Die beiden spektakulären Ideen, die Gerhard Tollkühn in seiner Zeit als Erster Bevollmächtigter der IG Metall in den Krisenjahren 1992 und 1993 dann auch in die Tat umsetzte, waren der Bonnmarsch und der symbolische Auszug aus der Stadt. Er hat damit – ihm wahrsten Wortsinn – die Menschen bewegt. Das war dem im Grunde ruhigen Gewerkschafter, der die Dinge eher differenziert gesehen hat, die seinerzeit nötige wie richtige Reaktion. Vor wenigen Tagen ist Tollkühn im Alter von 80 Jahren gestorben. Am Dienstag ist er bei sich zuhause in Stadtlauringen im Beisein vieler Gewerkschafter beerdigt worden.
Der Reporter ist 1993 selbst mit nach Bonn gelaufen. Tollkühn hatte auch diese Idee. Er wollte, dass die Krise und der Protest bundesweit bekannt wird. Das gelang. Tollkühn ist Träger der Fritz-Soldmann-Medaille, die an Bürger der Region verliehen wird, die sich in herausragender Weise um humane Werte wie soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und gewerkschaftliche Solidarität verdient gemacht haben. 2009 wurde ihm die Medaille verliehen, weil er sich wie Soldmann für soziale Gerechtigkeit und dafür einsetzte, „Dinge gesellschaftlich zu verbessern“, wie es der DGB-Vorsitzende Frank Firsching damals sehr richtig formulierte.
In der Schmiede bei FAG begann die Gewerkschafterkarriere Tollkühns. Durchs einen Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen wurde man auf ihn aufmerksam. 1962 wurde „der Gerhard“ IGM-Mitglied, 1968 rückte er in den Betriebsrat bei FAG ein, kümmerte sich bei der IGM um die Bildungsarbeit. Am 1. Januar 1975 trat Tollkühn die Stelle als politischer IGM-Sekretär an. 1990 rückte er auf den Chefsessel, beerbte als Erster Bevollmächtigter Harry Muck, nicht ahnend, dass er in der dramatischsten Zeit der Steuermann wurde. 1995 folgte ihm Klaus Ernst nach, heute ist Peter Kippes der Erste Bevollmächtigte, der Tollkühn viel zu verdanken hat. Bei der Auszeichnung mit der Soldmann-Medaille 2009 erinnerte Kippes an das stets segensreiche Wirken von Tollkühn etwa bei der Urabstimmung zur Tarifrunde 1995, der ersten nach 1954. Er meisterte sie mit stoischer Ruhe.
Obwohl damals schon gesundheitlich eingeschränkt zollte Tollkühn Soldmann in einer beeindruckenden Rede Respekt. Er habe sein Leben für die Menschen geopfert. Soweit habe er nicht gehen wollen, sei aber froh und dankbar, dass auch er vielen Menschen helfen konnte. Die Schubkraft hätten ihm stets die Arbeitnehmer gegeben, als Beispiel erinnerte Tollkühn an die 13 000 Metaller beim Protest auf dem Markt und den Bonnmarsch im Krisenjahr 1993. Gerhard Tollkühn hat Spuren hinterlassen.