Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode. Zu diesem Schluss mag man kommen, wenn man die Mode des 19. Jahrhunderts und ihre besonderen Kreationen betrachtet: Trompeusen und Keulenärmel, Krinoline, Turnüre, Humpelrock und einschnürende Korsetts. Die Silhouetten änderten sich regelmäßig. Mal wurde die Brust betont, mal die Arme, dann die Taille, dann der Po. Die modischen Damen eiferten griechischen Göttinnen nach, gaben sich als reizende Püppchen oder raumgreifende lebende Kunstwerke. Die Mode war (und ist wohl noch immer) eine Tyrannin, aber eine geliebte.
Zwar birgt das Museum Georg Schäfer keine Modesammlung, doch unter den etwa 4500 Zeichnungen und den zahlreichen Büchern und Zeitschriften des Bestands befinden sich Porträts, Genreszenen, Sittenbilder und Karikaturen, für die die Mode mehr als nur notwendige Begleiterscheinung ist.
Die Ausstellung zeigt vor allem den Blick der Künstler auf die Mode. Die Kleidung ist für den Maler oder Zeichner eines der wichtigsten Mittel zur Charakterisierung eines Menschen und zur Darlegung seiner Stellung innerhalb der Gesellschaft. Im Unterschied zum Modebild, dessen Hauptaufgabe darin besteht, die aktuellsten modischen Strömungen in einem Idealzustand vorzuführen, stehen in den ausgestellten Zeichnungen das Individuum und sein Leben im Vordergrund. Sie zeigen daher aber auch eher die modische Realität der Zeit, nicht nur den „letzten Schrei“. Künstler schufen weibliche Ideale (wie sie heute wohl eher durch die Medien erschaffen werden).
François-Pascal Gérards Psyche auf dem Gemälde Amor und Psyche (1798) ließ zeitweise alle modebewussten Frauen die Sonne meiden und das Gesicht weiß pudern, um ihrem ätherischen Aussehen nahezukommen. Künstler arbeiteten für Modezeitschriften und entwarfen oft mit großer Freude Mode-Karikaturen. Auch sie selbst warfen sich modisch in Szene als Bohemien, Malerfürst oder Naturbursche. Mit Pinsel und Stift folgten sie den sich wandelnden Silhouetten, übertrugen den optischen Reiz neuer Stoffe, Spitzen, Rüschen, Drapierungen oder Perlen auf das Papier oder die Leinwand, schwelgten in Modefarben, die um die Damenkörper flossen, suggerierten im Zweidimensionalen Bauschiges, Transparentes, Luftiges und Schweres, große Volumen und Körpermodellierung, Reflexe und feinste Schattierungen. Die Bedeutung der Mode darf weder für die Kunst noch die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts unterschätzt werden. Sie beschäftigte Künstler, Philosophen, Literaten, Mediziner, Historiker und Techniker.
Immer wieder stößt man auf Versuche, die Mode als Ausdruck oder Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, der politischen Situation, eines National- und Lebensgefühls zu deuten und zu analysieren. 1905 erschien die erste Auflage von Georg Simmels Philosophie der Mode. Hierin beschrieb Simmel die Mode als bedeutsames gesellschaftliches Element, das dem Menschen gleichzeitig Anpassung an eine soziale Gruppe und individuelle Heraushebung aus ihr ermöglicht.
Eine zweite bedeutende Theorie zur Mode vertrat Eduard Fuchs im Buch „Die Frau in der Karikatur“ (1906). Hier schrieb der Autor unter der Überschrift „Ich bin der Herr dein Gott!“, dass der fast ausschließliche Zweck der Mode die pointierte Herausarbeitung der erotischen Reize sei. Je sinnlicher die Frau auf die Männerwelt wirkte, desto größer wurden ihre Chancen, einen finanzkräftigen Ernährer zu finden. Da die Aufmerksamkeit immer wieder aufs Neue geweckt werden müsse, strebe die Mode nicht nach Vollendung, sondern nach dem Auffallenden, Aufreizenden und ändere sich ständig. Fuchs sah also im Wandel der Damenmode alles andere als Willkür, sondern reine Zweckerfüllung und eine hohe Gesetzlichkeit.
Die Sonderausstellung zeigt etwa 85 Zeichnungen und Druckgrafiken sowie Zeitschriften und Bücher. Zu den vertretenen Künstlern zählen unter anderem Johann Georg von Dillis, Josef Kriehuber, Franz Krüger, Friedrich August von Kaulbach, Hugo von Habermann, Heinrich Lossow, Max Klinger, Franz Skarbina, Lothar Meggendorfer und Ferdinand Freiherr von Reznicek. Leihgaben stammen aus den Museen und Galerien Schweinfurt, der Sammlung Dr. Rüdiger Rückert, aus dem Stadtarchiv Schweinfurt sowie aus Privatsammlungen.
In einer Kooperation haben 22 Absolventinnen und Absolventen der Modeschneiderklasse der Modeschulen Nürnberg drei Kleider und zwei Hüte – hauptsächlich aus Papier – für die Ausstellung entworfen: Schute, Biedermeier-Kleid, Krinoline, Sans-ventre-Linie und Tellerhut zeigen lebensgroß und etwas überspitzt Typisches verschiedener Modeepochen und den Wandel der Silhouette.
Geliebte Tyrannin – Mode in Bildern des 19. Jahrhunderts, Museum Georg Schäfer. 14. Dezember bis 8. März 2015. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Öffnungszeiten: Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Do bis 21 Uhr (24., 25. und 31.Dezember geschlossen)
Carl Spitzweg: Der Gemäldeteil ist verlängert bis 11. Januar.