Der einsame Held hat ausgedient: Arne Dahl, der im bürgerlichen Leben Jan Arnald heißt, hat mit seinen Thrillern um die Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter bei der schwedischen Reichskriminalpolizei – inoffiziell und selbstironisch A-Team genannt – eine neue Art von Krimi geschaffen: Es gibt nicht einen, sondern eine ganze Reihe gleichberechtigter Protagonisten. In der nachfolgenden Reihe um die europäische Geheim-Einheit Opcop erweitert er das Personal sogar noch. Die Bücher, auf Deutsch beim Piper-Verlag, sind internationale Bestseller. Die Stories sind hochspannend, hanebüchen verzwickt und werden immer virtuos aufgelöst, die Heldinnen und Helden sind so authentisch, dass sie dem Leser über die Jahre zu echten Gefährten werden. Die Sprache ist poetisch und doch direkt, die Dialoge sind prägnant und sehr oft sehr witzig. Am Dienstag, 18. März, liest Arne Dahl aus dem soeben erschienenen Roman „Neid“ um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Vogel am Roßmarkt. Eingangs wird Tagblatt-Redakteur Mathias Wiedemann ein kurzes Interview mit Arnald/Dahl führen, dann wird der Autor selbst sowohl kurz auf Schwedisch und etwas länger auf Deutsch lesen. Die weitere Lesung übernimmt die geübte Vorleserin Renate Blume, die dann auch für Fragen an den Autoren als Dolmetscherin zur Verfügung steht.
Frage: Herr Dahl, mit welchem Ihrer Helden würden Sie gern mal einen Kaffee trinken?
Arne Dahl: Ja, hm – es gibt mittlerweile ziemlich viele Helden. Die Opcop-Gruppe mit all den verschiedenen Nationalitäten. Schwer zu sagen.
Und wenn wir uns auf das A-Team beschränken, also die erste Gruppe von Helden Ihrer Romane?
Dahl: Das ist eigentlich die gleiche Antwort. Aber Arto Söderstedt, mein alter Held aus Finnland, ist immer ein Favorit.
Arto, der im Laufe der Zeit mit seinen Ahnungen und Fähigkeiten fast zu einer mystischen Gestalt geworden ist.
Dahl: Ja, das kann man sagen. Er wird immer übersinnlicher, fast wie ein Engel.
Sie haben einmal gesagt, dass alle Ihre Helden Aspekte von Ihnen selbst sind. Aber die Figuren sind vollständig. Keine ist nur ein Bruchstück.
Dahl: Nein, und das war wichtig von Anfang an. Ich wusste, als ich zu Schreiben begann, dass ich zehn Bücher schreiben wollte. Viele Bücher jedenfalls. Und ich wusste, dass ich keine große Hauptperson und viele oberflächliche Nebenpersonen haben wollte. Alle sollten Protagonisten sein. Ich musste also sieben Figuren als echte Hauptpersonen schaffen.
Wallander, Martin Beck, Erik Winter, Harry Hole, von den Engländern gar nicht zu reden – alles im Grunde Einzelkämpfer. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Team zu schaffen? Es muss ja viel schwieriger sein, jede dieser Personen ordentlich agieren zu lassen?
Dahl: Schwieriger, aber auch einfacher. Es eröffnet die Möglichkeit, die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu sehen und zu erzählen. Vielleicht war ich all die einsamen, trinkenden Helden mit Bauchschmerzen einfach müde. Ich war als Jan Arnald ja schon Autor und habe immer von einsamen Leuten geschrieben. Mit Arne Dahl wollte ich mich der Welt zuwenden, den Krimi mit Aspekten wie Politik, Moral, Gesellschaft verbinden. Da war es natürlich, ein Kollektiv zu schaffen. Vorbild war auch die amerikanische – kollektiv erzählte – TV-Serie „Homicide“, die sich um Ermittler in Baltimore dreht.
Sie schreiben einmal von einem „sozialdemokratischen Himmel über einem abgelaufenen schwedischen Modell“. Gleichzeitig beschreiben Sie die übelsten Auswüchse eines ungebremsten Kapitalismus, Menschenhandel etwa. Und da agiert dann ein Team, das fast so unbesiegbar wie Superhelden ist. Was sagt das über unsere reale Welt aus? Sind wir nicht arme Schweine, dass wir in einer Welt leben müssen, in der es kein A-Team und kein Opcop gibt?
Dahl: (lacht) Ja. Kleinkriminalität hat mich nie interessiert. Mich interessiert die groß angelegte Kriminalität. Diese Nebengesellschaft, in der es eigene Regeln und eigene Strukturen gibt. Urtyp dieser zweiten Gesellschaft ist natürlich die Mafia, die Schattenwirtschaft, die graue Wirtschaft und so weiter. Und die Welt wird mehr und mehr wie die Mafia organisiert. Das ist natürlich zu hart gesagt. Aber die Großkonzerne lernen viel von der Mafia. Und umgekehrt. Müssten wir also nicht eine europäische Polizei wie Opcop haben? Ich weiß es nicht. Die Fälle, die ich beschreibe, sind ja eher Warnungen als echte Realität. Es gibt auch ein kleines Element von Science Fiction. Genauso gefährlich ist es noch nicht. Aber es könnte so schlecht werden.
Sie stellen die Frage, ob man denen, die sich an keinerlei Regeln halten, beikommt, indem man sich selbst an die Regeln hält. Arto übertritt die Regeln dauernd, etwa, indem er einen Menschen tötet. Ihre Helden greifen immer wieder zu Selbstjustiz – ist das die einzige Möglichkeit, wie wir dieser Gefahr begegnen können?
Dahl: Es ist natürlich notwendig, dass die Polizei die Regeln kennt und befolgt. Und sich innerhalb der gesellschaftlichen Normen bewegt. Aber manchmal ist es vielleicht notwendig, dem Bösen mit Bösem zu begegnen. Ich weiß nicht, wo da moralisch die Grenze ist.
Manche Stories sind so verrückt, dass man meinen könnte, Roald Dahl hätte Sie bei Ihrem Pseudonym inspiriert.
Dahl: Manchmal sage ich: ja. Aber leider ist es nicht so. Es sind nur die Buchstaben meines Namens Arnald, ein bisschen durcheinandergeworfen.
Die Opcop-Reihe ist auf vier Bände angelegt. Die deutschen Titel sind „Gier“, „Zorn“ und „Neid“ – also Todsünden. Eigentlich haben wir Leser also ein Recht, dass Sie uns sieben Bände schreiben.
Dahl: (lacht) Das ist richtig. Aber auf Schwedisch heißen sie nicht nach Todsünden, sondern nach Kinderspielen. „Gier“ heißt im Original „Stille Post“. Aber es war unmöglich, diese Kinderspiele zu übersetzen. Die Todsünden funktionieren auch sehr gut. Letzte Woche habe ich Band vier fertiggestellt – er erscheint im Juni, und damit ist die Reihe abgeschlossen. Jetzt fühle ich mich ein bisschen verloren. Ich brauche erstmal eine Pause von der Opcop-Gruppe. Ich sollte vielleicht ein paar andere Arten von Krimis schreiben. Aber ich glaube, ich komme zurück zur Opcop-Gruppe.
Apropos Übersetzungen: Wir Mitteleuropäer sind dank der Skandinavien-Krimis ja Skandinavien-Experten geworden. Aber stimmt das auch? Gibt es Nuancen, die uns entgehen, die nur ein Skandinavier versteht?
Dahl: Alle Sprachen und Kulturen haben natürlich Besonderheiten, die nicht immer genau verstanden werden. Aber in den deutschen Übersetzungen ist fast alles da, auch die besonderen Anspielungen, die eigentlich nur Schweden verstehen können. Ich habe so gute deutsche Übersetzer, ich bin sehr zufrieden.
Karten gibt es ab sofort im Vorverkauf für 10 Euro, an der Abendkasse für 12 Euro. Veranstaltungsort ist die Buchhandlung Vogel am Roßmarkt.
Zur Person
Arne Dahl, bürgerlich Jan Arnald, Jahrgang 1963, hat seit 1998 mit seinen zehn Kriminalromanen um die Stockholmer A-Gruppe, zuletzt der Bestseller „Bußestunde“, und den bislang drei Thrillern um die europäische Ermittlungseinheit Opcop (Piper-Verlag) eine der weltweit erfolgreichsten Serien geschaffen. International mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, verkauften sich nach Angaben des Verlags allein in Deutschland über eine Million Bücher. Arnald ist Literaturwissenschaftler und arbeitet für die Schwedische Akademie, die den Nobelpreis vergibt. Er hat drei Bücher unter eigenem Namen herausgegeben. Außerdem gibt er die Zeitschriften Artes und Aiolos heraus und arbeitet als Kritiker beim Göteborgs-Posten.