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Interview Hellmuth Karasek: Die Frauen haben's gut

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Interview Hellmuth Karasek: Die Frauen haben's gut

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    Schweinfurt E-Mail-Adresse hat er keine. Das heißt, er hat eine, das ist aber die seiner Sekretärin, und die ist gerade im Urlaub. Hellmuth Karasek (76) ist ein wohltuend unmoderner Gesprächspartner. Einer, der all die neuen Wörter nicht braucht, um zu sagen, was ihn beschäftigt. Mit der Literatur, die er zitiert, hat er ein Leben verbracht, und das meiste davon ist so zeitlos, dass es die Menschen immer bewegen wird – völlig ungeachtet der Form, in der es gesagt wird. Sein neues Buch „Ihr tausendfaches Weh und Ach“ ist eine Art Autobiografie in der dritten Person, bei der es nur um das Eine geht: Was Männer von Frauen wollen, so der Untertitel. Am 28. April liest Karasek im Ebracher Hof, die Lesung ist allerdings längst ausverkauft.

    Frage: In Ihrem Buch zitieren Sie Nestroy: „Die Frauen haben's gut! Sie rauchen nicht. Sie trinken nicht, und Frauen sind sie selber!“ Sind Frauen die höheren Wesen?

    Hellmuth Karasek: Also für uns Männer schon. Für die Frauen sind hoffentlich wir die höheren Wesen.

    Aber wenn man die Literatur durchschaut – speziell die, die Sie in Ihrem Buch zitieren –, dann ist es immer der Mann, der sich lächerlich macht.

    Karasek: Naja, wir sind lange Zeit die Herren der Schöpfung gewesen und sind heute wohl die Herren der Erschöpfung. Das sehe ich, wenn ich in einem Restaurant auf die Toilette gehe: Das Zeichen für „Männer“ an der Tür sieht aus wie Frau Merkel. Die Figur hat eine Jacke und eine Hose an, genau wie Frau Merkel und ihre Ministerinnen. Mit anderen Worten: Die haben längst die Hosen an.

    Das heißt, der Mann ist ins zweite Glied zurückgetreten?

    Karasek: Das klingt jetzt etwas anrüchig, aber ja: Es hat sich zurechtgeschaukelt. Mein Buch handelt aber eigentlich davon, dass ich die größte sexuelle Revolution erlebt, erlitten und mit Staunen genossen habe, die die Menschheit je erlebte. Das hängt mit der Erfindung der Anti-Baby-Pille zusammen. Durch sie haben die Frauen die absolute Entscheidungsgewalt über die Nachkommenschaft. Früher waren sie – siehe Gretchen – den Männern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

    Trotzdem ist es bis heute der Mann, der schlecht aussieht, wenn es darauf ankommt.

    Karasek: Meine berühmteste Szene dafür ist die Wahl, nach der Merkel Bundeskanzlerin wurde. An dem Abend hat Schröder mit einem Testosteron-Stoß im Blut gesagt: Frau Merkel, Sie bilden sich doch nicht ein, dass Sie Kanzler werden. Und damit hat er sie zur Kanzlerin gemacht. Nach dieser Attacke musste die CDU, die mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden gewesen war, Merkel wie einst Odysseus an den Mast binden und zur Kanzlerin machen. Und da steht sie nun ziemlich unangefochten. Ich habe gestern in der FAS gelesen, dass sie neben Helmut Schmidt der weitaus intelligenteste Kanzler ist, den Deutschland je gehabt hat.

    Die Literatur in Ihrem Buch dient dem Er-Erzähler wie eine Art Handlauf. . .

    Karasek: Ja, das ist ein Schutz.

    . . . durch sein Leben. Ich nehme an, der Er-Erzähler, das sind Sie?

    Karasek: Ich nehme das manchmal auch an. Das Er hat auch damit zu tun, dass man sich im Abstand der Jahre etwas fremder sieht. Ich habe als Student in der Aula in Tübingen zwei Juristen gehört, die sich darüber unterhielten, ob sie eine Frau heiraten würden, die keine virgo intacta mehr ist. Und ich habe das mitangehört, ohne in schallendes Gelächter auszubrechen. Das muss also ein Anderer gewesen sein als ich. Anderes Beispiel: Mir hat eine Wirtin erzählt, sie vermietet nicht gerne an Damen und an Schwarze. Weil die Damen immer ihre Nylons ins Badezimmer hängen. Und die Schwarzen würden die Bettwäsche verfärben. Da bin ich auch nicht in schreiendes Gelächter ausgebrochen, weil ich mit einem Bein in der damaligen Zeit stand.

    Warum ist Liebe immer mit Schuld verbunden – in der Literatur und im Leben auch?

    Karasek: Das hat sich auch nicht geändert. Das hängt damit zusammen – ich habe gerade das neue Buch von Philip Roth gelesen: „Demütigung“ – es hängt damit zusammen, dass zwei Partner nie auf der gleichen Höhe des Gefühls sind, sondern nur einen kurzen Moment lang. Und danach führt das zwangsläufig dazu, dass sie einander demütigen. Es gibt Beziehungen, die halten stand, weil sich beide am Anfang heftig verfallen sind. Und es gibt Beziehungen, die halten genau aus dem Grund nicht stand. Es gibt keine Garantie, warum Beziehungen nicht standhalten.

    Sie beschreiben, wie der Erzähler 1963 seine Frau mit einem Kollegen im Bett erwischt. Das ist fast eine Billy-Wilder-Szene.

    Karasek: Ja, nur wenn man sie gerade erlebt, ist sie ziemlich elend. Ehebruch war damals im Bewusstsein der Menschen noch ein Straftatbestand. Das ist heute anders. Wenn Sie an den Billy-Wilder-Film „Apartment“ denken: Der endet mit einem Selbstmordversuch von Shirley MacLaine. Also die Traurigkeit ist so groß wie zu der Zeit, als der Ehebruch noch zählte. Nur das moralische System hat sich verschoben.

    Können Sie mit dem Abstand der Jahre über diese Szene lachen?

    Karasek: Ja, das geht schon. Es gilt unverändert dieses wunderbare Heine-Gedicht: Das ist eine alte Geschichte / und es ist auch nichts dabei. / Doch wem sie just passieret, / dem bricht das Herz entzwei.

    Wenn es um Liebe geht, geht es um Annäherung oder aber um den Verfall der Liebe. Warum aber wird so wenig über bestehende, funktionierende Beziehungen erzählt?

    Karasek: Ich habe gerade meine silberne Hochzeit erfolgreich hinter mir. Ich bin seit 30 Jahren mit der gleichen Frau zusammen. Sogar mit derselben. Mein großes Vorbild in Beziehungsdingen ist Nestroy, der sich gleichzeitig mit einer bewundernswerten Energie bemühte, die Ehe aufrecht und rein zu halten, und mit der gleichen Energie versuchte fremdzugehen. Das ist eine sehr seltsame Mischung.

    Ihr Buch schließt optimistisch. Sie prophezeien, dass Frauen bald genauso viel verdienen werden wie Männer.

    Karasek: Ich ergänze mündlich immer: Das wird etwa noch 70 Jahre dauern.

    Also eine kurze Zeit, gemessen an der Menschheitsgeschichte.

    Karasek: Nein, aber an meinem Leben gemessen, eine ziemlich lange. Ich hatte mich da ein bisschen zu weit aus dem Fenster gehängt.

    Der technische Fortschritt der Kommunikationsmittel will uns ja glauben machen, wir könnten jetzt auf ganz neue Art kommunizieren. Gilt das auch für die Liebe?

    Karasek: Ich glaube, der Vorrat an Kraft, der in der Liebe steckt, ist nicht unerschöpflich. Das haben Menschen in der Antike sicher genauso empfunden wie heutzutage. Mir fällt dazu immer ein sehr gutes Beispiel von Musil ein: Beim Fortschritt bleibt immer ein Bein zurück. Früher waren die Postverbindungen viel schlechter, dafür wurden bessere Briefe geschrieben. Menschen haben zu allen Zeiten keine größere Gefühlskraft – in der Zerstörung wie in der Liebe – als Macbeth oder Romeo und Julia.

    Hellmuth Karasek

    Der Journalist und Schriftsteller Hellmuth Karasek, geboren 1934 in Brünn, leitete über 20 Jahre das Kulturressort des „Spiegel“. Er war neben Marcel Reich-Ranicki Mitglied der Literatursendung „Das literarische Quartett“. Heute ist er Autor für „Welt“ und „Welt am Sonntag“. Sein neues Buch „Ihr tausendfaches Weh und Ach – Was Männer von Frauen wollen“ ist bei Hoffmann und Campe erschienen. Seine Lesung am 28. April im Ebracher Hof ist ausverkauft.

    Aus der Besprechung seiner Schweinfurter Lesung 2008: „Fast hat man den Eindruck, als sei das weißgetünchte Gewölbe eine Art Schutzburg gegen die bunte, laute Welt von Internet, Reality-Soaps und Betroffenheits-Büchlein da draußen. Karasek ist zwar alt aber nicht altbacken. Er hütet sich vor wohlfeilem Postmoderne-Skeptizismus und pflegt stattdessen diese berückende Mischung aus Arglosigkeit und Listigkeit, diesen immer wieder kindlich staunenden Blick auf die Absurditäten einer Welt, die zu verstehen er sich wohl als junger Mann schon geweigert hat. Im Literarischen Quartett war er immer der offenere, gnädigere Sidekick des unerbittlichen Marcel Reich-Ranicki, weswegen man vielleicht dazu neigte, ihn intellektuell zu unterschätzen. Dabei liegt seine Kunst gerade im eher Formlosen, im lockeren Flanieren zwischen Aphorismus und Kalauer.“ Mathias Wiedemann

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