Erschöpfung, Vereinsamung oder tiefe Trauer über den Verlust von Familienmitgliedern und Freundinnen und Freunden. Für Julia Jäger gehören solche Schilderungen aus dem Leben ihrer Klientinnen und Klienten mit Depressionen zum Alltag. Viele von ihnen, die den Weg zu der Sozialpädagogin in den Sozialpsychiatrischen Dienst in Schweinfurt finden, haben sich durch schwierige Lebenslagen gekämpft oder sind immer noch dabei.
Eine Stütze im Umgang mit der Krankheit können Selbsthilfegruppen sein, wie sie der Caritasverband Schweinfurt anbietet. "Hier in der Selbsthilfegruppe können sich Menschen einbringen, ohne Angst haben zu müssen", sagt Jäger. Sollte sich der Verdacht auf eine vorliegende Depression erhärten, würden solche Angebote zur begleitenden Unterstützung im Alltag der Betroffenen werden. So wie es für die 27-jährige Tatjana F. und die 54-jährige Liana K. (Namen von der Redaktion geändert) der Fall ist.
Betroffene von Depressionen haben oft Schicksalsschläge erlitten
F. stammt aus dem Landkreis Schweinfurt. Als sie 2018 mit ihrer Oma eine wichtige Bezugsperson in ihrem Leben verliert, fing alles an. "Ich habe ihren Tod nie richtig verarbeitet." Als F. der Verlust zwei Jahre später schließlich einholte, riss er die 27-Jährige in einen Strudel aus Kummer und tiefer Trauer. "Ich habe ständig geweint und konnte auch nicht mehr aufhören. Völlig ohne Grund", erinnert sie sich.

Weil sie trotz langer Suche zunächst keinen Platz bei der ambulanten Psychotherapie findet, wandte sie sich schließlich an den Sozialpsychiatrischen Dienst, wo sie von der Sozialpädagogin Julia Jäger aufgenommen wird. "Der Leidensdruck muss oft erst so groß sein, dass die Leute sich dann wirklich trauen, Hilfe zu suchen", sagt Jäger. Menschen, die einen Verdacht auf eine Depression hegen, werden von der Caritas hier zunächst individuell beraten und werden dann – wenn möglich – in eine Selbsthilfegruppe integriert.

So auch Liana K., eine weitere Besucherin der Gruppe. "Man kann nicht mit jedem über Depressionen reden. Deshalb war mir die Gruppe so wichtig", sagt sie. Überlastung in der Arbeit, die intensive Pflege der eigenen Mutter und eine plötzliche Erkrankung des damaligen Ehepartners: Bei der 54-Jährigen waren es viele Schicksalsschläge hintereinander, die sie in die Depression stürzten. "Ich konnte mit niemandem darüber reden und sah nur noch die schlechten Augenblicke."
Offener Austausch bildet Fundament für die Betroffenen
"Das Fundament der Selbsthilfegruppe ist die Gesprächsebene und der offene Austausch", sagt Julia Jäger. Die Sitzungen beginnen meist mit einer sogenannten Befindlichkeitsrunde. Darin könne jeder, der wolle, über das reden, was ihn oder sie gerade beschäftige. Mit Menschen, die einen nicht im privaten Alltag kennen, sondern von außen kommen, aber die Krankheit nachvollziehen können, so Jäger.
Die Sozialpädagogin hat die Selbsthilfegruppe vor zwei Jahren ins Leben gerufen. Sie besteht aus 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern jeder Altersklasse. "Viele denken, dass in so einer Gruppe alles todernst sei. Aber die Menschen lachen dort auch viel miteinander über Geschichten aus ihrem Alltag", sagt Jäger.

Dabei stehe stets das Erleben in der Gruppe im Vordergrund. "Letztendlich arbeiten wir mit dieser Beziehungsebene, mit der sich die Betroffenen zueinander verbunden fühlen", sagt Julia Jäger. Eine Selbsthilfegruppe diene in erster Linie als begleitende, niederschwellige Maßnahme, bei der die depressive Erkrankung der Patientinnen und Patienten im Vordergrund stehe. Beziehungen und Alltagskontakte seien ein wichtiger Bestandteil neben der medizinischen Seite einer Psychotherapie, sagt Jäger. "Wir sind kein Ersatz für die ambulante Psychotherapie", sagt sie. Vielmehr sollen Selbsthilfegruppen eine zusätzliche Stütze im Alltag sein.
Soziale Austauschräume brechen weg
Und die Nachfrage nach derartigen Angeboten wächst, sagt Doris Weißenseel, Abteilungsleitung der Sozialpsychiatrie Caritas. Allein in der Gruppe von Frau Jäger stehen derzeit zehn Personen auf der Warteliste. In der heutigen Zeit würden soziale Austauschräume wie die vertraute Nachbarschaft oder das Vereinsleben immer stärker wegbrechen. "Menschen schlitterten dadurch häufiger in Krisensituationen, aus denen sie sich selten selbst befreien können", so die Leiterin der Sozialpsychiatrie des Caritasverbands.

Zum Beispiel beim Thema Tod. "Früher gab es mehr Rituale, um sich mit dem Tod auseinanderzusetzen", sagt Weißenseel. Heute sei die natürliche Bewältigung von Schicksalsschlägen nicht mehr so gegeben, wie es früher der Fall war. Ein Phänomen, für das die Gesellschaft erst noch einen Umgang finden müsse, meint Weißenseel.
Tatjana F. und Liana K. jedenfalls haben mit der Selbsthilfegruppe ergänzend zur ambulanten Psychotherapie einen neuen Raum zum Austausch gefunden. "Hier sind wir nicht alleine", so die beiden Frauen.
Mentale GesundheitImmer mehr Menschen leiden unter psychischen Erkrankungen. Und weil immer mehr auch darüber sprechen, rückt das Thema weiter in die Öffentlichkeit. Diese Redaktion möchte einen Beitrag dazu leisten, das Bewusstsein zu stärken, zu enttabuisieren und mit Vorurteilen aufzuräumen. Hierfür sind wir auch auf der Suche nach Menschen aus der Region Main-Rhön, die ihre Geschichte mit uns und unseren Leserinnen und Lesern teilen möchten.Egal, ob Sie sich bereits auf einem Weg aus der Erkrankung befinden, noch mitten in der Herausforderung stecken oder als angehörige Person über ihre Erfahrungen sprechen möchten – jede Perspektive ist wichtig und kann anderen Menschen Mut machen und helfen, die eigene Erkrankung oder die von Angehörigen besser zu verstehen. Wenn Sie Ihre Geschichte öffentlich machen wollen, melden Sie sich gerne per E-Mail an redaktion.schweinfurt@mainpost.deQuelle: SWT