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Jedes Kind wahrnehmen

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    Gruppenbild mit Schulleiter: Vor der Villa des Förderzentrums in Schonungen steht Thomas Kötzel mit den Kooperationskindern (v.l.) Lukas Wischgall, Florian Pendic, Evi Thiele, Alexandra Schneider und Kilian Schmitt.
    Gruppenbild mit Schulleiter: Vor der Villa des Förderzentrums in Schonungen steht Thomas Kötzel mit den Kooperationskindern (v.l.) Lukas Wischgall, Florian Pendic, Evi Thiele, Alexandra Schneider und Kilian Schmitt. Foto: Foto: Katharina Winterhalter

    Seit Herbst leitet Thomas Kötzel das Förderzentrum der Lebenshilfe Schweinfurt in Schonungen. Die Frage, ob dieser Job in Zeiten der Debatte um inklusive Bildung besonders schwierig sei, beantwortet der 47-Jährige recht gelassen. Denn die wird in Schonungen zumindest im kleinen Rahmen längst praktiziert. Seit 30 Jahren – also lange, bevor man das Wort Inklusion kannte – besuchen einzelne Kinder aus dem Förderzentrum die Grundschule im Ort. Die Idee stammt von Josef Rauschmann, dem Gründer der Lebenshilfe. Der damalige Rektor stimmte zu und die Zusammenarbeit funktionierte viele Jahre sehr erfolgreich auf dem kleinen Dienstweg.

    2010 drohte das Schonunger Modell, wie es genannt wird, an fehlenden Lehrerstunden zu scheitern. Die damalige Leiterin des Zentrums, Karin Bonse-Olsen, musste bis hinauf auf Kultusministeriumsebene um die Kooperation kämpfen. Erfolgreich. Nur drei Jahre später ist es ganz selbstverständlich, dass fünf Kinder aus dem Förderzentrum regelmäßig am Unterricht in der Grundschule teilnehmen. Mehr noch: die Grundschule überlege, so Kötzel, ob sie nicht eine der Profilschulen Inklusion werden will, die derzeit in Bayern gebildet werden.

    Natürlich beschränkt sich Inklusion, also die selbstverständliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, nicht auf die Bildung. Aber die ist ein zentrales Anliegen. Darüber hinaus will Thomas Kötzel die Einrichtung noch mehr öffnen als es bisher schon geschehen ist. Ab Herbst wird eine Mittagsbetreuung für eine kleine Gruppe nicht behinderter Grundschüler eingerichtet, denn die Betreuung im Kindergarten platzt aus allen Nähten. Die sieben bis acht Dritt- und Viertklässler können im Zentrum Mittag essen und zusammen mit den Kooperationskindern Hausaufgaben machen.

    Seit 35 Jahren besteht die Einrichtung der Lebenshilfe Schweinfurt und ist sehr gut im Ort integriert, sagt Kötzel. Auch der junge Bürgermeister Stefan Rottmann habe seine Unterstützung zugesagt, beispielsweise für das Landessportfest für Körperbehinderte, das 2014 in Schonungen stattfinden wird.

    Zum Thema „Inklusion als wichtiges gesellschaftliches Ziel“ formuliert Kötzel aber auch Befürchtungen, eigene und die von Eltern. Letztere sind verunsichert, weil sie sich nun fragen, ob es richtig ist, ihr Kind in eine Fördereinrichtung zu geben oder ob es nicht in einer Regelschule besser aufgehoben wäre. Darauf hat Kötzel eine klare Antwort: So wie das Schulsystem heute aussieht, könne es vor allem den schwer mehrfachbehinderten Kindern nicht den Schutz und die Förderung geben, die sie unbedingt brauchen. Wichtig sei eine intensive Betreuung ab dem Kindergartenalter. Später könne man sehen, welche Möglichkeiten es für einen Besuch der Regelschule gebe.

    Der Schulleiter hat Sorge, dass bei der politischen Diskussion um Inklusion der Blick auf das einzelne Kind verloren geht. Denn das ist für ihn die wichtigste Aufgabe seiner Einrichtung. Da sieht er sich ganz in der Tradition von Josef Rauschmann und der im vergangenen Jahr verstorbenen Karin Bonse-Olsen. Beide haben ihn geprägt.

    Natürlich plädiert Kötzel für Inklusion, aber eben auch für ein Fortbestehen der Förderzentren. Da sieht er sich vom Bayerischen Kultusministerium unterstützt, das klar ausgesagt hat, dass die Einrichtungen bestehen bleiben müssen. Auf der anderen Seite gebe es aber Stimmen, die die UN-Behindertenrechtskonvention so interpretieren, dass Förderzentren Exklusion, also Ausschluss der behinderten Menschen, bedeuten. Diese radikalen Befürworter würden eine Auflösung des Fördersystems fordern, um eine Veränderung des Schulsystems zu erzwingen. Das aber gehe zu Lasten einiger Schülergenerationen, sagt Kötzel.

    Als Negativbeispiel führt er Italien an, wo die Sonderschulklassen aufgelöst wurden – mit der Folge, dass manche schwer mehrfachbehinderten Kinder nicht in die Schule gehen können. Ohne Fördereinrichtungen sieht Kötzel das Recht jedes Kindes auf Schulbildung, das in den 1970er Jahren so schwer erkämpft wurde, bedroht.

    „Unsere Kinder haben unterschiedlichste Fähigkeiten, Voraussetzungen und Bedürfnisse“, sagt Thomas Kötzel. „Wir wollen allen gerecht werden.“ Auf die Frage, warum von rund 100 Schülern des Zentrums mit Außenstelle in Fuchsstadt nur fünf derzeit eine Regelschule besuchen, antwortet er, dass die Kooperation nur für die Kinder sinnvoll sei, die einen Gewinn davon haben.

    Die vier Drittklässler Lukas, Evi, Alexandra und Kilian sind fast jeden Tag bis zur Pause in der Grundschule, in den Fächern Deutsch, Mathe, Heimat-und Sachunterricht. Alle drei können fließend lesen, schreiben und rechnen. Der Erstklässler Florian nimmt ganz normal am Unterricht teil. „Alle strengen sich unglaublich an, lernen fleißig und erreichen gute Ergebnisse, auch bei den Probearbeiten“, sagt Birgit Hart-Daniel, die Lehrerin der Kooperationsschüler im Förderzentrum. Und sie betont noch etwas: die großartige Arbeit der beiden Grundschul-Lehrerinnen Katja Stemig und Renate Hader, ohne die die Kooperation nicht funktionieren würde und die Selbstverständlichkeit und Herzlichkeit, mit der nichtbehinderte und behinderte Kinder miteinander umgehen.

    Thomas Kötzel

    Thomas Kötzel, 1966 geboren, hat nach seinem Studium der Sonderpädagogik, seit 1996 am Förderzentrum der Lebenshilfe Schweinfurt in Schonungen, ehemals Schule für Körperbehinderte, gearbeitet. Von 2001 bis 2007 war er stellvertretender Schulleiter, von 2007 bis 2012 Seminarleiter für Körperbehindertenpädagogik in Unterfranken. Seit September 2012 leitet Kötzel Schule und Tagesstätte am Förderzentrum.

    2006 wurde die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen verabschiedet, mit der ein Wechsel der Perspektiven einhergehen soll: von der Integration zur Inklusion, was soviel heißt wie „dazu gehören, eingebunden sein“. Ziel ist der Wechsel von der Wohlfahrt und Fürsorge zur Selbstbestimmung, vom Patienten zum Bürger. Das Bayerische Kultusministerium beruft sich in seinem Inklusions-Konzept ausdrücklich auf die Konvention und begrüßt sie. Die tatsächliche Umsetzung sei aber abhängig von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den finanziellen Möglichkeiten des Freistaates, heißt es wörtlich.

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