(ue) „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh!“- Während in Deutschland die Straßen unter den Studentenprotesten erzitterten, ob des Vietnamkriegs, erbebten die deutschen Esstische unter massiven Kalorienbomben: „Gscheit Butter drauf!“ wiederholt eine Köchin im Gemeindesaal von Sankt Lukas den kulinarischen Schlachtruf der 60er.
Als Digestif zur 40-Jahr-Feier der Kirchengemeinde hat das Pfarrerehepaar Christiana und Christian von Rotenhan zum Essens-Revival eingeladen: Ende 1969 wurde das Gotteshaus im schlichten Le Corbusier- und Bauhaus-Stil eingeweiht, ein extravagantes Betonzelt vom Reißbrett des Industriearchitekten Gerhard Weber: „der Beton samtweich“, wie Rotenhan schwärmt. Nun laden die Seelsorger ihre Schäflein zu einem Abendessen wie vor vierzig Jahren ein, gekocht von den PfarrerInnen, Kirchenvorständen und Gemeindehelferinnen.
Auch in der Küche brachten die innovativen 60er manche Revolution hervor: Hart abgeschreckte Fliegenpilzeier mit Tomatenhäubchen und Mayo-Dip-Tupfen etwa. Überhaupt waren Eier der letzte Schrei, in den Varianten Solei (in Salzlake) und, dem Kalten Krieg zum Trotz, russisches Ei: Hartgekocht mit Remouladensauce, wie überhaupt gerne gedippt wurde, sei es nun mit Senf, Ketchup oder Mayo.
Ein König des damaligen Kalten Buffets darf auch in Sankt Lukas nicht fehlen: der Käseigel, eine mit Käsespießen gespickte Melone. Vegetarismus war zur Zeit von Mondlandung, Ostpolitik und erster Herzverpflanzung noch Fehlanzeige: Auf dem Tisch türmen sich ein Schweinekopf aus Blätterteigpastete, Schinken-Spargel-Röllchen und der Kassler. Zum Einstieg gibt es Gulasch- und Grießknödelsuppe, zum Nachtisch Eistörtchen und Pudding-Dessert mit Früchtesoße. Auch Salzstängchen gab's damals schon.
Im Gotteshaus hält man sich mit Alkoholika zurück: In echt wäre womöglich die berüchtigte Sektpyramide oder der Persico-Pfirsichlikör aufgefahren worden. Auf jeden Fall boten die 60er schwere Kost – aber nicht nur deswegen sind die steilen Treppenaufgänge, die hinauf in den Altarraum führen, heute ein Problem: Die Kirchengemeinde benötigt dringend 80 000 Euro für den Bau eines Aufzugs, vor allem wegen ihrer älteren Mitglieder. Diese Botschaft liegt Pfarrer Rotenhan bei der Zeitreise dann doch noch am Herzen.