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HESSELBACH: Filme vom Kriesgende: Lebendige Geschichtsstunde in Hesselbach

HESSELBACH

Filme vom Kriesgende: Lebendige Geschichtsstunde in Hesselbach

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    Das Gemurmel brandet plötzlich und so laut auf, dass der Moderator Stefan Meining nicht mehr zu hören ist: Auf der riesigen Leinwand treiben amerikanische Truppen deutsche Kindersoldaten durch ein fränkisches Dorf. Es ist die Jeusingstraße in Weipoltshausen. Und die meisten der 500 Besucher in der proppenvollen Sporthalle des SC Hesselbach sehen erstmals bewegte Bilder vom Ende des Zweiten Weltkriegs in ihrer Heimat.

    Sie haben sich entschlossen, an einer ungewöhnlichen Geschichtsstunde teilzunehmen: inzwischen betagte Zeitzeugen; Großeltern in Begleitung ihrer Enkel; Weggezogene, die an diesem Abend den Weg in ihr Heimatdorf finden. Nun gesellen sich zu Erinnerungen und Erzählungen realistische Bilder. Und die Zeitzeugen gewähren Einblick in ihr Gedächtnis, wo sich tragische Szenen mit skurrilen Ereignissen mischen. Mal ist es mucksmäuschenstill im Saal, mal wird gelacht.

    Entdeckt hat die nur wenige Minuten langen Filmschnipsel der Redakteur von ARD-Report München, Stefan Meining, in einem US-Archiv in Washington; sie zeigen den Einmarsch der Alliierten in Franken. Nur die genaue Zuordnung der Aufnahmeorte gelingt ihm nicht. Dieses Rätsel lösen Leser dieser Zeitung, in der Standbilder der Filme erscheinen. Die Szenen sind eindeutig in Weipoltshausen, Hoppachshof und Hesselbach gedreht worden. Daher bedankt sich Redaktionsleiter Klaus Vogt bei den Einwohnern für die erfolgreiche und „spannende Detektivarbeit“. Sozusagen als Belohnung ermöglichen Fernsehen und Tageszeitung gemeinsam die Vorführung in Hesselbach.

    Und die weckt manch vergessen geglaubte Erinnerung. Es ist der 9. April 1945, als die Amerikaner aus Hoppachshof nach Hesselbach vorrücken. Ein hochsommerlicher Montag nach dem Weißen Sonntag. 64 Jahre später hält Walter Bötsch eine Patronenkugel in der Hand: Sie hat den Ärmel der Arbeitsjacke seines Vaters durchschlagen, später hat er sie aus der Tür des Schweinestalls gepult. „Glück im Unglück“, so ist bei allen Rednern herauszuhören haben die Bewohner der Schweinfurter Rhön gehabt.

    „Ein deutscher Feldwebel wollte einen Panzer abschießen“, erzählt Robert Geiß aus Weipoltshausen. Vor der Ausführung seines Plans sei er aber ums Leben gekommen: „Sonst wäre es uns schlecht ergangen.“ Auch Hesselbach sollte verteidigt werden, erinnert sich Helmut Engelbrecht, „aber alle Soldaten sind durchgegangen“ – nicht ohne sich die Taschen mit Dutzenden Zigarettenschachteln vollzustopfen. „Den Rest habe ich auf den Dachboden geschafft“, schmunzelt Engelbrecht – damals 13 Jahre alt.

    Die Invasionstruppen sind bei der Einnahme der Dörfer auf der Suche nach versprengten Soldaten und NSDAP-Funktionären. Als sich die Amerikaner der Gänsgasse in Hesselbach, der heutigen Rhönstraße, nähern, erschießt sich der damalige Parteileiter des Ortes. „Wenn noch jemand von den maßgeblichen Leuten da gewesen wäre . . .“, deutet Walter Bötsch an, dass die Einnahme Hesselbachs blutiger hätte ausgehen können. Eine Einschätzung, die auch Stefan Meining teilt: Wegen unerwarteten Widerstands anderenorts seien die US-Truppen vorsichtig vorgegangen, um schließlich Kampfhandlungen entschlossen entgegenzutreten. „Da wurden manche Dörfer ausgelöscht.“

    Unerwartet ist der US-Vormarsch nicht gekommen. Engelbrecht berichtet, wie eine kleine Personengruppe nach Ottenhausen geflüchtet ist, um möglichen Kämpfen in Hesselbach zu entgehen. Auch Robert Geiß versteckt sich. Im Keller des Elternhauses, wo schon Soldaten kauern. Dann verlässt er lieber wieder den Keller – aus Furcht vor seinem ungewissen Schicksal: „Ich dachte, die nehmen mich mit.“ Wie es Paul Schuler, Soldat auf Genesungsurlaub, ergangen ist. Mit drei Kameraden hat er sich gestellt. Wenige Tage später – Schuler hat zu Hause nochmal Pfannkuchen mit Kirschen bestellt – sind sie abtransportiert worden: über Ebertshausen, Bad Neustadt, Bad Kissingen und Worms nach Marseille. „16 Monate war ich in Gefangenschaft.“ Immerhin. Wer den Sowjets in die Hände fiel, ist erst viele Jahre später zurückgekehrt. Tausende gar nicht mehr.

    Zu den bedrückendsten Bildern, die das Fernsehteam zeigt, gehören die eines blutjungen Lanzers, der sich in Hoppachshof hinter einem Bretterhaufen versteckt und von einem Bauchschuss niedergestreckt wird. Er wird ihn nicht überleben. „Er war wohl aus Berlin“, sagt Elvira Stenzinger. Der Junge ist zunächst in Hoppachshof und dann in Hesselbach beigesetzt worden. Beeindruckt formuliert Stefan Schmitt (Burghausen) in das Mikrophon, dass er sich nicht vorstellen möchte, dass seine Kinder in den Krieg geschickt werden. Auch wenn Ottilie Harth in Hoppachshof keine Kampfhandlungen gesehen hat, bleibt der Soldat nicht das einzige Opfer. Drei hat es laut Bötsch in Hesselbach gegeben: „Ein Mädchen ist erschossen worden – in ihrem weißen Kommunionkleid.“

    Fünf Tage bleiben die Truppen im Ort. Von Übergriffen erzählt niemand. Eher die kleinen kuriosen Geschichten bleiben hängen: „Wir haben gerade geschlachtet gehabt“, erzählt Helmut Engelbrecht. „Die US-Soldaten haben die Schinken an die Ketten der Panzer gehängt. Und mit dem alten Sachser meines Vaters sind sie herumgefahren.“ Offenbar aus Furcht, es könnte doch noch zu Angriffen auf die Siegermacht kommen, müssen die Einwohner in großen Gruppen zusammenwohnen. „Zwei Stunden am Tag“, erinnert sich Maria Piatke, „hatten wir Zeit, unsere Tiere zu versorgen und die Kühe zu melken.“ Auch anderer Dienste versichern sich die einquartierten Eroberer. Sie sollte das von den GIs benutzte Geschirr reinigen, erzählt Piatke, damals 19 Jahre alt. Einmal habe sie es gemacht, „dann hab ich gesagt: Die sollen selber spülen.“ Haben sie aber nicht. „Die haben das dreckige Geschirr in den Garten geschmissen und sauberes bei den Nachbarn geholt.“ Angst? Die Frau lacht. „Ich hab' keine Angst gehabt.“

    Auch in Hoppachshof haben sich die US-Soldaten eingerichtet. In der Gastwirtschaft installieren sie ein provisorisches Lazarett, erinnert sich Ottilie Harth. Tage später entdeckt sie unter dem Tisch einen Karton. Inhalt: ein amputierter Fuß. „Den hat mein Vater im Garten vergraben.“ Schmunzeln im Saal.

    Auch wenn die Mikrophone schon lange abgeschaltet sind, gehen die Hesselbacher, Hoppachshöfer und Weipoltshäuser nicht nach Hause. Sie bleiben sitzen, erzählen Geschichte von „damals“. Etwa wie Bomber in Richtung Schweinfurt über den Ort geflogen sind. Solche Aufnahmen sind auch auf Meinings Fundstücken zu sehen. Er lobt die technische und kompositorische Qualität der Aufnahmen. Da sind Profis am Werk gewesen, möglicherweise Kameraleute aus Hollywood. Schließlich sollten die Sequenzen zu einem umfassenden, aber nie vollendeten Dokumentarfilm über den Vormarsch der Amerikaner von der Normandie bis nach Berlin zusammengefügt werden, wie Meining vermutet.

    Daten & Fakten

    Hesselbach und der Kriegsfilm „Report“ München zeigt Ausschnitte aus der Veranstaltung von Hesselbach, in der die Zeitzeugen zu Wort kommen, am Montag, 27. Juli, um 21.45 Uhr. Die entdeckten Filmaufnahmen sind auch im Internet zu sehen unter: www.mainpost.de/specials/geschichte

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