Einen Tag vor der Eröffnung sieht Rudolf Wachter seine Ausstellung in der Halle Altes Rathaus zum ersten Mal. Für einen Augenblick scheinen ihm die wuchtigen Säulen ein wenig Sorge zu bereiten. Aber schnell wird klar, wer in diesem Raum dominiert: die 18 Holzskulpturen sprechen eine so deutliche Sprache, dass alles andere nebensächlich wird. Allenfalls der Titel – Wachter Holz Skulptur – in großen Lettern untereinander auf die Wand gesetzt, ohne Strich und Komma dazwischen, lenkt einen Blick auf sich.
„Drei gleichberechtigte Stichworte“, sagt Wachter dazu. Mehr erläutert er nicht. Für Kuratorin Andrea Brandl von den Museen und Galerien der Stadt bringt der Titel das Credo des 84-Jährigen, der zu den großen deutschen Holzbildhauern zählt, auf den Punkt. Er beziehe seine Inspiration ausschließlich aus dem Stück Holz, das vor ihm liege. Seine Virtuosität bestehe darin, den Stamm so zu schneiden, dass er sich verändern und arbeiten kann, ohne kaputt zu gehen.
„Der Weg, der mir von der Natur angeboten wurde“
Rudolf Wachter über seine Arbeit mit dem Holz
„Wenn ich ihm die Freiheit gebe, dass die Jahresringe schrumpfen, aufquellen, sich verziehen, werfen oder gerade werden können, wenn ich ihm all das erlaube und wenn dadurch erst die Form richtig geboren wird, dann bin ich auf dem Weg, der mir von der Natur angeboten wurde“. So ausführlich spricht er an diesem Nachmittag freilich nicht über seine Arbeit, Andrea Brandl zitiert ihn im Katalog zur Ausstellung. Sie hat Wachter mehrmals in München besucht, wo er 1955 ein Atelierhaus entworfen hat, in dem er heute noch mit seiner Frau Ursula lebt und arbeitet.
Immer wieder umrundet er die am Boden liegenden Arbeiten, überlegt, schaut, fragt seine Frau, schaut noch einmal. Die eine lässt er drehen, eine andere verschieben. Es gibt kein Oben und Unten, kein Vorne und Hinten. Wichtig ist, dass die Skulptur eindeutig im Raum und in der Beziehung zu den anderen steht. „Noch ein bissle schräger. Jetz' isch gut“, gibt er an und da ist seine Herkunft aus dem Oberschwäbischen zu hören. Die nicht ohne Belang für seine Kunst ist, war er doch schon in seiner Kindheit mit schönen Hölzern vertraut.
Wachter bevorzugt Pappel und Weidenholz. In die Naturform des Stammes setzt er mit der Kettensäge Schnitte, die in den Kern des Holzes eindringen oder am Stamm entlang geführt werden. So kann das Holz arbeiten, ohne die Form zu sprengen. In Schweinfurt sind Arbeiten aus drei Serien zu sehen: Zwei „Stationen“, die in Augenhöhe an der Wand hängen, auf dass der Betrachter in ihnen lesen kann wie in einem Buch. Auf dem Boden Arbeiten aus der bereits 1989 begonnenen und nachträglich als „Newgrange“ bezeichneten Serie und „Gebrochene Räume“ (so ein dritter Serientitel).
Unendlich mutet die Formenvielfalt an, sagt Brandl. Manche Skulpturen sind auf einfache Schalen reduziert, andere bestehen aus einem Bündel dicht gedrängter, bisweilen gegeneinander verschachtelter Bogensegmente. Nichts ist künstlich aneinander gefügt, alles wurde aus dem Stamm heraus gezielt entwickelt und erarbeitet.
„Meine Arbeit ist beendet, wenn das Holz erlöst ist. Wenn es seine Bewegung frei ausführen kann, ohne die Plastik zu sprengen“, formuliert Wachter sein Ziel. Aus diesen Worten spricht eine große Vertrautheit, eine enge Bindung an das Holz, das für ihn offensichtlich viel mehr ist als nur ein Werkstoff. Dafür spricht auch der Titel der Ausstellung, in dem er das Material gleichberechtigt mit sich selbst als dem Künstler und mit der Skulptur als dem Endergebnis setzt.
Und wie selbstverständlich er an diesem Nachmittag mit seinen Arbeiten umgeht. Die eine dient ihm als Sitzgelegenheit, bei einer anderen zupft er Fasern ab, streicht fast zärtlich über die Kanten oder nimmt auch schon mal seinen Stock zu Hilfe, um die zweiteilige „Boden-skulptur“ noch ein Stückle zu verschieben.
Diese früheste in Schweinfurt ausgestellte Arbeit aus dem Jahr 1985, Leihgabe des Künstlers aus seinem Museum im Neuen Schloss Kißlegg, liegt im Mittelpunkt des Raumes. Den hellen Weidenstamm hat er längst geschnitten. Auf das Einfachste reduziert schafft Struktur und Form die Gestalt, formuliert es Andrea Brandl, die sich beim Anblick an ein ägyptisches Totenschiff erinnert fühlt, das augenblicklich ruhe, um dann den Leichnam des Pharao für die Fahrt ins Jenseits aufzunehmen.
„Wachter Holz Skulptur“, Halle Altes Rathaus, bis 23. März. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Führungen: Tel. (0 97 21) 51 21 5.