Französische Kinder dürfen ein bisschen neidisch sein auf deutsche. Warum? Das wissen seit dieser Woche die Sonnenblumenkinder des Kindergartens und die Drittklässler der Grundschule ganz genau: Clemence Lambert, ihr netter Gast aus Würzburgs französischer Partnerstadt Caen, hat es erklärt: „In Frankreich ist es nicht das Christkind, es ist der Weihnachtsmann Pere Noël, der die Geschenke bringt. Und wir haben keinen Nikolaus.“ Also gibt es im Dezember auch nur einmal Süßigkeiten und Geschenke. Und zwar am Morgen des 25. Dezember.
Warum ihre Landsleute an Heiligabend immer zu viel essen und hinterher ihre Hausschuhe unter den Weihnachtsbaum stellen, auch dafür hatte die 25-Jährige natürlich Erklärungen parat. Und die Mädchen und Buben scheuten beileibe keine Frage in jener Kennenlernstunde „La France avec Clemence“ („Frankreich mit Clemence“), in der die studierte Germanistin und ihr Kollege Aurélien Becquet (23) ihnen ihr Heimatland schmackhaft machten.
Das Beschnuppern klappte auch bilderbuchmäßig. Mit „Salut“ und „Bonjour“ tauschte man Begrüßungsformeln aus. „Je m'appelle . . .“ („Ich heiße . . .“) in der Vorstellungsrunde richtig mit dem eigenen Namen zusammenzusetzen, war für manche der Kindergartenkinder schon ein wenig komplizierter. Doch Fabian, Viola, Anna und Amelie bewiesen schnell ihr Sprachverständnis. Schließlich hatten sie mit dem Lied „Frere Jacques“ („Bruder Jakob“) selbst auch schon etwas Französisch drauf.
In ein paar Jahren könnten sie genau zu jener Schülergeneration gehören, die von den Waigolshäuser Plänen profitiert, eine Partnerschaft mit Carpiquet, einem 2250-Einwohner-Ort im Landkreis Caen, einzugehen. Nach dem kürzlichen Besuch einer Delegation aus Carpiquet ist im neuen Jahr ein Gegenbesuch, eine Busreise ins Calvados, geplant: Man lerne sich gerade erst kennen, erklärte Bürgermeister Peter Pfister, der Lambert und Becquet im Kindergarten und in der Schule begleitete. Die angestrebte Partnerschaft war schließlich auch der Hintergrund für deren Besuch: Die sprachliche Frühförderung durch „La France avec Clemence“ gehört zu den Modellangeboten des Partnerschaftsreferats des Bezirks Unterfranken. Clemence Lambert hatte dort bereits 2008/09 im Rahmen des Europäischen Freiwilligendiensts ein Jahr gearbeitet (wie aktuell Aurélien Becquet) und dabei Unterfranken kennen und lieben gelernt.
Damit dies den Waigolshäusern im umgekehrten Fall ähnlich ergehen möge, hielten sie dort am Montag auf sympathisch überzeugende Weise „Le Tricolore“, die französische Nationalflagge, hoch beziehungsweise verschenkten diese an alle Kinder. Ebenso Süßigkeiten, deren Verpackung auf der Innenseite jeweils einen Witz preisgibt: ein klassisches französisches Mitbringsel zu Weihnachten. „Merci“ dankten ihr die Kindergartenkinder und durften darüber staunen, dass es die gleichnamige Schokoladensorte in Frankreich überhaupt nicht gibt.
„Schokola“ und nicht „Tschoklät“, wie ein Drittklässler die Schreibweise „Chocolat“ mutig auszusprechen wagte, essen Franzosen in der Weihnachtszeit übrigens in Form eines aufwändigen Baumkuchens. Dazu die zaghafte Frage: „Und was esst Ihr so? Ganz viel Baguette?“ Oh ja, täglich, gab Clemence gerne zu. Aber auch viel Käse, jeden Tag Baguette und ansonsten das Übliche: Fisch, Fleisch, Gemüse, Salat und Obst. Aber alles schön nacheinander.
Das beruhigte die Schüler: So riesig sind die Unterschiede zwischen Franzosen und Deutschen ja gar nicht. Auch die Sprache hat viel Ähnlichkeit, stellten Madlen, Marvin und Valeska beim Bild-Wort-Domino fest: Crocodile, Citron, Salade, Cactus, Carrot, Guitare, Telephone waren spielend leicht zuzuordnen. Orange, Banane, Giraffe, Radio, Pullover und Lampe sowieso. Nur die Aussprache klang eben ungewöhnlich für kleine Waigolshäuser Ohren. Da gebe es Endungen, die man nicht hört, und Laute, die „in der Nase klingen“, führte Clemence vor. Und gerade das war lustig auszuprobieren, wie man am spontanen Nachplappern der Schüler ablesen konnte.
Der spielerische Sprachfortschritt gipfelte schließlich in einer Vorleserunde, in der vor allem die Kindergartenkinder kaum an sich halten konnten. „Der Weihnachtsmann hat sich erkältet“, platzte es aus der fünfjährigen Anna heraus, als Clemence auf Französisch und sehr lebendig das Ausgangsproblem in „Le traîneau de Petit Hérisson“ („Der Schlitten des Kleinen Igels“) schilderte. Und damit nicht genug: Als der Kleine Igel Weihnachten zu retten versucht, passiert ihm ein Missgeschick: „Catastrophe!“, beunruhigte sich die 25-jährige Vorleserin. Und die gebannt auf die Bilder des Buches starrenden Kinder fieberten lautstark mit, imitierten und interpretierten Clemences Gesten und trafen mit ihrer Übersetzung oft haargenau den Wortlaut: „Der Dachs hat die G'schenke wieder eing'sammelt!“ So simpel wie effektiv: Auf der Basis von Bildern plus Zeichensprache gedeiht schon bei den Jüngsten ein ganz natürliches Sprachverständnis.
Und wie es für den Kleinen Igel noch ein Happy-End gab, so dürfen am Ende auch Clemence Lambert und Aurélien Becquet ihre „Lust auf Frankreich“-Mission als Erfolg verbuchen. Zum herzlichen Abschied hörte man aus den Kehlen der jungen Waigolshäuser, die sie ein ganzes Stück auf französische Wellenlänge gebracht hatten, ein sicherlich ernst gemeintes „Au revoir!“: „Auf Wiedersehen!“