Die Diagnose ist ein Schock: Krebs. „Es war, als ob sich der Boden unter mir bewegen würde - Ich hatte Todesangst - Die Leichtigkeit meines Lebens ist vorbei - Wie soll es nur weitergehen? - Von da an war plötzlich alles anders“. So schildern Patientinnen und Patienten ihre Empfindungen beim Erhalt ihrer Diagnose. Das berichtet die Psychologin Dr. Elisabeth Jentschke vom Psychoonkologischen Dienst des Universitätsklinikums Würzburg bei ihrem Vortrag im Leopoldina. Sie sprach auf Einladung der Psychosozialen Krebsberatungsstelle der Bayerischen Krebsgesellschaft im Leopoldia-Krankenhaus über den „Umgang mit tumorbedingter Fatigue“.
Schon bei der Diagnose sollte eine Krebsberatung beginnen, fordert Jentschke. Dazu gehöre auch die Nachricht, dass Krebs nicht immer ein Todesurteil sei, die Heilungschance liege heute bei über 50 Prozent (abhängig von der Krebsart und Stadium). Die Therapie bringe neben den seelischen Belastungen meist auch körperliche: Nervenstörungen, Gefühlsstörungen, Haarverlust, Empfindlichkeit an der Narbe - eine Beeinträchtigung des eigenen Körperbildes und eine Störung der Selbstwahrnehmung. Und meist eine totale Müdigkeit, die Fatigue, an der etwa 80 Prozent aller Krebspatienten leiden.
Wie äußert sich die Fatigue
Dieser schwere Erschöpfungszustand bei Krebs macht sich bemerkbar durch eine außerordentliche Müdigkeit, mangelnde Energiereserven und ein massiv erhöhtes Ruhebedürfnis, das absolut unverhältnismäßig ist zu den vorausgegangenen Aktivitäten. Man unterscheidet drei Dimensionen von Fatigue. Körperliche Müdigkeit: Reduzierte Leistungsfähigkeit, vermehrtes Schlafbedürfnis und Müdigkeit tagsüber, Gefühl von Schwere der Gliedmaßen („zentnerschwere Beine“). Emotionale Müdigkeit: Motivations- und Antriebsmangel, nachlassendes Interesse, Traurigkeit, Angst, der Wunsch sich zurückzuziehen. Mentale Müdigkeit: Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Ablenkbarkeit, allgemeines Krankheitsgefühl.
Bereits in der Klinik sollte nach Fatigue-Symptomen gefragt werden, fordert Jentschke: Nach Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Angst, Depressionen, Muskelschmerzen, Polyneuropathie.
Als Ursachen kommen infrage: Die Krebserkrankung selbst, die Krebstherapie (OP, Strahlen- und Chemotherapie, Antihormon-Behandlung), Blutarmut, Hormonmangel, Beeinträchtigung anderer Organe (Leber, Niere, hormonbildende Drüsen, Knochenmark), Mangelernährung, Elektrolyt-Störungen, fehlende körperliche Bewegung, Angst und Depressionen. Angst fördert die Ausschüttung von Stresshormonen, die dem Immunsystem schaden.
Multimodale Therapie ist wichtig
„Für die multimodalen Therapieansätze von Fatigue erfordert es einen Behandlungsplan, der die individuellen Gegebenheiten des Patienten berücksichtigt“, betont Jentschke. Wichtig sei eine gute Ernährung (Vitamin B 6 und B 12 und Folsäure bestimmen lassen), eine zufrieden stellende Schlafqualität, die Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten trotz Drang zum Rückzug und Selbsthilfegruppen. In allen Etappen der Tumorerkrankung spielt körperliche Aktivität eine wichtige Rolle: Als Unterstützung der begleitenden Therapie, im Rahmen der Reha als Verbesserung der Funktion und der Heilungschancen und zur Reduktion eines Rezidivrisikos.
Gerade Yoga kommt zur Fatigue-Reduktion eine besondere Rolle zu. Das hätten auch eigene Studien des 2016 etablierten „Schwerpunktes für komplementäre Onkologie und integrative Medizin“ des Würzburger Universitäts-Tumorzentrums bewiesen. In einem multimodalen Therapieansatz werden hier unter anderem angeboten: 1. Naturheilverfahren (Pflanzen- und Wassertherapie, Akupunktur, Chinesische Medizin, Homöopathie). 2. Körper-Seele-Verfahren (Autogenes Training, Meditation, Muskelentspannung, Hypnose, Qi Gong, Yoga) und 3. Ernährungs- und Sportberatung. Sprechstunden nach Vereinbarung 0931 / 201-70970.
Die Referentin berichtet ausführlich von den von ihr geleiteten Yoga-Kursen: Schon nach einer achtwöchigen Trainingsphase seien Angst, Depressionen und Fatigue signifikant zurückgegangen. Für 92 Prozent der Teilnehmer habe sich die Erfolgserwartung erfüllt. Tatsächlich verringere Yoga unter Achtsamkeit basierten Bedingungen Angst, mindere die Fatigue- und Stresssymptomatik, erhöhe die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl und mache die Therapie besser verträglich.
„Raus aus dem Hamsterrad“
Der „Tempel der Gesundheit“ bestehe aus den Säulen Bewegung, Entspannung, Atmung, Ernährung und Selbsthilfe, erklärt Jentschke. „Die Patienten müssen lernen, auf sich selbst, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten, und diese dann auch umzusetzen“, betont die Referentin. Viele hätten das bisher nie gemacht oder gewagt. „Sie müssen raus aus ihrem bisherigen Hamsterrad.“ Dazu zitiert sie eine Patientin: Warum habe ich erst durch die Erkrankung und die Therapie erfahren, wie gut es tut, sich zu spüren?
„Trotz der Erkrankung Freude empfinden“, das sei zunächst nur ein guter Rat, schließt Dr. Jentschke. Um ihn verwirklichen zu können, sei die Frage hilfreich: Was hat mir schon immer Freude bereitet? Was kann ich neu erfahren? Die Zuhörer im voll besetzten Leo-Vortragssaal dankten der Psychologin aus Würzburg mit langem Beifall für ihren durch große Klarheit und Empathie gekennzeichneten Vortrag.
Doris Göb, Psychoonkologin und Leiterin der Krebsberatungsstelle im Leopoldina, verwies auf die beiden vierteiligen Yoga-Kurse, die am 6. September und am 18. Oktober in Schweinfurt beginnen. Darüber hinaus bietet die Beratungsstelle eine Vielzahl von Vorträgen und Kursen an, von denen hier einige erwähnt werden: Was tun gegen Nebenwirkungen der Chemotherapie, Frauengruppe „Entspannen und visualisieren“, MammaCare-Methode, Kraftquelle Malen, Klangreise, Wander- und Sportgruppe.
Anlaufstelle: Psychosoziale Krebsberatung im Leopoldina-Krankenhaus, 8. Stock, Psychoonkologin Doris Göb, Sprechzeiten Montag bis Mittwoch 9-11 Uhr, Tel. (09721) 720-2290
E-Mail krebsberatung@leopoldina.de