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SCHWEINFURT: "Graue Zeiten" - wenn Arbeit nicht bezahlt wird

SCHWEINFURT

"Graue Zeiten" - wenn Arbeit nicht bezahlt wird

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    Standzeiten werden dem Arbeitnehmer nicht verrechnet, das Stehen im Stau auch nicht: Mit solchen Tricks versuchen einige Taxi-Eigner, den Lohn ihrer Mitarbeiter zu drücken.
    Standzeiten werden dem Arbeitnehmer nicht verrechnet, das Stehen im Stau auch nicht: Mit solchen Tricks versuchen einige Taxi-Eigner, den Lohn ihrer Mitarbeiter zu drücken. Foto: Foto: Ole Spata, dpa

    Die Hochkonjunktur ändert nichts daran: Verstöße gegen das Mindestlohngesetz sind auch in Unter- und Oberfranken an der Tagesordnung. Dies sagt Doris Stadelmeyer, mittlerweile Geschäftsführerin der Bamberger Geschäftsstelle der Gewerkschaft Verdi und zuvor Verdi-Geschäftsführerin in Würzburg. „Es gibt in unserem Zuständigkeitsgebiet jede Menge Versuche, dieses Gesetz zu unterlaufen“, sagt sie. Stadelmeyer zufolge sind Verstöße gegen das Mindestlohngesetz auf den ersten Blick allerdings schwer erkennbar _ denn auf den Lohnzetteln von Mitarbeitern betroffener Branchen sind durchaus korrekte Mindest-Stundenlöhne von 8,84 Euro ausgewiesen. Wie Chefs dann trotzdem den Mindestlohn umgehen? Durch die so genannten „grauen Zeiten“.

    Abrechnung bitte in der Freizeit !

    Unter „graue Zeiten“ versteht Verdi Stunden, in denen Arbeitnehmer durchaus arbeiten, die aber vom Arbeitgeber nicht als Arbeit gewertet werden und also nicht bezahlt werden. So habe etwa der Chef eines hiesigen Pizza-Lieferdienstes von seinen Mitarbeitern verlangt, dass sie die Abrechnung unbezahlt in ihrer „Freizeit“ machten, berichtet Stadelmeyer. Fahrrad-Lieferanten hätten in ihrer Freizeit ihr Rad herrichten sollen, Autokuriere in ihrer Freizeit ihr Fahrzeug betanken sollen.

    Nach Ladenschluss unbezahlt putzen

    Dass Metzgerei-Mitarbeiterinnen vor Ladenöffnung unbezahlt die Fleischtheke bestücken, Bäckerei-Verkäuferinnen nach Ladenschluss unbezahlt den Backautomaten putzen und Drogerie-Angestellte unbezahlt Regale auffüllen, ist Stadelmeyer zufolge an der Tagesordnung. „Beliebt“ sei auch die Weisung von Chefs in der Gastro-Branche, dass Trinkgelder nicht behalten werden dürften, sondern mit dem Lohn verrechnet werden müssten. Rechnet man in solchen Fällen bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammen, ist klar: Der Lohn rutscht unters Mindestlohn-Niveau.

    Callcenter-Arbeit für sieben Euro

    Ihre Gewerkschaft verstehe sich durchaus als Anlaufstelle für betroffene Mitarbeiter, die Mindeslohnverstöße nicht länger hinnehmen wollten, sagt Stadelmeyer. „Wir rechnen dann auf den Cent genau aus, was der Mitarbeiter an Lohn hätte bekommen sollen und helfen ihm, die Ansprüche beim Arbeitgeber geltend zu machen“, erklärt die Bamberger Verdi-Geschäftsführerin. Bei den Mitarbeitern eines fränkischen Callcenters, die real für einen Lohn von 7 Euro gearbeitet hätten, habe diese Vorgehensweise Erfolg gehabt; mittlerweile erhielten die Leute 8,84 Euro pro Stunde. „Aber nicht alle Arbeitnehmer sind tough genug, das auszufechten“, sagt Stadelmeyer.

    Mindestlohn-Verstöße nehmen zu

    Dass in der Region Mindestlohnverstöße im Jahr 2017 zugenommen haben, bestätigt Tanja Manger, Sprecherin des Hauptzollamts Schweinfurt, das für Unterfranken und Oberfranken zuständig ist. Anfällig für Mindestlohn-Verstöße sind vor allem solche Branchen, in denen viele Ungelernte arbeiten _ mithin die Gastronomie, die Landwirtschaft, Transport-Unternehmen oder Kurierdienste. „Aber es gibt in jeder Branche Versuche, etwas zu finden, was man dem Arbeitnehmer nicht zahlen muss“, betont Karl-Heinz Wißmeyer, beim Hauptzollamt Schweinfurt Leiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit.

    Zimmermädchen mit unrealen Vorgaben

    Er berichtet etwa von Zimmermädchen aus der Region, die von ihrem Chef die Vorgabe bekommen, ein Hotelzimmer in zehn Minuten zu reinigen. Eine Vorgabe, die in der Realität nicht umsetzbar ist: Eine komplette Zimmerreinigung dauert länger. Was den Chef aus Wißmeyers Beispiel nicht anficht: Anstatt den Angestellten dafür, dass sie real länger arbeiten, mehr zu zahlen, sagt er ihnen, sie seien zu langsam und zahlt ihnen nur den Lohn für die vorgegebene Zeit.

    Schuften für ein Gehalt, das noch unter dem Mindestlohn liegt? In der Gastronomie nicht ausgeschlossen. Beamte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit prüfen diese Branche besonders oft.
    Schuften für ein Gehalt, das noch unter dem Mindestlohn liegt? In der Gastronomie nicht ausgeschlossen. Beamte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit prüfen diese Branche besonders oft. Foto: Foto: Patrick Seeger, dpa

    „Wenn wir von solchen Praktiken Kenntnis bekommen, schauen wir uns in solchen Hotels um und leiten gegebenenfalls ein Ermittlungsverfahren wegen Mindestlohnverstoßes ein“, berichten Mitarbeiter von Wißmeyers Team. Oft allerdings scheitere die Einleitung eines Verfahrens daran, dass Betroffene Angst um den Job oder Angst vor dem Chef hätten und nicht reden wollten. Auch gebe es manchmal Sprachprobleme. Man brauche Zeugen, man brauche Daten; ganz leicht seien Mindestlohnverstöße nicht nachweisbar.

    Studie: 2,7 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten unterm Mindestlohn

    Eine eindeutige Zahl zu Mindestlohnverstößen in Deutschland gibt es nicht. Einer aktuellen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge bekamen 2016 rund 2,7 Millionen Beschäftigte in Deutschland nicht den Mindestlohn, obwohl er ihnen zustand. Allerdings basiert die Studie auf Befragungen und ist nicht unumstritten. Nachweisen lässt sich eine solche Zahl nicht. Der Antwort der Bundesregierung auf die parlamentarischen Anfrage der grünen Abgeordneten Beate Müller-Gemmecke im Jahr 2017 lässt sich entnehmen, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit 2016 bundesweit 126 315 Ermittlungsverfahren eingeleitet hat _ davon allerdings nur 1651 wegen Nichtgewährung des gesetzlichen Mindestlohns.

    Verdi fordert mehr Zollbeamte

    Experten rechnen bei Mindestlohn-Verstößen mit einer hohen Dunkelziffer. „Wir brauchen mehr Kontrollen und wir brauchen mehr Zollbeamte“, ist deshalb Doris Stadelmeyers Forderung. Gibt es genug Zollbeamte? Karl-Heinz Wißmeyer referiert die Soll- und die Ist-Zahl. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit für Unter- und Oberfranken hat eine Sollstärke von 180 Mitarbeiter, verfügt derzeit aber nur über 140 Beamtinnen und Beamte.

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