Sie haben klangvolle Namen wie Emmanuel, Angélique Françoise, Antoinette Charlotte, Hyacinte Jeanne oder Denise David: die früheren Glocken der Kathedrale Notre Dame de Paris. Als das altehrwürdige Geläut 2012, bei der Renovierung zur 850-Jahr-Feier, größtenteils ausgetauscht wurde und eingeschmolzen werden sollte, führte das zum Sturm der Entrüstung. Die prachtvollen Bimmler blieben erhalten. Eine Kirchenglocke ist in ihrer Himmelsnähe eben kein Klangkörper wie jeder andere. Das spürt man auch im Schweinfurter Musikerviertel, im fast 30 Meter hohen Glockenturm von Dreieinigkeit.
Auch wenn dort, im 55. Jahr der Pfarrei, auf lediglich ein Jahrzehnt neuer Glockenstuhl eingestimmt wird, und die sechs Schützlinge von Pfarrerin Eva Loos protestantisch schlichte Namen führen: Die Gottesglocke, die an das erste Gebot („Ich bin der Herr, Dein Gott“) gemahnt und zusammen mit Christusglocke und Heilig-Geist-Glocke eine „Dreieinigkeit“ bildet. Dazu kommen eine Zeit-, Tauf- sowie eine Vaterunserglocke: in unterschiedlichen Größen und Gewichten, zwischen 125 Kilo und über eine Tonne. In Tonlagen vom zarthellen Fis bis zum volltönenden E.
Die Größte der himmlischen Schwestern wird auch „Gloriosa“ genannt, nach der mittelalterlichen Hauptglocke des Erfurter Doms. 1961 wurden die ersten eigenen Glocken für den „Campanile“, den freistehenden Kirchturm, geweiht, aus der traditionsreichen Karlsruher Glockengießerei Gebrüder Bachert.
Die Schweinfurter Gloriosa musste 1979 in Heidelberg neu gegossen werden. „Außer Sankt Johannis hat keiner so viele Glocken“, freut sich Eva Loos über ihr Sextett. Eine Besonderheit, aber auch Belastung, im Wortsinn: Beim Kirchenbau Ende der 50er-Jahre schwebte dem Architekten „italienisches Flair“ vor. Ein Campanile sollte zum Gottesdienst rufen, ein freistehender Glockenturm wie im Renaissance-Italien, in dem die Glocken luftig an den Fensteröffnungen hingen und nach draußen, in jede Richtung, läuteten.
Ein architektonisches Dolce Vita, das den Verantwortlichen irgendwann Sorgenfalten auf die Stirn trieb: Was, wenn einmal eine der „Campane“ ganz oder teilweise auf die Straße fallen würde? „Klöppelflug“ wurde zum geflügelten Wort, erzählt Loos schmunzelnd. Vor allem erinnerte der Turm bald ein bisschen zu sehr an den wohl berühmtesten „Campanile“: den Schiefen Turm von Pisa.
In Schieflage geriet der aus rotem Ziegelstein gemauerte Rundbau zwar nicht. Durch die Schwingungen kam das Mauerwerk aber gefährlich ins „Schwimmen“, wurde von oben herab buchstäblich im Innersten erschüttert, wie Sachverständige warnten. 2005 hat man den Glockenstuhl aufwendig renoviert, die Stahlträger wurden durch rustikales Eichenholz ersetzt, die Glocken auf drei Stockwerken ins Innere versetzt und die Fenster mit Lamellen verschlossen: Für 80 000 Euro, die größtenteils über Spenden finanziert werden mussten, aus der Gemeinde.
Grund genug für die Seelsorgerin, die (noch lebenden) Spender von damals zu einem Glockenfest einzuladen, das am Sonntag, den 13. Juli, ab 10 Uhr mit einem Gottesdienst beginnen soll: Im Anschluss, um 11 Uhr, wird es ein „Glockenkonzert“ geben. „Ich werde mir etwas einfallen lassen“, sagt Komponistin Loos am elektronischen Läutwerk im Gotteshaus.
Aber auch die laufenden Kosten bereiten ihr Sorgen: Die Glocken werden von der Passauer Fachfirma Perner gewartet, für rund 3000 Euro jährlich. Pfarrerin Loos hat sich nun, nach Anfragen aus der Pfarrgemeinde, etwas Besonderes ausgedacht, als Aufhänger für die Finanzierung:
An die große Glocke hängen
„Hängen Sie es einfach an die große Glocke“ – unter diesem Motto ist künftig „Event-Läuten“ möglich, gegen eine Spende von 50, 70 oder 100 Euro, jeweils um 14 und um 17 Uhr. „Läuten Sie, für wen Sie wollen und geben Sie, soviel Sie wollen“: gleich ob bei einem Geburtstag, zum Hochzeitstag, bei einem Heiratsantrag, Namenstag oder auch Todestag. Dazu gibt es vom Pfarramt in der Florian- Geyer-Straße 5 eine Karte, wo sich der Wunschtermin und das besondere Anliegen eintragen lassen. „Hauptsache, die Menschen spüren, dass ihre Zeit in Gottes Hand liegt“ – diese Botschaft ist der Pfarrerin wichtig.
Aber Glocken sind auch eine weltliche Macht, früher warnten sie vor Bränden und sonstiger Gefahr, verkündeten Sperrstunden, das Ableben von Menschen ebenso wie freudige Anlässe. In Schweinfurt haben beherzte Geistliche damit schon Neonazi-Aufmärsche beschallt: „Zu Gebet und Besinnung aufgerufen“, nennt es die Pfarrerin hintersinnig.
Kleine Persönlichkeiten seien ihre Glocken, sagt Loos: Hochkompliziert sei es, ihnen ihre himmlischen Melodien zu entlocken, die eine brauche etwas länger, um in Fahrt zu kommen, die andere schwinge lange nach. Einklang sei da nicht immer leicht herzustellen, wie bei den Menschen.