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Integration in Schweinfurt: Längst angekommen

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Integration in Schweinfurt: Längst angekommen

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    Aufbruch ins Ungewisse: Die Familie Yilmaz verlässt in „Almanya – Willkommen in Deutschland“ ihr Heimatdorf in Richtung Deutschland.
    Aufbruch ins Ungewisse: Die Familie Yilmaz verlässt in „Almanya – Willkommen in Deutschland“ ihr Heimatdorf in Richtung Deutschland. Foto: Foto: Cinetext

    Almanya – Willkommen in Deutschland“ ist ein anrührender, aber auch ein sehr lustiger Film. Ideales Medium also, damit Türken und Deutsche übereinander, über sich selbst, vor allem aber gemeinsam lachen können, findet Oberbürgermeister Sebastian Remelé: „Denn Humor fehlt mir bei der ganzen Integrationsdebatte.“ Das städtische Integrationsprojekt „gerne daheim“ hat ins Kino KuK geladen: Zu sehen ist „Almanya“, anschließend berichten türkische Zuwanderer von ihren Erfahrungen.

    Remelé, bekannt für kurze und meist prägnante Grußworte, bringt das Dilemma der deutschen Integrationsbemühungen auf den Punkt: „Auf türkischer Seite fühlt man sich überfahren und weiß gar nicht, was man dazu sagen soll.“ Dass Integration vielfach schon Alltag ist, soll ein Beispiel aus der Praxis zeigen: „Ich durfte neulich ein Paar trauen. Sie stammt aus der Türkei, spricht aber perfektes Schweinfurterisch, er hat den noch härteren Migrationshintergrund: Nordrhein-Westfalen. Sie können heute nicht hier sein, weil sie arbeitet. Und er kocht für sie.“

    Der Film beschreibt, was Millionen Türken so oder so ähnlich erlebt haben: die wirtschaftliche Not in der Heimat und die Verheißung Deutschland. Die Väter, die die Familie zurücklassen. Die anfangs immer wieder zu Besuch nach Hause zurückkehren, dann die Familie nachholen und schließlich in Deutschland sesshaft werden. Die Ehefrauen und Kinder, die nur sehr widerwillig die Heimat verlassen, um in ein Land zu gehen, in dem sie weder Sprache, noch Mentalität und Sitten der Menschen verstehen. Und schließlich die nächste Generation, für die die Türkei das andere Land ist, aus dem zwar die Familie stammt, das ihnen aber fremd und auch ein wenig bedrohlich vorkommt. Interessanterweise lachen deutsche und türkische Kinobesucher fast immer an denselben Stellen, vermutlich, weil der ganz normale Wahnsinn in jeder Familie vergleichbar ist: Wenn der Großvater poltert, und dann doch die Großmutter entscheidet, wo's langgeht. Wenn die – längst erwachsenen – Geschwister sich immer und immer wieder aus den gleichen Anlässen zoffen.

    Spezifisch wird es erst, als die Familie in die Türkei reist und der jüngste Sohn der Großeltern, der schon in Deutschland geboren wurde, sich mit fehlerhaftem Türkisch zu Wort meldet. Da wird ein klein wenig von dem Riss zu spüren, der durch türkische Familien zwischen alter unter neuer Heimat geht. Die türkischen Kinobesucher schmunzeln wissend – Sprache hat eben immer auch etwas mit Identität zu tun, die Frage ist nur, was.

    Dass die deutschen Zuschauer nachvollziehen können, wie verloren sich die Neuankömmlinge der ersten Stunde einst hier gefühlt haben, schaffen die Schöpferinnen des Films, die ªamdereli-Schwestern, mit einem pfiffigen Kunstgriff: Die türkische Familie spricht Deutsch, die Deutschen sprechen eine groteske Kunstsprache, die nur aus harten, bellenden Lauten besteht.

    „Das haben wir damals genau so erlebt. Das ist auch ein Teil meiner Geschichte“, erzählt später Dilek Öznun von „gerne daheim“. Sie kam mit zehn Jahren 1974 aus der Türkei nach Deutschland. „Wir haben mit dem Auto drei Tage gebraucht – wie im Film. Und wir Kinder wollen in diesen drei Tagen unbedingt Deutsch lernen. Unsere Eltern haben uns zwei Sätze beigebracht, aber als wir dann da waren, hatten wir sie natürlich vergessen.“

    Berrin Aras kam mit fünf und wurde in einen katholischen Kindergarten auf dem Land gesteckt. „Da waren nur Nonnen, das war schon ein Kulturschock, aber das hat sich sehr schnell gelegt.“ Vermisst hat sie die Großeltern, die – anders als im Film – in der Türkei geblieben waren. „Mit Oma und Opa aufwachsen, das hat mir sehr gefehlt.“

    Gürsel Dedeolu kam mit 14 und hat – noch in der Türkei – das gleiche erlebt wie Mohammed im Film: Er erkannte den Vater nicht, als der im Urlaub nach Hause kam. „Ich hatte mir seine Schuhe gemerkt, aber er hatte andere Schuhe an, da habe ich gesagt, das ist nicht mein Vater.“ Dedeolu ist der erste Türke, der es in die AOK geschafft hat. Türkische Versicherte wollen am liebsten mit ihm reden, sagt er: „Die sprechen manchmal besser Deutsch als ich, aber sie sagen, es ist halt doch was anderes, wenn man von Türke zu Türke spricht.“ Die Türkei ist ihm zwar nicht fremd geworden, aber sie hat sich verändert: „Und nicht immer zum Positiven. Gute türkische Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft sind unter die Räder gekommen.“ Sein Zuhause ist heute eindeutig Schweinfurt: „Wenn auf der A70 das SKF-Hochhaus in Sicht kommt, habe ich sofort Heimatgefühle.“

    Vielleicht ist ja das einzige Missverständnis zwischen Deutschen und Türken der Begriff Integration. Während die einen immer noch fremdeln, sind die anderen längst angekommen: „Wir sind ein Teil der Gesellschaft, das muss man sich bewusst machen“, sagt Dilek Öznun, „nach 50 Jahren muss die Mehrheitsgesellschaft sagen, es tut zwar weh, aber jetzt müssen wir uns neu definieren.“ Sie sieht auch keinerlei Bedarf, die deutschen oder die türkischen Anteile ihrer Identität näher zu quantifizieren: „Wir, die wir hier stehen, trennen das nicht. Die Schwierigkeiten beginnen erst, wenn wir gezwungen werden zu trennen.“

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