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Ingrid Hartlieb in der Kunsthalle: Das Eckige und das Runde

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Ingrid Hartlieb in der Kunsthalle: Das Eckige und das Runde

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    Schweinfurt

    Wahrscheinlich kann Ingrid Hartlieb die Frage, warum eine so zierliche Frau wie sie mit der Kettensäge riesige Skulpturen forme, nicht mehr hören. Aber das lässt sie sich nicht anmerken vor und während der Eröffnung ihrer großartigen Ausstellung unter dem Titel „Totale“ in der Großen Halle der Kunsthalle. Auch den Scherz von Oberbürgermeister Sebastian Remelé, er habe bislang geglaubt, Kettensäge und Grillzange seien rein männliche Werkzeuge, quittiert sie mit einem Lächeln.

    Zwei Stunden vorher hat sie ebenso gelassen auf die Fragen der Medien geantwortet, hat erzählt, wie sie – beim Lesen oder Musikhören – auf Reizwörter stößt, die etwas in ihr auslösen, auf dass sie sich damit beschäftigen will. Wörter wie Blickfänger, Abstand, Räderwerk oder ihre eigene Wortschöpfung „Fluchtwerkzeuge“, die später oft zu Titeln der Werke werden.

    Am Anfang steht immer die Zeichnung. Ganz intuitiv bringt Ingrid Hartlieb auf Papier, was ihr zu dem Begriff einfällt. Viele kleine Skizzen entstehen, langsam schält sich eine Form heraus, die Hartlieb zeichnerisch so lange entwickelt, bis sie sich sicher ist, sie auch als Skulptur realisieren zu können. Nicht nur die Form, auch die spätere Größe stehen zu diesem Zeitpunkt fest.

    Anders als etwa Rudolf Wachter, der auch mit einer großen Ausstellung in Schweinfurt vertreten war und den Ingrid Hartlieb sehr schätzt, sägt sie ihre Skulpturen nicht aus einem Holzstamm heraus. Sie verleimt Balken, Bohlen und Bretter aus unterschiedlichsten heimischen Hölzern zu Blöcken, die sie dann mit der Kettensäge modelliert. Zwei zentrale Arbeiten – die riesige blockhafte „Nische“ und das überdimensionale „Pendel“ – verkörpern ihre Bauprinzipien eckig und rund.

    Bei aller Ernsthaftigkeit, die auch aus Hartliebs Zitat spricht, ihre Arbeit handle von der Unmöglichkeit, die Ganzheit der Welt darzustellen beziehungsweise nur den Bruchteil der darin angelegten eigenen Existenz zu erfassen, fehlt doch auch der leichte, spielerische Aspekt nicht in ihrem Werk, der sich vor allem in den Titeln ausdrückt. Dieses Pendel schwingt nicht, lässt sich nur mit viel Mühe bewegen, wie das Technikteam der Kunsthalle beim Aufbau der Ausstellung sehr deutlich erfahren hat. Die Fluchtwerkzeuge taugen wohl nicht zur Flucht, wären eher hinderlich.

    Der „Stammbaum“, Titel der höchsten Arbeit in der Halle, ist sowieso ein schönes Wortspiel. Er hat nämlich nicht nur die Form eines Baumstammes, sondern sozusagen auch „gewachsene Jahresringe“.

    Die Besonderheit: Diese Ringe sind nicht miteinander verbunden, sondern lose aufeinandergeschichtet. Es ist eine Ansammlung von Holzringen aus den vergangenen zwölf Jahren, entstanden unter anderem bei einem Workshop, den Ingrid Hartlieb 1998 in Südafrika gegeben hat. Je nach Ausstellungsraum kann sie die Einzelteile variabel installieren, kann sozusagen damit spielen.

    Auch die „Neue Gruppe“ – eine Ansammlung kleiner Arbeiten, die in den letzten zwei Jahren entstanden sind – hat keine fest gefügte Ordnung, sie darf und soll auf den jeweiligen Raumkontext reagieren. Auffallend ist, dass diese Zahnräder, Rettungsringe und Werkzeuge eine andere Oberfläche haben als die älteren, großen Arbeiten. „Es erscheint nicht mehr nötig, sie so glatt zu schleifen und mit Wachs zu polieren wie früher“, sagt Ingrid Hartlieb dazu. Das Holz darf rau bleiben, die Arbeitsspuren sind noch sichtbar unter dem expressiven Farbauftrag. Es ist die erste Skulpturenausstellung in der Großen Halle und sie beweist deren Anpassungsfähigkeit, die sich schon in den drei vorangegangenen Ausstellungen angedeutet hat. Trotz ihrer zum Teil enormen Größe hat jede Arbeit genügend Raum für sich.

    Das gilt auch für die wunderbaren großformatigen Zeichnungen an der Wand, die weit mehr sind als nur Vorarbeit für eine Skulptur, sondern eigenständige Denkmodelle. Die „Holzkonstruktion“ von 1994 war sogar so weit ausformuliert, dass Ingrid Hartlieb auf die Realisation in Holz verzichtet hat.

    Für den Kunsthistoriker Tilmann Osterwold, der eine einfühlsame und kenntnisreiche Einführung hielt, sind die Skulpturen Bruchstücke der Wirklichkeit, entfremdete Objekte, die einerseits zum körperlichen Kontakt animieren, dabei aber unnahbar, ja ungreifbar bleiben, was ihr Inneres betrifft. Er zitierte Ingrid Hartlieb mit einem Satz, der zum Verständnis ihrer Arbeit beiträgt: „Die Werke verweisen auf den Menschen, zeigen ihn aber nicht.“

    Ingrid Hartlieb – Skulptur und Zeichnung

    „Totale“, Skulptur und Zeichnung, Kunsthalle, bis 18. September.

    Rahmenprogramm: Künstlergespräch zur „Halbzeit“ am 22. Juli, 19 Uhr. Vortrag „Diskurse – von der Skulptur zum Objekt. Bildhauerei in Deutschland seit 1945“ mit Marc Wellmann, Georg-Kolbe-Museum, Berlin, am 9. September, 19 Uhr.

    Ingrid Hartlieb, geboren 1944 in Reichenberg/CR, ist eine der herausragenden, Bildhauerpersönlichkeiten in Süddeutschland. 1972–77 Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Seit 1982 Preise, Stipendien und Ausstellungen, vor allem im süddeutschen Raum, in den USA, Südafrika und Ungarn.

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