Hol's der Teufel: „Die Scheiterhaufen brennen heute nicht“, brummt Stadtknecht Lorenz unterm Eisenhut, hüllt sich am Spitaltor in seinen blauen Umhang mit weißem Reichsadler, packt den Spieß fester. Es regnet und ist finster, im 16. Jahrhundert.
Morgen wird der „Seelenvater Förster“ hingerichtet, verkündet Lorenz den über 30 Besuchern, die sich in der „Freien und Reichsstadt“ eingefunden haben. Der Stadtknecht, dem die öffentliche Sicherheit und Ordnung obliegt, führt seine Gäste bei flackerndem Fackellicht durch die Altstadt. Dass sich keiner einfallen lässt, was mitgehen zu lassen, mahnt der Stadtwächter, die Handeisen hängen am Gürtel schon bereit.
Im Turmkeller des „Jungfernkuss“ wetzt Meister Claus seine Klinge, Schweinfurts Scharfrichter, der von 1590 bis 1617 die Urteile vollstreckt hat. Dem zehnfachen Kindsmörder Förster, „dem wird der morgige Tag in Erinnerung bleiben“, hämt der Henker unter schwarzer Maske: In einer Kuhhaut wird man den Bösewicht schändlich zur Hinrichtung schleifen, ihn mit glühenden Zangen zwicken, am Galgenberg hängen, danach alle Knochen brechen und den geschundenen Leib auf ein großes Rad flechten. Claus Reutter ist ein Experte auf seinem Gebiet, egal ob in Sachen Schandgeige, peinliche Befragung, Hand abhacken (für Diebe, mit der Axt) oder Zunge abschneiden, bei Meineidigen. In Altschweinfurt war offenbar ständig Halloween: Nebenan, auf dem alten Friedhof, sollen „Auferstandene“ umgegangen sein, Zombies also. Wie Susanna Alberti, die Frau des Stadtschreibers: Infolge der Pest fiel sie in Starrkrampf, als ihr ein gieriger Totengräber den Ring vom Finger ziehen wollte, erhob sie sich im Sarg, sagt man. Der Leichenfledderer türmte konsterniert, es bedurfte hernach etwas Überzeugungsarbeit (und die Hilfe ihrer Pferde), ins eigene Haus eingelassen zu werden. Wenig später starb Alberti erneut, nun geistert sie verwirrt am Schrotturm und „Rüfferhaus“ herum. Die Reichsstadt: Malefizpersonen kamen ins „Schwarze Loch“ im Rathausbogen (mit optimistischem lateinischem Sinnspruch: „Die Guten hassen die Sünde aus Liebe zur Tugend, die Bösen meiden sie aus Furcht vor Strafe“). Darunter lag der Folterkeller, fast einzige Möglichkeit zur vorkriminalistischen „Wahrheitsfindung“.
Ein paar Schritte weiter, am Wegweiser, hieß es für schandbare Leute „Bänklein stehen“, wie man hier den Pranger nannte. Der Stadtknecht ist milde gestimmt und lässt die armen Kindlein ohne Stockschläge laufen, die auf dem Marktplatz klauen und betteln. Zwischendurch kräftigt Lorenz sich mit dem schwarzen, süßen Saft aus der Neuen Welt, im Pappbecher: Es ist die dritte, ausverkaufte Sonder-Führung heute, schon am Nachmittag gab es eine für die Kinder. Glühweinbonbons verschenkt Anna Jäger, am Steinkreis im Motherwell-Park. Lorenz hält sie für eine Hexe, von wegen Totenschädel und grünes Feuer auf dem Tisch: Die Witwe Jäger stand 1697 vor Gericht. Aufgrund alternativer Heilmethoden – mal steckte sie eine Kranke in einen Mehlsack, mal musste die Patientin auf 77 Erbsen pinkeln, die in den Rauchfang gehängt wurden. Wobei die Schweinfurter Protestanten nur ein paar „Zauberinnen“ verbrannten, und zuvor gnädig erdrosselten: Anders als in den Bischofsstädten Bamberg oder Würzburg, die Hunderte Opfer auf dem Scheiterhaufen hinrichteten.
Zeugwart Stefan Sauerbrey sollte auf einem solchen, an der Haardt, mit einem Pulversäckchen detonieren: Im Kriegsjahr 1628 stahl der Hexer Waffen im Zeughaus, dessen Pulverkammer er in die Luft sprengen wollte, um die Spuren zu verwischen. Nun spukt der Brandstifter halbnackend am Jägerturm herum, spuckt und schluckt Feuer.
Zum Schluss präsentiert der Stadtknecht noch den gefolterten Mordbrenner und „Feind der Stadt“ Claus Wüst, in Ketten tief unten im Weißen Turm (früher eines der Gefängnisse). Gästeführer Stefan Köhler (als Lorenz) und Christian Köhler haben das liebevolle Spektakel in kürzester Zeit organisiert – eine Premiere. Zusammen mit den ehrenamtlichen Akteuren Uli, Luis und Lase Vollert, Matthias Karl, Gabi Geritzmann, Melanie Fröhlich und Jürgen Henkel trotzt der Stadtknecht dem Wetter. Die Gewandung ist selbst geschneidert, viel Erfahrung stammt von der Würzburger Mittelalter-Truppe „Magistri“. Auf dem Rückweg sieht man Schweinfurt jedenfalls mit anderen Augen: Etwa die Mäuse, die plötzlich am Rossmarkt herumhuschen, fast so wie in der „guten alten Zeit.“