Der Verein Lebenshilfe für Behinderte Schweinfurt kommt nicht zur Ruhe. Bei der Jahreshauptversammlung am Mittwochabend in der Franziskusschule sind nach Vorwürfen und Unterstellungen aus der gut 120-köpfigen Versammlung die kommissarische Vorsitzende Kathi Petersen sowie die Vorstandsmitglieder Gudrun Schneider und Ursula Haas zurückgetreten.
Erst Anfang Oktober hatte der Vorsitzende Norbert Hart entnervt das Handtuch geworfen. Zu viel Kraft habe ihn der stete und wohl vergebliche Neuanlauf gekostet, drängende Themen und Projekte nach vorn zu bringen, sagte er damals. Nun leitete die Stellvertreterin Petersen den Verein kommissarisch. Sie hätte sich nach Harts Rücktritt, wie besprochen, als Interimsvorsitzende zur Verfügung gestellt und Horst Golücke als Stellvertreter – bis Mitte 2011, wenn die Amtsperiode endet, der Vorstand neu bestimmt wird.
Doch das hat einigen in der Mitgliederversammlung offenkundig so nicht geschmeckt. „Es wurde beantragt, dass ich nicht zur Wahl antreten und dass mir die Entlastung verweigert werden soll, obwohl ich den Vorsitz gar nicht hatte und sowieso nur der komplette Vorstand entlastet werden kann oder nicht“, sagt Petersen auf Anfrage dieser Zeitung. Gegen Gudrun Schneider sei ebenso intrigiert worden.
Ihr, Kathi Petersen, sei zum Vorwurf gemacht worden, dass sie selbst kein behindertes Kind habe und nicht genug in die Einrichtungen gehe. „Das ist mir zu platt“, sagt Petersen, die auch SPD-Kreisvorsitzende und Bezirksrätin ist, über die „Kampagne“: „Wenn man den Eindruck gewinnt, dass dem Vorstand das Leben schwergemacht werden soll, hat's halt keinen Sinn, dann kann man auch für die Menschen mit Behinderung letztlich nichts erreichen, und um die geht es doch in erster Linie.“
Verschleiß von Vorsitzenden
Nachdem also der Vorsitzende Hart hingeschmissen hatte und jetzt auch Kathi Petersen, Gudrun Schneider und Ursula Haas, waren vom gewählten sechsköpfigen Vorstand nur noch Günter Pfister und Peter Haupt übrig.
Als neue Interimsspitze bis zur regulären Neuwahl im nächsten Jahr wurden nun als Vorsitzender Wilfried Glock und als Stellvertreter Bernd Kraus gewählt. Für Gudrun Schneider, zuständig für den Bereich Werkstätten, wurde Claudia von Loosen-Kraus nachgewählt, für Ursula Haas (Bereich Wohnen) Heinz-Jürgen Fischer.
Es fällt auf, dass die Lebenshilfe Schweinfurt in relativ kurzer Zeit recht viele Vorsitzende verschleißt. Im Frühjahr 2007 hat's gekracht, da wurde über das am Grünen Markt geplante Neubauprojekt „LebensRaum“ gestritten. Renate Blumenstingl-Deitmer, erklärte Gegnerin des Vorhabens, stand nach zwölf Jahren an der Spitze der Lebenshilfe nicht mehr zur Verfügung.
55 Millionen Umsatz im Jahr
Ihr folgte Norbert Hart, der nach nur dreieinhalb Jahren vorzeitig aufgab. Seine Stellvertreterin Kathi Petersen war bereit, die Vakanz zu füllen, wurde aber zwei Monate später mit Methoden und Argumenten konfrontiert, die sie als „unterirdisch“ empfindet. Nun traut sich Wilfried Glock (erneut) ran, der schon einmal Stellvertreter war – unter Blumenstingl-Deitmer.
Was sind die Gründe für diese Querelen, das Misstrauen in den Vorstand und dafür, dass offenbar kein Konsens in der Ausrichtung der Lebenshilfe herzustellen ist? Jochen Keßler-Rosa, Diakonie-Leiter und berufenes Vorstandsmitglied, sieht die Lebenshilfe als großes „Sozialunternehmen“ mit einem Jahresumsatz von 55 Millionen Euro und einer Bilanzsumme von 77 Millionen.
Ein solches Unternehmen überhaupt mit einem ehrenamtlichen Vorstand zu führen, sei ein „sehr anspruchsvolles Vorhaben“. Dazu komme, dass die Lebenshilfe ein so genannter Elternverein sei. Eltern hätten oft andere Erwartungen als die Leitung der „Firma“. Hinzu komme, dass auch viele der Lebenshilfe-Mitarbeiter Mitglied im Verein seien, die wieder eigene Interessen und Vorstellungen hätten. Leitung, Eltern, Mitarbeiter hätten jeweils einen anderen Blick auf den Verein.
Dessen Struktur müsste nach Keßler-Rosa grundsätzlich geändert werden, was in den letzten Jahren des Öfteren versucht worden, aber immer gescheitert sei. Ein hauptamtlicher dreiköpfiger Vorstand wäre das Sinnvollste, mein Keßler-Rosa, einer allein könne die Aufgabenflut dieses Großunternehmens nicht bewältigen.
Neue Spitze – alte Probleme
Dieses besteht aus sechs Werkstätten, drei Schulen, drei Frühförderstellen und 25 Wohnheimen im nördlichen Unterfranken und in Südthüringen. 700 Mitarbeiter betreuen 1600 Menschen in den Werkstätten, 400 Kinder in den Schulen und 330 in den Frühförderstellen.
Das ist das Großunternehmen Lebenshilfe für Behinderte e. V. Schweinfurt. Der Interimsvorstand an seiner Spitze ist jetzt neu – die Probleme sind alt und offenkundig weiterhin ungelöst.
Lebenshilfe e. V.
Der Verein Lebenshilfe für Behinderte e. V. Schweinfurt ist eine der größten Einrichtungen dieser Art in Bayern. Er betreibt drei Schulen, drei Frühförderstellen, sechs Werkstätten und vier angegliederte Förderstätten, sowie 25 Wohnheime und organisiert „offene Hilfen“ durch ehrenamtliche Mitarbeiter. Der Verein hat Einrichtungen in Schweinfurt, Sennfeld, Schonungen, Augsfeld, Hammelburg, Fuchsstadt, Nüdlingen, Hohenroth und im südthüringischen Meiningen. Rund 700 Mitarbeiter kümmern sich um mehr als 2300 Behinderte. Die Bilanzsumme beträgt 77 Millionen Euro, der Jahresumsatz 55 Millionen.