Auf den ersten Blick passt es nicht so recht zusammen: Erich Kästner und ein Harfenkonzert. Bei etwas näherem Hinsehen aber ist es wohl genau das, was der Buchautor Kästner gewollt hat: Kultur pur in einem Kinderdorf, das seinen Namen trägt und in dem der Kästnersche Geist auch heute noch mehr als nur quicklebendig ist. Er ist umfassend, umspannend, nahezu sphärisch wie die Klänge einer Harfe, deren Töne auch dann noch nachklingen, wenn der Applaus schon wieder nachlässt und die Zuhörer im Salon des Kästnerhofes gespannt sind auf das nächste Musikstück.
„Julia Rosenberger (Harfe) und Gäste – Harp meets piano and musical saw“ ist der zweite Abend der Kästnerwoche betitelt, und es ist viel mehr als nur ein Treffen einer Harfe mit einem Piano, einem Sänger und einer Gitarre. Alles das verschmilzt zu einer musikalischen Einheit, mit der Harfe von Julia Rosenberger als Ausgangspunkt, Basis und Ziel gleichzeitig. Die Diplom-Harfinistin aus Marktsteft wirft sich mit dem Pianisten, ihrem Vater Werner Rosenberger, die Töne, Themen, Melodien nur so gegenseitig zu, die Instrumente umgarnen sich, tanzen miteinander, nehmen sich gegenseitig auf ihrem Weg mit, treiben einander zu Höchstleistungen selbst bei einfachen Liedern.
Auch die jungen Schülerinnen von Julia Rosenberger sind bereits gefangen von der Harfe. Fünf von ihnen wagen sich auf die Bühne und spielen vor gut 60 Zuhörern jeweils ein kurzes Stück, das sie gemeinsam mit ihrer Lehrerin einstudiert haben. Der wohlwollende Applaus tat den jungen Frauen gut, und wäre Erich Kästner selbst anwesend gewesen - und nicht nur sein Geist, der das Spiel gerade der Kinder ohnehin mit einem leichten Schmunzeln in sich aufgesogen hätte -, hätte er sie mit Sicherheit genauso gelobt wie es auch das Publikum gemacht hat.
Der heimliche Star des Abends aber ist ein Instrument, das in seinem Wesen ein Werkzeug ist, nämlich eine Säge. Genauer gesagt eine singende Säge. Ralp Stövesandt bildet gemeinsam mit Julia Rosenberger das „Duo Sandrose“, Harfe und Singende Säge. Wer glaubt, dass eine Säge nur schrille Töne von sich geben und die Zuhörer massenhaft vergraulen wird, sieht sich höchst angenehm überrascht. Stövesandt streichelt mit seinem Bogen die Säge und biegt sie dabei minimal in verschiedene Richtungen. Die Töne lassen gerade die Fans der englischen Kult-Krimiserie „Inspector Barnaby“ aufhorchen, denn die Titelmelodie ist vom Klang her nahezu identisch mit den Tönen der singenden Säge. Aber Detective Chief Inspector Barnaby und sein naiv-forscher Sergeant Gavin Troy sind nicht auf Mördersuche. Vielmehr singt die Säge Lieder von Sehnsucht, tanzt auf dem Klangteppich der Harfe einen ausgelassenen Tanz und lässt die Herzen der Zuhörer mitschwingen. Viel zu schnell vergeht der Abend, viel zu lange dauert die Pause zwischen den beiden Konzertteilen. Schnell löffeln die Zuhörer die Suppe und knabbern das Kleingebäck, damit die Harfe wieder Platz nehmen und sich mit dem Piano, der Gitarre, dem Gesang und vor allem der singenden Säge ein Stelldichein veranstalten darf. Und Erich Kästner – ja der genießt, obwohl er schon 1974 gestorben ist, wohl immer noch den süßen Geschmack der tanzenden, hüpfenden, sinnierenden, sphärischen Harfe und freut sich auf die nächsten kulturellen Höhepunkte im Kästnerhof.