Dass Extrabreit im Schweinfurter Stattbahnhof mächtig abgefeiert werden, ist eh klar. Viel spannender die Frage: Funktioniert der Rotzlöffel-Rock der frühen Achtziger auch 2018? Schließlich geben junge Menschen allerweil längst nicht mehr so viel Gas gegen die elterliche Spießigkeit wie damals – allein schon, weil es diese so kaum noch gibt. Gegen alles und Spaß dabei is' nich' mehr so in einer Jugendkultur zwischen Seitenscheitel und Hemd. Da kommt poppiger Punk anachronistisch daher. Doch Gott sei Dank sind genug aufgedrehte Mitfünfziger da – und so wird der Abend zur bunten Zeitreise.
Immerhin haben Extrabreit ja schon Pubertierenden, die seinerzeit nicht so recht wussten, ob sie nun frustriert oder spaßorientiert sein sollten, aus der Seele krakelt, als die (Toten) Hosen noch in ebensolchen kurzen auf dem Bolzplatz herumgerannt sind. Und die Hagener um Sänger Kai Havaii machen das 40 Jahre nach ihrer Bandgründung genau richtig.
Mit dudeligem Prä-NDW-Sound hat das nichts mehr zu tun. Das ist erwachsener Deutschrock mit bluesigen Gitarren und ganz viel Rock'n'Roll. Ganz schön hart bisweilen. Und manchmal auch grimmig. Und: Die Jungs haben die vier Jahrzehnte zum Üben genutzt. Das ist handwerklich alles der Garage entwachsen und auf respektablem Niveau, auch wenn der inzwischen haarlose Havaii ein bisschen Hall fürs Volumen braucht.
Doch der 61-Jährige hat Charisma, zieht vor allem dann magisch in seinen Bann, wenn es langsamer und lyrisch eindringlicher wird. Immer noch überragend: „1-1-0“ mit so wunderbaren Reimen wie „lachend stirbt auf der leeren Kreuzung ein Reh, es riecht nach Schnee“ oder „der Schrankenwärter wartet auf den TEE, am Rand der Stadt versinkt eine Nonne im See“. Da dürfte 'ne tüchtige Fuhre bewusstseinserweiternder Substanzen im Spiel gewesen sein.
Nichts davon, auch kein Alkohol sei aber Schuld gewesen am eingegipsten Haxen von Leadgitarrist Stefan „Kleinkrieg“ Klein, der die gut zwei Stunden im Sitzen absolviert. „Mein Fuß war eingeschlafen, dann bin ich beim Aufstehen . . .“ – weiter kommt er nicht, das Publikum beendet mit „ja, ja“ die Erklärung. Schließlich haben Extrabreit ja auch musikalisch noch eine Menge mitzuteilen. Dass der Präsident tot ist, Joachim härter werden muss und Polizisten eine Frau und zwei Kinder haben. Hits, Hits, Hits – „Für dich soll's rote Rosen regnen“, aber auch Kracher wie „Hurra, hurra, die Schule brennt“ und „Flieger grüß' mir die Sonne“. Und dann ist sie halt doch plötzlich präsent, die Zeit der Leoparden- und Streifenröhren, der Legwarmers, Netzshirts, knöchelhohen Turnschlappen, Bravo und Ed von Schleck. Und die Erinnerung ans Küsschen auf der Eisbahn. Wie passend das Finale: „Junge, wir können so heiß sein“.
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