(sr) Es ist Dienstagabend kurz nach acht, als sich Daniela Wittmann aufmacht, in einem Schweinfurter Lokal fünf Frauen zu treffen, die eines verbindet: Sie haben ein Kind mit Down-Syndrom geboren. Kennen gelernt haben sich die Mütter in der Frühförderstelle. „Wir haben sofort harmoniert. Uns dann immer wieder gegenseitig geholfen und privat getroffen“, erinnert sich Wittmann an die Anfänge. Behördengänge, Kindergarten, Schulausbildung, Beruf – immer wieder stoßen die Eltern an ihre Grenzen. Trotzdem, das Wort „Behinderung“ kommt den Müttern nicht über die Lippen: „Unser Sohn Paul hat viele Talente und schafft es, uns immer wieder zum Lachen zu bringen“, sagt die Schonungerin.
Umso ärgerlicher ist es für die Eltern, sich mit Vorurteilen und rechtlichen Hürden herumzuschlagen. Schon lange geht es nicht mehr nur um die kleinen Sorgen und Nöten von Paul – es geht um das große Ganze. So wurde aus der Clique heute ein Verein: Unter dem Motto „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“ soll dem Schubladen-Denken ein Ende gesetzt werden. Das Zauberwort heißt Inklusion. Inklusion ist der Versuch, Beziehungen für alle zu ermöglichen und Vielfalt zu bejahen. Kategorien wie schwach oder stark, Mehrheit oder Minderheit, normal oder anders, werden zurückgedrängt. Statt Abgrenzungen rückt Inklusion die persönliche Begegnung und die gegenseitige Bereicherung in den Blick, so Sandra Finzel.
Beispiel Schule: „Warum können nicht auch behinderte Kinder ganz selbstverständlich in die Regelschule?“, fragt sich Daniela Wittmann. Unterrichtskonzepte müssten auch auf die Bedürfnisse dieser Kinder abgestimmt werden, in der Praxis sei man jedoch auf aufgeschlossene Lehrer angewiesen. „Äpfel müssen verschieden hoch hängen und für alle Kinder zumindest auf Zehnspitzen erreichbar sein!“, sagt Finzel über das dann individuelle Leistungsziel der Schüler. Zudem profitieren die Kinder vom Umgang mit körperlich oder geistig eingeschränkten Kindern: Das Sozialverhalten werde gestärkt, außerdem sind Flexibilität, Einfühlungs- und Durchsetzungsvermögen gefordert.
„Wir müssen abkommen von der typischen Behindertenkarriere um diesen Menschen auch eine Chance auf ein erfülltes Leben zu geben“, fordert Sandra Finzel. Ihr Appell richtet sich vor allem an die Förderschulen: Die Sonderpädagogen könnten ihre Arbeit auch auf den Regelschulen fortführen, so dass das Kind seinen Freundeskreis und soziale Kontakte im Umfeld nicht verliert, so die Idee des Vereins.
Abgekapselt seien die Kinder beispielsweise auch in der Sprachheilschule: Sie finden im Dorf oft nur schwer Anschluss, wie Daniela Wittmann beobachtet. Auch Anna Thein hat da schon ihre eigenen Erfahrungen gemacht und tut sich schwer, für ihre behinderte Tochter einen Kindergartenplatz in der Stadt Schweinfurt zu bekommen. „Sie ist nicht überall willkommen – manchmal fehlt es an Fingerspitzengefühl und Wertschätzung.“ Probleme, die es in einer inklusiven Schule oder Betreuungsstätte sicher nicht gäbe, sind sich die Frauen am Tisch einig.
Offenheit, Selbstverständlichkeit und Normalität, das wünschen sich die Gründungsmitglieder von den Mitmenschen für ihre Kinder. „Wir sehen uns als Sprachrohr für Menschen, die durchs Raster fallen.“Außerdem wollen sich die Mütter Wissen aneignen und betroffenen Familien beratend zur Seite stehen.
„Gemeinsam lernen – gemeinsam leben“
Ein Ziel: Der Verein „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“ besteht derzeit aus neun ehrenamtlichen Mitgliedern. Sitz des Vereins ist in Hirschfeld. Der Vereinsbeitrag beläuft sich auf jährlich 15 Euro, die Familienmitgliedschaft kostet 25 Euro. Die eingenommenen Beiträge werden verwendet, um Informationsmaterial, Vorträge und Aktionen zu finanzieren. Infos per E-Mail unter glgl-sw@freenet.de oder telefonisch unter Tel. (0 97 23) 93 60 91.