Der Tod gehört zum Leben, das wissen wir alle und wollen doch oft nichts davon wissen. Wir tabuisieren das Sterben, schrecken vor einem letzten Blick auf unsere Toten zurück. Dabei ist es eine unglaubliche Bereicherung, in Ruhe und familiärer Atmosphäre Abschied von einem geliebten Menschen nehmen zu dürfen. Das haben die vier Töchter der im Februar verstorbenen Maria Lohrey aus Schonungen erfahren.
Sie verstarb ein paar Tage nach ihrem 83. Geburtstag in einem Schweinfurter Krankenhaus. Ihre Kinder wollten den letzten Weg ihrer Mutter anders – als üblich – gestalten und brachten ihre Mutter, wie sie es sich so gewünscht hatte, noch einmal heim, in den Kreis ihrer Lieben, für die sie so viele Jahre der Mittelpunkt des kleinen „familiären Universums“ gewesen ist.
Viele werden sich jetzt fragen: Geht das heute überhaupt noch, das früher gängige Ritual der Totenwache, das Aufbahren eines offenen Sarges? Es geht. Bestatter und Krankenhaus arbeiteten Hand in Hand und brachten Maria Lohrey für zwei Tage heim nach Schonungen für ein wunderbares „kleines Fest des Abschiednehmens“ für die 21-köpfige Großfamilie.
Tochter Susanne Lohrey hat davon Fotos gemacht. Fast stockt einem der Atem, wie friedlich die ganze Szenerie wirkt, wie gelassen heiter trotz der Trauer. Die Bilder erzählen ihre eigene Geschichte: Da sind die vielen Enkelkinder, die die Innenseite des Sargdeckels mit vielen, bunten Zeichnungen verzieren und den offenen Sarg im Wohnzimmer mit gemalten Bildern und Botschaften schmücken. „17 Menschen wären nicht geboren ohne dich“ steht auf einer mit Blumen und Herzchen verzierten Zeichnung. Ein anderes Foto zeigt die Kinder, wie sie das Haar der Oma mit einem Blütenkranz schmücken, die gefalteten Hände und die Wangen streicheln. Selbst ein frischgebackener Krapfen wird heimlich als „Reiseproviant“ unter die Decke geschmuggelt. Anfängliche Berührungsängste verflüchtigen sich schnell, traurige und heitere Momente wechseln sich ab. Auf Phasen des Schweigens und der Andacht folgen Geschichten, die Erinnerungen lebendig werden lassen. Marienlieder, die die Mutter so liebte, kommen den Töchtern wieder in den Sinn, gemeinsame Gebete. Auch Nachbarn und Freunde kommen vorbei, waren – wie Susanne Lohrey erzählt – anfangs zaghaft, doch dann überrascht über die „so sorglose“ Nähe zum Tod, die schnell nichts Sonderbares, Angstvolles oder gar Anrüchiges an sich hatte.
„Wie schön sie ausschaut“, meinten viele, „fast, als würde sie schlafen.“ Der Anblick auf den geliebten toten Menschen hatte so gar nichts Erschreckendes, Unerträgliches an sich, sagen die Töchter. Zwei Tage konnten Familie, Freunde, Bekannte sich Zeit zum Abschied nehmen. Ein jeder wie er es wollte, alleine oder im Kreis anderer, bevor die Töchter den Sarg am Abend vor der Beerdigung an den Bestatter übergaben. Zuvor stellten sie den Sarg noch in den kleinen Garten hinter dem Haus, den die Mutter so liebte. Das ist so nicht zulässig, wie die Töchter erst später erfahren. Und dennoch: ein wunderbarer Moment, wie die Sonnenstrahlen ein letztes Mal das Gesicht der Mutter berühren. „Ein Augenblick unglaublicher Innigkeit“, wie sie später feststellen. Die vier Schwestern tragen den Sarg dann selbst, begleitet von großen und kleinen Kindern, zum Auto. Die Bestatter ziehen das leere Transportwägelchen klappernd hinterher. Einer der Bestatter ist sichtlich ergriffen, erzählt die Tochter später. „Ein sehr berührender Moment“, schon weil der Mann ja von Berufs wegen einiges erlebt haben muss.
Ein paar Wochen sind seitdem vergangenen, der Schmerz ist „leiser geworden“, hat Platz gemacht für die unglaublichen Erinnerungen an diese Zeit des Abschieds in Würde und großer Anmut, die niemand mehr missen möchte und die Susanne Lohrey auf ein paar losen Blättern für die Familie zusammengefasst hat. Lange hat sie mit sich gerungen, ob sie diese intimen Gedanken über diese heutzutage doch so ungewöhnliche letzte Reise ihrer Mutter mit einer Öffentlichkeit teilen darf. Letztendlich kam sie zu dem Entschluss, diese Erfahrung weiterzugeben.
„Es waren geradezu heilige Tage“, sagt sie, „ein großes Geschenk des bewussten Abschiedsnehmens zu Hause, das wir als Familie erfahren durften.“ Und so wünscht sie allen, die ebenfalls mit dem Tod eines geliebten Menschen konfrontiert sind, den „Mut und das Selbstvertrauen, diese letzte geheimnisvolle Reise zu begleiten“.