Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten
Landkreis Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten

OBERLAURINGEN: Erinnerung an die Pogromnacht: „Da hat es gerappelt“

OBERLAURINGEN

Erinnerung an die Pogromnacht: „Da hat es gerappelt“

    • |
    • |
    Verhaftet: die jüdischen Männer der Landkreise Hofheim und Haßfurt nach dem Novemberpogrom 1938.
    Verhaftet: die jüdischen Männer der Landkreise Hofheim und Haßfurt nach dem Novemberpogrom 1938. Foto: Fotos: Privatarchiv Kappner (5), Stadtarchiv Mellrichstadt (1)

    Am 1. Juli 1913 kam Metzger Max Katz aus seinem Geburtsort Mellrichstadt nach Oberlauringen. Die dortige israelitische Kultusgemeinde zählte damals 97 Mitglieder. 710 Einwohner hatte der Ort im Jahr 1910, mehrheitlich evangelischer Konfession.

    Max Katz war am 16. August 1883 in Mellrichstadt geboren worden, als drittes und letztes Kind des Metzgers Louis Katz und seiner Ehefrau Fanny, geborene Schiff. Die Familie lebte in der Maxstraße 242, der heutigen Hauptstraße, am Ortseingang aus Richtung Fladungen. Nach 1883 zog Metzger Katz in das am Marktplatz gelegene Haus Nummer 312, heute Marktplatz 18. Fanny Schiff war am 20. Dezember 1854 in Oberthulba, Haus Nummer 113, heute Ledergasse 12, als Tochter des Viehhändlers Nathan und Jette Schiff geboren worden.

    Der Vater von Max Katz stammte aus dem nahen Mühlfeld, wo er am 17. Mai 1854 im Haus Nummer 71, heute Schwickershäuser Straße 4, zur Welt kam, als Sohn des Webers Philipp Katz und seiner ersten Ehefrau Amalia Kohn aus Bibra in Thüringen. Nach dem frühen Tod seiner Frau im Jahr 1861 heiratete er deren Schwester Jeanette. Aus beiden Ehen hatte er neun Kinder. Der Sohn seines Stiefbruders Hermann Katz, Friedrich, der mit Fanny Fleischmann aus Reckendorf im Landkreis Ebern verheiratet war, lebte als Geschäftsmann in Geisa in Thüringen, von wo aus der Familie 1940 die Flucht in die USA gelang. Tochter Senta war mehrfach auf Spurensuche im fränkisch-thüringischen Raum. Louis Katz starb am 31. März 1908, seine Frau Fanny am 28. Februar 1927. Beide starben in Mellrichstadt und sind auf dem dortigen jüdischen Friedhof begraben.

    Max Katz wohnte mit seiner Familie in Oberlauringen in der Judengasse 57, heute Friedrich-Rückert-Straße 28. In dem im Jahr 1913 von ihm erbauten Wohnhaus betrieb er auch seine Metzgerei. In erster Ehe hatte er am 8. September 1919 Lilly Schönfeld aus Goldbach geheiratet, die am 11. August 1892 in Goldbach geborene Tochter von Metzger Ferdinand Schönfeld und dessen Ehefrau Röschen, geborene Oppenheimer. In der Hauptstraße 270, heute Aschaffenburger Straße 50, in Goldbach führte Ferdinand Schönfeld eine Metzgerei und ein Ladengeschäft. Die erste Ehe von Max Katz war kurz und endete unglücklich mit dem Tod der jungen Mutter bei der Geburt des Sohnes Ludwig am 20. Dezember 1920. Ludwig Katz überlebte seine Geburt, sollte aber die Nazi-Verfolgung nicht überleben.

    Lilly Katz liegt auf dem jüdischen Friedhof in Oberlauringen begraben. Max Katz ging am 19. Februar 1922 mit Jenny Grünebaum aus Vollmerz (Kreis Schlüchtern) eine zweite Ehe ein. Jenny Grünebaum wurde am 2. Oktober 1892 in Vollmerz, im Haus Nummer 48, heute Borngasse 1, geboren und war im Jahr 1921 nach Oberlauringen gekommen. Ihre Eltern waren der Handelsmann Jakob Grünebaum und seine Ehefrau Therese, geborene Goldschmidt. Das erste Kind von Max und Jenny Katz, Theo, wurde am 16. November 1922 in Würzburg geboren, starb aber auf der Heimfahrt von der Klinik in der Bahn, nur 25 Tage alt. Das zweite Kind, Fred Emil, kam am 10. November 1927 in Oberlauringen zur Welt. Der 10. November ist ein geschichtsträchtiges Datum in der deutschen Geschichte, das sich auch für Fred Emil Katz elf Jahre später als einschneidend erweisen sollte.

    Familie Katz und die Familie von Bäcker Joseph und Charlotte Grünfeld in der Unteren Judengasse 56 waren gute Nachbarn. Deren beiden Kinder waren befreundet mit der gleichaltrigen Margot. Gemeinsam wuchsen die drei Nachbarskinder mit den Dorfkindern heran, besuchten die Schule in Oberlauringen. Im jüdischen Schulhaus hatten die jüdischen Kinder Religionsunterricht.

    Nach dem 30. Januar 1933, dem Tag der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, änderte sich das Leben der jüdischen Bürger spürbar. Dies betraf auch die 47 noch in Oberlauringen lebenden Juden. Bereits im Herbst 1935 waren auf dem jüdischen Friedhof Grabsteine zertrümmert, die Schuldigen später vor Gericht aber freigesprochen worden. Am 19. September 1938 wurden die Fenster der jüdischen Häuser eingeschlagen.

    Eine Zeitzeugin erinnert sich: „Im Allgemeinen herrschte Ruhe zwischen den christlichen und jüdischen Einwohnern. Wenn es aber jemandem aus dem Dorf gefiel, oder unter dem Vieh eine Krankheit ausbrach, oder wenn jemand vermisst wurde, gab es Unruhe. Da hat es gerappelt. Da haben die Jüden gekriegt. Da haben sie sie ausgehauen. Die Täter waren ältere und jüngere Männer aus Oberlauringen. Dieselben, die auch später im Novemberpogrom in der Synagoge gehaust haben. Drei, vier kamen aus Oberlauringen. Wir sagen die Namen nicht.“

    Das Novemberpogrom, die sogenannte Kristallnacht, fiel am 10. November 1938 auf den 11. Geburtstag von Fred Emil. In den frühen Morgenstunden wurden der Vater Max Katz sowie Josef Grünfeld verhaftet und ins Gefängnis nach Hofheim verbracht. Eine Zeitzeugin: „Da sind welche von Schweinfurt gekommen mit einem Lastauto, und da gingen Oberlauringer voran und zeigten den Schweinfurtern die jüdischen Häuser.“ Es gab Zeitzeuginnen, die in der unmittelbaren Nähe zu den jüdischen Einwohnern wohnten und sich besonders an die Vorgänge an diesem Tag erinnern. Von den Mitbewohnern des Ortes wurden sie als „Judenstinker“ verspottet, nur weil sie in der Nachbarschaft jüdischer Einwohner wohnten.

    Nach den erschreckenden Ereignissen am 9./10. November 1938 im ganzen Deutschen Reich und am 10. November in Oberlauringen überwanden viele jüdische Eltern die Angst vor der Trennung von ihren Kindern und schickten sie mit einem Kindertransport ins Ausland. Schon zu Beginn der 30er Jahre hatte in Berlin die Rabbinerehefrau Recha Freier die Kinder- und Jugendaliyah gegründet, die die Organisation der Kindertransporte ins rettende Ausland übernahm. Der erste Transport kam in den ersten Dezembertagen 1938 in Großbritannien an. Im März 1939 nahm der Kampf um die Kindertransportplätze panische Ausmaße an. Die Monate Juni und Juli 1939 waren der Höhepunkt der Transporte. Vom Dezember 1938 bis September 1939 wurden 7482 jüdische Kinder nach Großbritannien gerettet. „Es sind Hunderte von Kindern in Altersstufen von sechs bis 16 Jahren“, beschrieb eine englische Beobachterin ihren Eindruck. Der letzte Vorkriegstransport kam aus Berlin am 31. August 1939 an.

    Der Weg in die Fremde begann auf einem Bahnhof. Meistens brachte der Vater das Kind an den nächsten Bahnhof, wo es dann Betreuer übernahmen, die mir ihnen zum verabredeten Treffpunkt weiterreisten. Frankfurt war in Deutschland der zentrale Sammelpunkt für die Kindertransporte. Das Alter der Kinder reichte von drei bis 17 Jahren. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 beendete die Kindertransporte.

    Ein Kind erinnert sich an seinen Abschied: „Der Bahnhof war ein Alptraum mit all dem Jammern, den Tränen und dem Geschrei, wie auf einem Schlachtfeld. Ich war zwar beeindruckt, fühlte mich jedoch eher als unbeteiligter Zuschauer. Der Zug war total überfüllt mit Kindern. Die Kleineren schliefen in den Gepäcknetzen, andere standen, saßen oder lagen in den Korridoren.“

    Immer schneller lösten sich in Deutschland die jüdischen Familien auf. Am 14. Dezember 1938 geht Fred Emil Katz' geliebter Stiefbruder Ludwig in die holländische Emigration. Der Abschied von dem älteren Bruder fällt dem Elfjährigen schwer. Am 5. Juni 1939 muss Fred Emil seine Eltern und sein Elternhaus verlassen. Dass es niemals ein Wiedersehen geben wird, ahnt keiner von ihnen. Der Vater bringt den Jungen an den Bahnhof, an dessen Namen sich Fred Emil Katz heute nicht mehr erinnert. Eine Einwohnerin erinnert sich, „dass die Mutter (Jenny Katz) so geweint hat, wie die Kinder weggekommen sind“.

    Der Kindertransport am 5. Juni 1939 fährt durch Holland, bringt die kleinen und großen Flüchtlinge zum Hafen Rotterdam, wo sie die Fähre nach Großbritannien, in den Hafen Harwich erwartete. Ein Kind erinnert sich: „Auf der Fähre war es himmlisch, und die Mannschaft war wunderbar. Wir kamen in den Speisesaal und wurden mit Essen überhäuft. Die Kinder entspannten sich langsam. Ich erinnere mich, wie sich Erleichterung breitmachte und das Lachen begann: Eine solche Mahlzeit hatten wir seit Jahren nicht mehr bekommen.“

    Den zweiten Teil des Artikels lesen Sie in einer der folgenden Ausgaben dieser Zeitung.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden