wo der Antrag von PreussenElektra, vormals E.ON Kernkraft, auf AKW-Rückbau läuft, nach der Abschaltung 2015.
Das mit den Chancen bleibt etwas wage. Eigentlich geht es mehr um den Abgleich von Stimmungsbildern: Martus, der seiner 13 000 Einwohner-Gemeinde seit 2005 vorsteht, ist ein kerniger Baden-Württemberger, wenig amüsiert ob der Realitäten in der Atomindustrie und mittlerweile aus der CDU ausgetreten. Aktuell irritiert ihn vor allem die Ankündigung des Betreibers-Konzerns, EnBW, fünf Castoren mit verglastem Atommüll aus französischer Wiederaufbereitung nach Philippsburg zu bringen.
Ende September flatterte ein entsprechendes Informationsschreiben ins Rathaus: Mit dem Zeichen des Bundesumweltministeriums neben dem des EnBW-Konzerns im Briefkopf, einmütig unterschrieben von Umweltstaatssekretär und EnBW Kernkraft-Geschäftsführer. Zuletzt haben den Bürgermeister gefälschte Prüfprotokolle rund um den Störfallmonitor von Block 2 aufgeregt, die 2016 bekannt geworden waren.
Es gab aber auch Erfolge: Eine Baden-Württemberger Besonderheit ist eine Info-Kommission, die auf Initiative des grünen Landes-Umweltministers regelmäßig tagt, als Sachverständigenrunde, und die Öffentlichkeit auf dem Laufenden hält. Vielleicht ließe sich so etwas vor den Landtagswahlen auch in Bayern erreichen, heißt es im Saal.
Dauerhaft Zwischenlager?
Mit Hilfe der Kommission wurde zumindest ein Vorprüfungs-Ergebnis öffentlich gemacht, zur Umweltverträglichkeit des Rückbaus. Ansonsten steht auch Philippsburg vor der Perspektive, dauerhaft Zwischenlager zu werden, für etwas über hundert Behälter mit Brennelementen aus den Reaktorblöcken. Und eben das, was aus La Hague zurückkommen könnte. Entsprechend bräuchte auch dieser Standort eine „Heiße Zelle“, um schadhafte Castoren selbst abdichten zu können.
Dass die Behälter weit über 2047, dem rechtlich frühesten Fristende, am Stadtrand stehen werden, bis sie in ein Endlager rollen, ist sich Martus bewusst: manch Prognose reicht weit ins 22. Jahrhundert. Nur kurz entspannt sich eine Diskussion, ob man mehr auf sichere Zwischenlager setzten sollte, wie Babs Günther für die BA-BI betont, oder sich „ernsthaft“ auf Endlagersucher begeben sollte, was Martus anspricht.
Einigkeit herrscht, dass in Zeiten von Drohnen-Technik und panzerbrechenden Waffen oberirdische Hallen keinen dauerhaften Schutz bieten.
Ebenso wenig weiß man aus der Praxis, was Brennelemente wirklich in einer Umhüllung anrichten, bei Langzeitlagerung: „Man müsste den ältesten Castor mal aufmachen, unter Wasser, und nachschauen“, sagt der Rathauschef: „Eventuell würde sich das Zwischenlager dann erübrigen.“
Ansonsten bekommt auch er Abneigung von Gewerbetreibenden, etwa der Lebensmittelbranche, zu spüren, sich auf Freiflächen neben KKW, SAL und RBZ anzusiedeln. Philippsburg habe da einfach ein Imageproblem.
„Vor Ort beginnt die Realität“, ist seine Erfahrung. Am Ende schließt Stefan Martus etwas ratlos mit Goethe: „Die Geister, die wir riefen, werden wir nun nicht mehr los.“