Wenn es mitten in der Nacht um 3 Uhr in Gerolzhofen am Butterwerk klopfte und jemand draußen stand, um eingelassen zu werden, dann wussten die Mitarbeiter in der Produktion, dem Chef war wieder eine Rezeptur eingefallen, die er unbedingt ausprobieren musste. Da lagen schon gut 400 Fahrtkilometer hinter ihm, schließlich kam er mit dem Auto aus der Schweiz angefahren.
Der Chef, das war Firmengründer Alfred „Fredy“ Hiestand. Er darf sich mit Fug und Recht als einer der größten Backwaren-Tüftler auf dem Erdenrund bezeichnen. Seine größte Pionierleistung war zweifelsohne die Erfindung des vorgegarten Aufback-Butterhörnchens. Sie revolutionierte die Branche und machte ihm zum „Gipfeli-König“.
Beste Rohstoffe als Erfolgsrezept
Bei den Rohstoffen ging er keine finanziellen Kompromisse ein, achtete schon damals auf die natur- und tierartgerechte Erzeugung der Produkte für die Hörnchen aus reiner Markenbutter, mit denen alles begann. Aber auch bei den Zutaten für all die anderen von ihm vom Croissant, über Brot und Brötchen bis zum Plunder auf den Markt gebrachten Premium-Tiefkühlbackwaren überließ er nichts dem Zufall und auch nicht Zulieferern.
Die Nüsse wurden lange in Gerolzhofen in einer umgebauten, mit Gas betriebenen Röstmaschine geröstet und der Wildlachs aus Alaska für die einst hier in den Geschmacksrichtungen Bolognese, Gemüse und Wildlachs hergestellte Tiefkühl-Lasagne sogar selbst geräuchert.
Die Anfänge im alten Butterwerk
Mit diesem Erfolgsrezept ist der Schweizer Butterbäcker groß geworden und mit ihm Hiestand in Gerolzhofen. Hier an der Kolpingstraße hatte er vor 30 Jahren im zunächst angemieteten Untergeschoss des Nordtrakts im 1984 geschlossenen Butterwerk mit den ersten, wenigen Mitarbeitern in Verwaltung und Produktion begonnen, in Deutschland Fuß zu fassen. Aus gutem Grund: Mehl und Butter kosteten hier damals nur ein Drittel dessen, was dafür in der Schweiz fällig war. Auch die Herstellungskosten waren nur halb so hoch wie im Land der Eidgenossen.
Als Standort hatte sich Hiestand Bayern ausgeguckt. Den Ausschlag für Gerolzhofen gab am Ende die zentrale geografische Lage der Stadt im Herzen von Deutschland und Europa in einer verhältnismäßig günstigen Region.
Als das Geld auszugehen drohte
Doch es war ein steiniger Weg. Zwischenzeitlich stand das Schicksal der Firma finanziell auf des Messers Schneide. Hiestand drohte zu scheitern. Die Löhne konnten im Werk Gerolzhofen nur mit Mühe bezahlt werden. Hiestands Frau sah sich sogar gezwungen, ihr gut gefülltes Jugendsparheft aufzulösen. In dem 2017 im Stämpfli-Verlag erschienenen Buch „Gipfelikönig Fredy Hiestand“ von Autor Philipp Gut wird der Unternehmer mit den folgenden Worten zitiert: „Wir haben den letzten Franken in Deutschland investiert, damit die Bäckerei eine Zukunft hatte.“
Das von Durchhaltewillen und Risikobereitschaft geprägte Ausharren in Deutschland lohnte sich. Schreibt Hiestand in Gerolzhofen 1988 noch einen Verlust von über einer halben Million Mark, so steigt der Jahresgewinn bis zum Börsengang 1997 bis auf unglaubliche 50 Millionen Mark.
Als Geschäftsführer in Gerolzhofen zieht Hiestand den 29-jährigen Benno Traber an Land. Er hat mit großen Anteil am Aufbau des deutschen Zweigs. Eine schwere Erkrankung zwingt ihn 2001 als Geschäftsführer auszuscheiden. Alfred Hiestand selbst zieht sich 2003 mit 60 Jahren aus dem Unternehmen zurück, das er einst selbst gegründet und mit seinen innovativen Ideen zu großem Erfolg geführt hatte.
Heute ist Hiestand weltweiter Marktführer
2008 mit unter das Dach des aus der Fusion zwischen der Hiestand Holding und der irischen IAWS Group hervorgegangenen Aryzta-Konzerns geschlüpft, ist die Hiestand Deutschland GmbH heute auf ihrem Gebiet weltweiter Marktführer. Und mit aktuell rund 370 Beschäftigten ist Hiestand der größte Arbeitgeber und eines der wichtigsten Unternehmen in der Stadt und Region am Steigerwald.
Schon 1975 entwickelte der damals 32-jährige Alfred Hiestand den ersten tiefgekühlten Buttergipfel-Teigling. Den Durchbruch mit seiner Gipfeli-Idee schafft er 1988 durch das erwähnte Vorgaren des Teiglings vor dem Einfrieren. Der „Turbogipfel“ macht es möglich, die Gipfelteiglinge direkt aus dem Tiefkühler jederzeit im Backofen, der Mikrowelle oder dem selbst entwickelten „Hiestand Front-Grill“ schnell aufbacken zu können.
Die Weltneuheit öffnet Hiestand schließlich die Türen zur Landeszentrale der Bäko, Deutschlands führendem, genossenschaftlich organisierten Fachgroßhandel für Bäcker und Konditoren.
Bis nach Malaysia geht die Expansion
So legt der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Bäcker den Grundstein, um sich neue Kundenkanäle zu erschließen und durch den Aufbau eines einzigartigen Liefernetzes von der Schweiz aus über Deutschland seinen internationalen Siegeszug anzutreten. In den Folgejahren kommen Werke in Österreich, Japan, Hongkong, Singapur und sogar Malaysia hinzu. 1997 geht Hiestand an die Börse.
Etwas absolut Neues machen, innovative Ideen zum Erfolg bringen, anders und besser als die anderen zu sein, das hat Alfred Hiestand angetrieben, in der Branche etwas zu bewegen und ein großes Unternehmen aufzubauen. Gerolzhofen als Sprungbrett in Deutschland spielte dabei eine entscheidende Rolle und nimmt bis heute eine besondere Stellung im weltweiten Aryzta-Firmengeflecht ein.
Das Werk an der Albert-Einstein-Straße
Seit 1991 wird in der Albert-Einstein-Straße produziert, wohin mittlerweile die Produktion komplett verlagert worden ist. Bereits mehrmals ist die Produktionsstätte mittlerweile erweitert worden.
Heute stellt Hiestand in Gerolzhofen 325 verschiedene Produkte auf einer Produktionsfläche von insgesamt 10 000 Quadratmeter mit inzwischen sechs Produktionslinien her. Das Gros der Produkte entfällt auf ungefüllte und gefüllte Gipfel, sprich Butterhörnchen, sowie Croissants, auf gefüllte Plunder und auf amerikanische Cookies.
Pro Tag verlassen zwischen zwei und drei Millionen tiefgekühlte Backwaren das Werk, davon die Hälfte in Form von Cookies. Dazu werden bis zu 25 Tonnen beste Butter und Margarine sowie bis zu 60 Tonnen Mehl am Tag verarbeitet, um nur zwei besonders markante Beispiele zu nennen.
Die „Bake off Academy“
Da auch das optimale Aufbacken gelernt sein will, damit die Produkte ofenfrisch und in bester Qualität beim Endverbraucher ankommen, hat Hiestand auf dem Firmengelände in Gerolzhofen im Jahr 2000 das Seminar- und Schulungszentrum „Bake off Academy“ eröffnet.
Zu den Hiestand-Kunden in der ganzen Welt zählen Bäckereien, Tankstellen, die Gastronomie, der Groß- und der Lebensmitteleinzelhandel sowie Catering-Unternehmen. Mit dem Großauftrag zur Herstellung amerikanischen Cookies für die Sandwich-Kette Subway und andere namhafte Hersteller war der Firma der vorläufig letzte große Wurf gelungen. Seitdem gilt Gerolzhofen als die Cookie-Hauptstadt Europas.
Viele treue Werksangehörige
So hat die Hiestand-Familie in Gerolzhofen um Werkleiter Gerhard Seufert auf der 30-Jahrfeier am Samstag, 30. Juni, in Grafenrheinfeld allen Grund stolz zu sein. Eine ganze Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehören der Firma seit vielen Jahren an. Allein 30 davon halten ihr seit über 25 Jahren die Treue.